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Berliner Hochschulgesetz

Erbitterter Widerstand der Unileitungen gegen Dauerstellen

Das neue Berliner Hochschulgesetz verpflichtet die Hochschulen, Postdocs mehr Dauerstellen anzubieten. Dagegen gehen die Unileitungen auf die Barrikaden. Die GEW fordert sie auf, das Gesetz konstruktiv umzusetzen.

(Foto: GEW)

Stein des Anstoßes ist der neue Absatz 6 im Paragrafen 110 des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG), dessen Novellierung das Abgeordnetenhaus mit den Stimmen der rot-grün-roten Koalition aus SPD, Grünen und Linken beschlossen hat. Die neue Regelung verpflichtet die Berliner Hochschulen, mit promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine „Anschlusszusage“ zu vereinbaren, wenn sie diese zur Qualifikation befristet beschäftigen.

Unter „Anschlusszusage“ versteht der Gesetzgeber eine unbefristete Beschäftigung im Anschluss an die befristete Beschäftigung, wenn zuvor festgelegte wissenschaftlichen Leistungen erbracht wurden. Dieses Modell ist längst als Tenure Track bekannt und weltweit in vielen Hochschulsystemen, etwa in den USA, etabliert.

Verfassungsbeschwerde eingelegt

Die Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen hat indes Widerstand gegen die Neuregelung angekündigt. Sowohl die Freie Universität als auch die Humboldt-Universität haben einen Einstellungsstopp für Postdoc-Stellen verhängt.

Die Präsidentin der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, hat aus Protest gegen das BerlHG sogar ihr Amt niedergelegt – wenige Monate nach ihrer Wiederwahl. Kurz vor Ende ihrer vorzeitig beendeten Amtszeit reichte sie für ihre Universität beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz ein – ohne diese mit den universitären Gremien, etwa dem Akademischen Senat, beraten zu haben. Das sorgt weit über die Hauptstadt hinaus für Empörung.

Keller kritisiert Nacht-und-Nebel-Aktion

Zurecht, meint Andreas Keller, stellvertretender Bundesvorsitzender und Hochschulexperte der GEW und Mitglied im Kuratorium der Humboldt-Universität: „Ob die @HumboldtUni gegen das #BerlHG klagt oder es konstruktiv umsetzt, hätte in den Selbstverwaltungsgremien debattiert und entschieden werden müssen und nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von der zurückgetretenen Präsidentin“, schrieb er auf Twitter.

Keller, der als gewähltes Mitglied dem Kuratorium der Humboldt-Universität angehört, kündigte an, von Interimspräsident Peter Frensch auf der nächsten Sitzung des Gremiums Mitte Januar einen Bericht dazu einzufordern.

„Die Professsor*innen sehen ihre Allmacht gefährdet.“ (Matthias Jähne)

Matthias Jähne, Hochschulreferent bei der GEW Berlin, analysiert den Streit ums BerlHG als „Machtkampf“. Es gehe gar nicht in erster Linie um das Geld, das angeblich für mehr Dauerstellen fehle. „Der eigentliche Grund für den Widerstand ist ein ganz anderer. Die Professor*innen sehen ihre Allmacht gefährdet“, schreibt er in einem Beitrag in der Berliner GEW-Zeitung bbz. Wenn Postdocs einen Anspruch auf Tenure Track und Dauerstellen bekämen, könnten die Professorinnen und Professoren „ihr“ Personal eben nicht mehr ständig unter Druck setzen.

Keine Perspektive auf Entfristung

Dem Wortlaut des Gesetzes zufolge sind keineswegs alle Postdocs von der Neuregelung betroffen. Voraussetzung dafür ist:

  • dass es um eine Qualifizierungsstelle geht und
  • dass es sich bei dem im Arbeitsvertrag genannten Qualifikationsziel „um eine Habilitation,
  • ein Habilitationsäquivalent,
  • den Erwerb von Lehrerfahrung und Lehrbefähigung oder
  • um sonstige Leistungen zum Erwerb der Berufungsfähigkeit“ handelt.

Das bedeutet im Umkehrschluss: Postdocs ohne einen solchen Arbeitsvertrag haben keinen Rechtsanspruch auf einen Tenure Track mit Entfristungsperspektive.

Das dürfte in der Regel bei allen mit Drittmittel finanzierten, aber auch bei einer Reihe von aus Haushaltsmitteln finanzierten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fall sein. Darüber hinaus hat die Berliner Wissenschaftssenatsverwaltung verlautbaren lassen, die Regelung gelte nur für neu abgeschlossene Postdoc-Verträge, nicht für Bestandsverträge.

Wie viele wissenschaftliche Mitarbeitende (WiMi) genau vom neuen § 110 betroffen sind, vermag indes niemand zu sagen. Die Berliner Universitäten konnten noch keine belastbaren Zahlen liefern. Das ergibt sich aus der Antwort des Berliner Senats auf eine Anfrage von Tobias Schulze, für die Linke Mitglied im Abgeordnetenhaus. "Wir reden insgesamt je nach Uni über fünf bis acht Prozent der WiMi-Stellen“, schätzt er im Gespräch mit dem Bildungsjournalisten Jan-Martin Wiarda.

„Neuregelung als Chance begreifen“

„Die Berliner Universitätspräsidentinnen und -präsidenten sollten die Kirche im Dorf lassen“, mahnt auch GEW-Vize Andreas Keller. „Das neue BerlHG macht einen moderaten Schritt in Richtung Dauerstellen für Daueraufgaben und verlässliche Karrierewege für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach der Promotion. Die Hochschulen sollten die Neuregelung als Chance begreifen, sich als attraktive Arbeitgeber zu profilieren, die exzellente Forschung und Lehre und anständige Beschäftigungsbedingungen als zwei Seiten einer Medaille begreifen. Statt ihren Machtkampf auf dem Rücken der Postdocs auszutragen, sollten sie sich jetzt beherzt an eine konstruktive Umsetzung des Gesetzes machen. Die GEW und ihre Vertreterinnen und Vertreter in akademischen Gremien und Personalräten helfen dabei gerne“, so der GEW-Hochschulexperte.

Unterdessen hat sich der im Dezember gewählte neue rot-grün-rote Senat unter Leitung der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) zu der Neuregelung bekannt. „Haushaltsfinanzierte, promovierte Wissenschaftler*innen in Mittelbau und Professorenschaft erhalten nach der zweiten Qualifikationsphase grundsätzlich eine Perspektive auf Entfristung, wenn sie sich in einem qualitätsgesicherten Verfahren bewähren“, heißt es unmissverständlich im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linken.

Die Koalition werde die Berliner Hochschulen bei der Umsetzung des Gesetzes „unterstützen und notwendige gesetzliche Präzisierungen vornehmen“. Dem Vernehmen nach geht es dabei um eine Übergangsregelung, die den Hochschulen die Umstellung erleichtert.