BAföG
„Enttäuschender Beschluss“
Studierende haben keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf BAföG in Höhe des Existenzminimums. Das entschied das Bundesverfassungsgericht. Die GEW kritisiert den Beschluss und fordert eine strukturelle Erneuerung der staatlichen Studienförderung.
Dass die Höhe des BAföG-Regelsatzes unterhalb der Höhe des Existenzminimums liegt, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Das geht aus einem Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts von Ende September hervor, der am 30. Oktober veröffentlicht wurde. Der Anspruch auf eine existenzsichernde Studienförderung bestehe nicht, da Studierende eine existenzsichernde Arbeit aufnehmen könnten, auch wenn dann unter Umständen das Studium aufgegeben werden müsse.
„Der Beschluss mutet Studierenden zu, ihr Studium abzubrechen, wenn sie dafür keine ausreichende Finanzierung haben.“ (Andreas Keller)
Hintergrund der Entscheidung ist der Fall einer Studentin, die sich an das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gewandt hatte. Sie wollte dort eine höhere Förderung einklagen, weil sie die Höhe des Regelsatzes für verfassungswidrig hielt. Die Leipziger Richter setzten das Verfahren aus und legten den Fall dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor.
„Der Beschluss ist enttäuschend. Der Erste Senat hat das Grundrecht auf eine menschenwürdige Existenz und Berufswahlfreiheit sehr restriktiv ausgelegt“, kommentierte Andreas Keller, stellvertretender GEW-Vorsitzender und Hochschulexperte die Entscheidung der Karlsruher Richterinnen und Richter. „Der Beschluss mutet Studierenden zu, ihr Studium abzubrechen, wenn sie dafür keine ausreichende Finanzierung haben.“
„Die unzureichende Finanzierung von Studierenden gefährdet die Bildungsgerechtigkeit und verfestigt soziale Ungleichheit." (Erik Zander)
Kritik kommt auch vom Bundesausschuss der GEW Studierenden (BAGS). „Die unzureichende Finanzierung von Studierenden gefährdet die Bildungsgerechtigkeit und verfestigt soziale Ungleichheit", kommentierte Erik Zander, Mitglied im Sprecher*inteam des BAGS, die Entscheidung des Gerichts. „Gerade Menschen aus finanziell benachteiligten Familien werden strukturell benachteiligt bleiben. Ein Bildungssystem, das nur denen echten Zugang ermöglicht, die es sich leisten können, widerspricht dem Grundsatz der Chancengleichheit und steht einer echten Bildungsgerechtigkeit im Wege.“
Soziale Lage der Studierenden dramatisch
Keller erinnerte daran, dass die soziale Lage der Studierenden „dramatisch“ sei. „Über ein Drittel der Studierenden müssen mit monatlichen Gesamteinnahmen unter 800 Euro zurechtkommen. Die staatliche Ausbildungsförderung deckt nur noch einen Bruchteil der Lebenshaltungskosten der Studierenden, nur zwölf Prozent erhalten überhaupt noch BAföG. Fast zwei Drittel aller Studierenden erwerbstätig und zwar im Durchschnitt 15 Stunden pro Woche,“ sagte er mit Blick auf die 2023 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung veröffentlichten Ergebnisse der 22. Sozialerhebung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden in Deutschland. „Davor darf die Bundesregierung nicht länger die Augen verschließen und muss die Weichen für eine strukturelle Erneuerung der Ausbildungsförderung stellen“, mahnte der GEW-Vize.
„Andere staatliche Leistungen wie die Renten, das Wohngeld oder das Bürgergeld werden automatisch erhöht, das BAföG nicht.“ (Matthias Anbuhl)
Das ergebe sich auch aus dem vorliegenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, so Keller weiter. Der Erste Senat habe ausdrücklich den sich aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes ergebenden verfassungsrechtlichen Auftrag des Staates zur Förderung gleicher Bildungs- und Ausbildungschancen hervorgehoben und den politischen Ermessenspielraum von Bundestag und Bundesregierung betont. „Ich erwarte daher von der Bundesregierung, dass sie den verfassungsrechtlichen Auftrag besonders ernst nimmt.“
Ähnlich argumentierte auch der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Studierendenwerks, Matthias Anbuhl. „Nach diesem Beschluss ist klar: Ob die BAföG-Förderung für Studierende ausreichend ist, ist eine politische Entscheidung. Sie muss im Parlament und nicht vor Gericht geklärt werden.“ Der Handlungsdruck bleibe hoch, denn der BAföG-Grundbedarf hinke dem Unterhaltsanspruch junger Menschen hinterher. „Andere staatliche Leistungen wie die Renten, das Wohngeld oder das Bürgergeld werden automatisch erhöht, das BAföG nicht.“
Förderungshöchstbetrag unter 1.000 Euro im Monat
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) erklärte, der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts unterstreiche, dass der Bundestag beim BAföG seinen sozialpolitischen Gestaltungsspielraum nutzen müsse. Zwar lasse sich aus dem Grundgesetz kein unmittelbarer Anspruch auf eine bildungsspezifische Sozialleistung ableiten. „Wenn das Parlament aber dem eigenen Anspruch beim BAföG gerecht werden will, muss diese Förderung substanziell ausfallen.“
Das BAföG war zuletzt zum laufenden Wintersemester angehoben worden. Der sogenannte Grundbedarfssatz für die rund 635.000 BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger stieg um fünf Prozent auf 475 Euro im Monat; er liegt damit unterhalb der Höhe des Grundbedarfs beim Bürgergeld von aktuell 563 Euro. Für Studierende, die nicht mehr zu Hause wohnen, wuchs die Wohnkostenpauschale auf 380 Euro an. Der Förderungshöchstbetrag stieg von 934 Euro um 58 Euro auf 992 Euro. Studienanfänger unter 25 Jahren aus ärmeren Haushalten haben zudem Anspruch auf eine einmalige Studienstarthilfe in Höhe von 1.000 Euro.
Info:
Gegenüber dem Bundesverfassungsgericht hatte die GEW gemeinsam mit dem freien zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) und dem Hamburger Rechtsanwalt Joachim Schaller ausführlich Stellung genommen.