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Schulpflegekräfte

Erfolgsrezept mit positiven Nebenwirkungen

Sie kümmern sich um Schülerinnen und Schüler mit Bauchschmerzen oder Fieber, geben Tipps im Unterricht – und haben alles im Blick. Ein Modellprojekt in Hessen zeigt: Schulgesundheitsfachkräfte sind eine große Entlastung für Lehrkräfte.

Karen Kreutz-Dombrofski ist an der Ernst-Reuter-Schule II in Frankfurt am Main als Schulgesundheitsfachkraft im Einsatz. Foto: Christoph Boeckheler

Ein Junge klagt in der Schule über Kopfschmerzen, ein Mädchen ist auf dem Pausenhof hingefallen und hat sich das Knie aufgeschlagen. Was tun? Die Eltern anrufen? Oder erst einmal abwarten? Für die Lehrkräfte an zehn Modellschulen im Rhein-Main-Gebiet stellt sich diese Frage nicht mehr. Sie können sich auf ihren Unterricht konzentrieren – und die Kinder ein paar Türen weiter zur Schulkrankenschwester schicken oder ganz offiziell: zur Schulgesundheitsfachkraft. „Jeder kann einfach vorbeikommen, wenn etwas ist“, sagt Karen Kreutz-Dombrofski von der Ernst-Reuter-Schule II in Frankfurt am Main.

Die Pflegekraft desinfiziert Wunden, klebt Pflaster, misst Temperatur, hat immer kalte Eisbeutel und heißen Tee parat. Kurzum: Sie kümmert sich um alles, „was an einem langen Schultag so sein kann“. Für die Lehrkräfte der Modellschulen steht fest: „Das ist eine enorme Entlastung.“ Heide Krodel-Johne vom Frankfurter Gesamtpersonalrat, die das Projekt seit der Bewerbungsphase begleitet, ist von dem Konzept überzeugt: „Es gibt viele positive Rückmeldungen.“

Die Gesundheitsfachkräfte sind seit Mitte 2017 an zehn öffentlichen Schulen mit Ganztagsbetrieb in Frankfurt und Offenbach im Einsatz. Eigentlich sollte das Projekt nur bis Ende 2018 laufen. Doch das hessische Kultusministerium hat es „aufgrund des positiven Feedbacks“ um ein Jahr verlängert. Erklärtes Ziel: die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler zu stärken, damit Fehlzeiten zu reduzieren und die Lehrkräfte zu entlasten.

„Die Pflegekräfte können früh eingreifen.“ (Heide Krodel-Johne)

Die Pflegekräfte haben alle Hände voll zu tun. An der Ernst-Reuter-Schule II zum Beispiel lernen rund 1.200 Schülerinnen und Schüler, davon versorgt die Krankenschwester im Schnitt 30 am Tag. Egal ob Nasenbluten oder Erbrechen, „bei mir sind die Kinder erst einmal gut aufgehoben“, sagt Kreutz-Dombrofski, die vorher viele Jahre als Kinderkrankenschwester in Kliniken und Arztpraxen gearbeitet hat. Das nehme auch den Eltern etwas Druck. Wenn sie nicht sofort von der Arbeit weg könnten, sei das halb so schlimm. Die Kinder werden solange von der Fachkraft versorgt. Zudem kann diese einschätzen, ob das Kind zum Arzt muss oder nur etwas Ruhe benötigt.

Wobei sich bei einigen Schülern auch herausstelle, dass die Bauchschmerzen andere Ursachen haben, berichtet Kreutz-Dombrofski: zum Beispiel die Mathearbeit oder Kummer zu Hause. „Es ist wichtig, ins Gespräch zu kommen“, sagt die Schulkrankenschwester. Personalrätin Krodel-Johne erklärt, dass Lehrkräfte kranke Schülerinnen und Schüler sonst einfach ins Sekretariat schicken müssten – und keinen weiteren Überblick hätten. „Jetzt sind die Dinge fest in der Hand einer Kollegin“, betont die GEW-Expertin. „Das ist sehr gut.“ Die Gesundheitsfachkräfte führen Buch, worüber die Kinder und Jugendlichen klagen – und wie oft. Wenn sich Beschwerden häufen, könne dies ein Hinweis auf psychische oder chronische Erkrankungen sein. „Die Pflegekräfte können früh eingreifen.“

Und auch Schulschwänzen wird damit erschwert. Die Jugendlichen könnten sich nicht mehr einfach so im Sekretariat abmelden, betont Kreutz-Dombrofski: „Ich will schon etwas genauer wissen, was los ist.“ Sie geht auch mit in den Unterricht, gibt Tipps zu Gesundheit und Ernährung. Dabei habe sie gemerkt, wie viele Kinder über Kopf- und Bauchschmerzen klagen, berichtet die Krankenschwester. Deshalb klärt sie zum Beispiel die 5. Klassen darüber auf, wo mögliche Ursachen liegen, spricht mit ihnen über Stress, erstellt einen Plan – und fragt: Habt ihr genug Wasser getrunken? Wie lange wart ihr draußen? Wie viel habt ihr am Smartphone gedaddelt?

„Das Angebot ist absolut niedrigschwellig. Das ist ein großer Vorteil.“ (Karen Kreutz-Dombrofski) 

In anderen Ländern – etwa in Großbritannien, Finnland oder den USA – gehören „School Nurses“ schon lange zum Schulalltag. „Ich finde die Idee sehr sinnvoll“, betont Krodel-Johne. Vor allem mit Blick auf die Inklusion: Für Kinder mit chronischen Erkrankungen, mit Epilepsie oder körperlichen Behinderungen sei es wichtig, auch eine medizinische Fachkraft vor Ort zu haben. Zudem sei es für die Eltern gut, diese Sicherheit zu haben. Gesundheitsfachkräfte an Schulen förderten zudem die Chancengleichheit, fügt Kreutz-Dombrofski hinzu. „Das Angebot ist absolut niedrigschwellig. Das ist ein großer Vorteil.“ Jeder, der eine Beschwerde hat, kann einfach hingehen.

Vormittags kümmert sich die Krankenschwester vor allem um die Schülerinnen und Schüler, nachmittags – „wenn es etwas ruhiger wird“ – muss sie jeden Fall detailliert dokumentieren. Bevor die Pflegekräfte an den Schulen eingesetzt wurden, haben sie an einer zweimonatigen Vollzeit-Weiterbildung teilgenommen, die berufsbegleitend fortgeführt wird. Wichtig sei, dass die Pflegekräfte fest im Schulverband verankert sind, betont Krodel-Johne. Sie nehmen an Konferenzen teil, werden vom Personalrat vertreten. „Ich stehe in engem Austausch mit den Lehrkräften“, sagt Kreutz-Dombrofski. „Es ist klar, dass wir zusammenarbeiten.“

Das Modellprojekt wird in erster Linie von der AOK bezahlt, Träger ist die Hessische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e.V., fest angestellt sind die Pflegekräfte aber beim Land Hessen. „Das muss auch so bleiben“, betont GEW-Expertin Krodel-Johne. Egal, wie die Finanzierung geregelt wird, sollte es ihrer Ansicht nach eine Fortsetzung des Projekts geben. Allerdings macht sich die GEW dafür stark, dass die Pflegekräfte künftig beim hessischen Sozialministerium angesiedelt werden – nicht beim Kultusministerium. Dafür sprächen einige inhaltliche Gründe. Etwa dürften die Gesundheitsfachkräfte keinen Unterricht erteilen, so die Gewerkschaft. Doch es gebe auch ganz praktische Bedenken. „Das Kultusministerium ist immer knapp bei Kasse“, sagt Krodel-Johne. „Wenn sie Gesundheitsfachkräfte einstellen, besteht die Gefahr, dass sie anderswo dafür kürzen“, also etwa auf die Einstellung von pädagogischem Personal verzichten. „Das darf nicht sein.“