Reform der Lehrkräfteausbildung
„Entscheidend ist das Lernen im Beruf“
Was muss sich in der Lehrerfortbildung ändern? Fragen an den Erziehungswissenschaftler Prof. Ewald Terhart. Schon 1998/99 leitete er eine Kommission zur „Gestaltung einer zukunftsorientierten Lehrerausbildung“ der Kultusministerkonferenz (KMK).
- E&W: Spätestens seit der Bologna-Reform* ist die Lehrkräftebildung eine Reformbaustelle. Generell gefragt: Stimmt die Richtung?
Prof. Ewald Terhart: Insgesamt sind die Lehramtsstudiengänge stärker und vor allem zielbezogener strukturiert worden. Dazu gehört auch, dass die bildungs- und erziehungswissenschaftlichen Anteile teilweise ausgebaut wurden und Elemente von Inklusion bis Digitalisierung stärker berücksichtigt werden.
- E&W: Gilt das auch für den Umgang mit einer -zunehmend heterogenen Schülerschaft?
Terhart: Ja, das Themenfeld Diversität – Heterogenität – Multikulturalität ist deutlich stärker vertreten, auch in den Pflichtbereichen. Allerdings gilt all das eher für die bildungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Anteile, die selten mehr als ein Drittel des Studiums ausmachen – oft weit weniger.
- E&W: Ist das zu wenig?
Terhart: Es ist immer zu wenig. Doch ein Umschichten an den Hochschulen ist extrem umstritten, die fachlichen Studienanteile müssen selbstverständlich auch angemessen sein. Andererseits lassen sich konkrete Kompetenzen im Umgang mit wachsender Heterogenität im Studium auch nur begrenzt erwerben. Aus meiner Sicht wäre viel gewonnen, wenn die Universitäten und die Studienseminare stärker zusammenarbeiteten, sodass es über die erste und zweite Phase hinweg zu einer kohärenten berufsbiografischen Erfahrung kommt. Allerdings: Um in den Schulen, in den Klassenzimmern Veränderungen auszulösen, auch was das Thema Heterogenität angeht, muss mit den bereits im Schuldienst aktiven Lehrkräften gearbeitet werden.
- E&W: Das heißt, es braucht mehr Fortbildung?
Terhart: Unbedingt. Das Lernen im Beruf ist der entscheidende Schlüssel für die Stabilisierung, Verbesserung und Aktualisierung der beruflichen Fähigkeiten. Außerdem erreicht nur kontinuierliche Fortbildung das schulische Personal direkt. In Zeiten eines raschen gesellschaftlichen Wandels ist sie wichtiger als je zuvor.
- E&W: Was sollte geschehen?
Terhart: Im Grunde müsste man die Gewichte und auch die Zeiten anders verteilen: Die Erstausbildung ist – auch im internationalen Vergleich – aufwändig, stark staatlich geregelt und sehr lang. In die Fortbildung hingegen wird – auch im Vergleich zu anderen Berufen – kaum investiert, nur zwei Bundesländer legen ein Pflicht-Stundenkontingent fest. Die Teilnahmebereitschaft könnte ausgeprägter, das Angebot besser sein; auch wenn in den zurückliegenden Jahren einiges geschehen ist. Nicht so optimistisch stimmt, dass im Koalitionsvertrag der Bundesregierung zwar von einer von Bund und Ländern zu gründenden „Koordinierungsstelle Lehrkräftefortbildung“ die Rede ist – man aber weiter nichts davon gehört hat. Ich bin gespannt, was die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der KMK in ihrem für den Herbst erwarteten Gutachten zur Reform der Lehrkräftebildung sagen wird.
- E&W: Lehrkräfte berichten oft, ihnen werde -geraten, sich in ihrer Freizeit fortzubilden.
Terhart: Fortbildung ist Beruf, sie muss in der Arbeitszeit stattfinden! Das bedeutet, dass es Stundendeputate brauchte, die eine berufsbegleitende Weiterbildung möglich machen – was in Zeiten des Lehrkräftemangels eine umso größere Herausforderung ist. Generell gilt: Seit der Corona-Pandemie, dem Hinzukommen geflüchteter ukrainischer Schülerinnen und Schüler und in Zeiten eines so großen Lehrkräftemangels ist das Klima für Innovationen in Richtung Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie Lehrkräftefortbildung äußerst ungünstig! Das kann man von Schul- wie Lehrkräfteseite durchaus nachvollziehen. Doch es trifft sich sehr unglücklich mit einer Zeit, in der viel geschieht.
- E&W: Reagiert die Lehrkräftebildung angemessen auf die steigende Zahl der Quer- und Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger?
Terhart: In anderen Ländern sind sogenannte non standard teachers ganz normal, auch in Deutschland hat man etwa in beruflichen Schulen schon immer auf Quereinsteigende gesetzt. Auch müssen diese nicht schlechter sein. Laut einer aktuellen Studie erkennen Schülerinnen und Schüler im Unterricht keinen Qualitätsunterschied zwischen regulär und quer Eingestiegenen. Insgesamt muss man sich den Quereinstieg ins Lehramt also zunehmend als Teil der Normalität vorstellen. Was es allerdings braucht, sind gute Modelle der Professionalisierung.
- E&W: Berufsbegleitend, während sie schon -unterrichten?
Terhart: Ja. Einerseits ist es unverantwortlich, Menschen unbegleitet und unvorbereitet in den Unterricht zu schicken, andererseits haben wir für eine gründliche Erstausbildung in der derzeitigen Lage schlicht nicht die Zeit. Es braucht sinnvolle Qualifizierungsmodelle neben dem Beruf – und dies von Institutionen, die das als ihre Aufgabe begreifen.
- E&W: Was meinen Sie damit?
Terhart: Zurzeit lässt sich hierbei ein der Sache nicht dienlicher Trend beobachten, nach dem Motto „Das fassen wir nicht an, das ist Deprofessionalisierung“. Das mag systematisch gesehen so sein – aber wem nutzt es, an einem Niveau festzuhalten, wenn die Bude brennt? Da kann man nicht sagen: „Mach bitte erst einmal zehn Scheine in zwei Fächern, dann sprechen wir uns wieder.“
- E&W: Wer soll es machen?
Terhart: Im Grunde sind auch hier wieder die Studienseminare gefragt – aus dem einfachen Grund, dass Reformen an Universitäten schlicht zu lange dauern.
- E&W: Die Bildungsbenachteiligung der Kinder aus finanziell schwachen, oft zugewanderten Gruppen ist seit Jahrzehnten eines der größten Probleme in Deutschland. Es gibt Hinweise, dass Lehrkräfte diese bei Bewertungen wie Schulempfehlungen eher -verfestigen als beheben.
Terhart: Die fast schon sprichwörtliche Fragwürdigkeit der Zensurengebung ist in dem Faktoren-Bündel für Bildungsungerechtigkeit nur ein Element – indes eines, das auch aktuelle Studien belegen. Vorstellungen über Leistung kommen hier ebenso zum Tragen wie über die Entwicklungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler. Auch Voreinstellungen gegenüber „fremden“ Milieus bestehen weiterhin. Ich sage das nicht moralisierend – menschliches Urteilen unterliegt Fehlern und möglichen Einseitigkeiten. Umso wichtiger ist, dass Lehrkräfte in der Ausbildung sowie im Rahmen von Fortbildungen, Schulentwicklung und kollegialer Kommunikation eine Sensibilität für still mitlaufende Urteilstendenzen entwickeln. Ein ideales „reines“ Lehrerurteil gibt es nicht – doch dass das so ist, sollte vermittelt werden.
*Als Bologna-Prozess wird eine auf die europaweite Vereinheitlichung von Studiengängen und -abschlüssen sowie auf die internationale Mobilität der Studierenden zielende transnationale Hochschulreform bezeichnet, die einen einheitlichen Europäischen Hochschulraum schaffen will. Der Begriff geht auf eine 1999 von 29 europäischen Bildungsministerinnen und -ministern im italienischen Bologna unterzeichnete politisch-programmatische Erklärung zurück.