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"Entschulungsprojekte" für konstruktiven Umgang mit Pubertät

Der Bielefelder Erziehungswissenschaftler Eiko Jürgens fordert neue schulische Rahmenbedingungen für Pubertierende: Ihre erweiterte Denk- und Reflexionsfähigkeit wollten junge Menschen "in echten Erfahrungsräumen nutzen".

Die Ansichten über Pubertät scheinen von Pessimismus und düsteren Schlussfolgerungen geprägt, nicht zuletzt wenn sich Schule zu Wort meldet. Aber: Pubertierende lassen nicht nur gerade ihre Kindheit hinter sich zurück. Der facettenreiche und durchaus wechselhafte Prozess, sich um- und neu zu orientieren, ist auch mit zahlreichen größeren und kleineren Loslösungen verbunden. Diese Prozesse verlaufen für den Einzelnen und dessen Umfeld oft recht konflikthaft und anstrengend. Kurzum - eine schwierige Zeit für alle Beteiligten.

Pubertät ist aber auch anders. Anders als es altbekannte, immer wieder ins Spiel gebrachte Meinungen und Vorurteile glauben machen wollen. Das geflügelte Wort, dass mit Beginn der Pubertät Lehrerinnen und Lehrer anfangen "schwierig" zu werden, kehrt die Zuschreibung von den "schwierigen Schülerinnen und Schülern" in ihr Gegenteil - nach dem Motto: "Wer ist das Problem? Wer hat das Problem?" Sind es die schulischen Verhältnisse, die Jugendliche im Übergang von Kindsein zum Erwachsenwerden in besonders komplizierte Individuen verwandeln? Da diese so gar nichts mehr mit Schule am Hut haben wollen? Oder ist es die Pubertät, die die Mädchen und Jungen an einem gedeihlichen Auskommen mit Schule und Unterricht hindert, weil auf nachlassende Lernfreude und sinkende Leistungsbereitschaft zunehmende Distanzierung erfolgt?

Gewiss - die schulischen Rahmenbedingungen könnten andere sein, wenn der Blick Lehrender auf die Chancen und Entwicklungsaufgaben junger Menschen gerichtet wäre statt auf deren vermeintliche Problemlagen. Darum ist es wichtig, die Lern- und Lebensbedürfnisse Jugendlicher zu respektieren und den Unterricht attraktiver, identitätsstiftender und gegenwartsnäher zu gestalten.

Leistungsfähigkeit nimmt nicht ab, sondern deutlich zu

Einerseits brauchen die Zwölf- bis 15-Jährigen genug Raum und viele Gelegenheiten zur Emanzipation, damit sie ihre neugewonnene Unabhängigkeit erproben und beweisen können. Andererseits zeichnet sich ihr Verhalten dadurch besonders aus, dass sie Belehrungen und Ratschlägen ausweichen oder diese ignorieren. Deshalb bedarf es schulischer Rahmenbedingungen, die einen produktiven Umgang mit dem auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Leistungsparadoxon ermöglichen, das für die Pubertät charakteristisch ist. Demnach nimmt die Leistungsfähigkeit nicht ab, sondern deutlich zu. Gleichzeitig fällt es jungen Menschen schwer, abzuschätzen, wie das eigene Handeln nach außen wirkt oder sich in die Gefühlswelt der Mitmenschen hineinzuversetzen. Negatives Feedback kann heftige Reaktionen hervorrufen, positive Rückmeldungen werden hingegen oft unterbewertet.

Pubertierende lernen das, was für sie subjektiv Sinn macht und was sie als bereichernd empfinden. Ihre erweiterte Denk- und Reflexionsfähigkeit wollen junge Menschen in echten Erfahrungsräumen nutzen, nicht aber in der künstlichen Situation von "Als-ob"-Problemen eines traditionellen Unterrichts.

"Entschulungsprojekte" mit klarem Gegenwarts- und Handlungsbezug können genauso helfen, mit Pubertät konstruktiv umzugehen, wie Lernumgebungen eines fächerverbindenden und -übergreifenden Unterrichts zu schaffen. Mit dem Landbau-Angebot zeigt beispielsweise die Jugendschule Schlänitzsee in Brandenburg, dass Projektlernen nur dann ein pubertätsadäquates Arbeitsformat ist, wenn es als komplementäres Konzept in die Gesamtstruktur einer reformierten Didaktik integriert wird. Verantwortung und Autonomie in die Hände Heranwachsender zu legen, indem Lehrkräfte schulisches (Fach-)Wissen und lebensweltliche Kompetenzen thematisch verbinden, könnte der Schlüssel zum Erfolg sein.

Eiko Jürgens, Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Bielefeld