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Interview

„Entscheidend ist, irre gut zuzuhören“

In der GEW-Zeitschrift „DDS – Die Deutsche Schule“ beschreiben Maren Krempin, Simon Moses Schleimer und Jana Voigtländer von der Robert Bosch Stiftung, dass Widerstand gegen Veränderungsprozesse an Schulen konstruktiv genutzt werden kann.

Simon Moses Schleimer (Foto: David Weyand)
  • E&W: Veränderungsprozesse in Schulen stoßen immer wieder auf Widerstände der Lehrerinnen und Lehrer. Was löst nach Ihren Beobachtungen solche Widerstände aus?

Simon Moses Schleimer: Auslöser für Widerstände in schulischen Veränderungsprozessen sind vielfältig. Sie können durch schulinterne Faktoren ausgelöst werden, beispielsweise veränderte Bedarfe der Schülerinnen und Schüler, auf die Schulleitungen reagieren müssen. Aber auch äußere Faktoren wie drohende Schulschließungen oder bildungspolitische Reformen, die eine Veränderung erfordern, können zu Widerständen in den Kollegien führen.

  • E&W: Wie reagieren Ihren Beobachtungen nach Lehrerinnen und Lehrer auf solche Veränderungen?

Schleimer: Lehrerinnen und Lehrer reagieren unterschiedlich. Vielen bereitet Veränderung verständlicherweise erstmal Unbehagen. Dies vor allem dann, wenn die Veränderungen von außen an die Schule herangetragen werden. Eine Reaktion Einzelner oder von Gruppen kann sein, dass sie sich gegen die Veränderungen wehren und sich in eine Haltung des Widerstands begeben.

  • E&W: Wie sieht dieser Widerstand aus?

Schleimer: Auch das ist ganz unterschiedlich. Manche ziehen sich zurück, andere äußern ihren Protest offen. Gemeinsamer Nenner ist die Haltung, den Status quo in ihrer Schule erhalten zu wollen. Aus der Forschung wissen wir, dass Veränderungsprozesse an Schulen fast nie widerstandsfrei laufen, das kann und darf auch nicht das Ziel solcher Prozesse sein. Widerstände sind wichtige und hilfreiche Indikatoren für den Prozess der Schulentwicklung. So kommt es darauf an, die Vorbehalte der Lehrerinnen und Lehrer konstruktiv zu nutzen. Denn dadurch können Rückschlüsse auf „falsche“ Vorgehensweisen in der Gestaltung der Veränderungsprozesse gezogen werden.

  • E&W: Das heißt, Widerstände entstehen vor allem dann, wenn Veränderungsprozesse nicht aus der Schule selbst angestoßen werden, sondern von außen quasi aufgedrängt werden?

Schleimer: Es ist schwierig, wenn Veränderungen „top down“ erfolgen. Veränderungen können nur gelingen, wenn alle Beteiligten in den Schulen so früh wie möglich beteiligt werden. Bei den Gewinnerschulen des Deutschen Schulpreises beobachten wir, dass gerade jene besonders erfolgreich und vorbildhaft sind, die die „Kultur des Veränderns“ quasi in ihr Schulprogramm implementiert haben.

  • E&W: Im aktuellen Heft der Zeitschrift „DDS – Die Deutsche Schule“ beschreiben Sie das Thema am Beispiel der Heinz-Brandt-Schule in Berlin, die 2011 Trägerin des Deutschen Schulpreises wurde. Auslöser des Widerstands im dortigen Kollegium war der Umbau von einer Haupt- zu einer Integrierten Sekundarschule. Welche Lehren lassen sich aus dem Beispiel der Heinz-Brandt-Schule für Veränderungsprozesse ziehen – und lassen sich diese verallgemeinern?

Schleimer: Dieser von außen an die Schule herangetragene Veränderungsauftrag löste in Teilen des Kollegiums Widerstände aus, die sich teils in Demotivation, teils in Zurückhaltung oder sogar Abwehr äußerten. Dahinter verbargen sich unterschiedliche Gründe. Manche Lehrkräfte sorgten sich, dass sie dieser Aufgabe, die Schule in eine Sekundarschule zu transformieren, nicht gerecht werden können. Andere fragten sich, ob die Unterrichtsqualität während eines so großen Veränderungsprozesses gewährleistet werden kann. Preisträger wie die Heinz-Brandt-Schule zeichnet aber ihr Selbstverständnis als „lernende Institution“ aus.

  • E&W: Wie ging die Leitung der Heinz-Brandt-Schule mit dem Problem um?

Schleimer: Es wurde von Beginn an das gesamte Kollegium in den Veränderungsprozess einbezogen. Entscheidend für die Akzeptanz war zudem, dass Kommunikationsstrukturen und Entscheidungsprozesse immer wieder transparent gemacht und bei Bedarf verändert wurden. Für die Schulleitung hieß das: „Entscheidend ist, irre gut zuzuhören.“

  • E&W: Den Deutschen Schulpreis, der jährlich von der Robert Bosch Stiftung zusammen mit der Heidehof Stiftung und in Kooperation mit der ARD und der ZEIT Verlagsgruppe ausgelobt wird, gibt es seit 2006. Sind die ausgezeichneten Schulen alles Leuchtturmschulen oder tut sich auch etwas in der Breite?

Schleimer: In den vergangenen Jahren ist eine Menge passiert. Natürlich kann ein Konzept nie eins zu eins in anderen Schulen umgesetzt werden, aber die prämierten Schulen haben schon einen Vorbildcharakter für andere Einrichtungen. Die Robert Bosch Stiftung bereitet die ausgezeichneten Konzepte gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf und macht sie beispielsweise über das Deutsche Schulportal allen Schulen verfügbar. So können sich gute Ideen aus der Praxis verbreiten und anderen Schulen einen Impuls zur eigenen Schulentwicklung geben. Wir wünschen uns natürlich, dass sich noch viel mehr Schulen auf den Weg machen und Veränderungen einleiten. 

Der Beitrag „Entscheidend ist, irre gut zuzuhören“ ist in der aktuellen „DDS – Die Deutsche Schule“, Heft 1/2023, erschienen.