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Coronapandemie

Kritik an Empfehlungen der Leopoldina

Die nationale Wissenschafts-Akademie Leopoldina rät, Schulen „sobald wie möglich“ wieder zu öffnen. Die GEW sieht die Empfehlungen skeptisch: „Viele Vorschläge gehen an der Realität in den Bildungseinrichtungen vorbei.“

Foto: Pixabay / CC0

In der Debatte um eine Wiederöffnung von Schulen und Kitas kritisiert die GEW die Empfehlungen der Wissenschafts-Akademie Leopoldina als „bedingt hilfreich“ und „wenig praktikabel“. „Viele Vorschläge gehen an der Realität in den Bildungseinrichtungen vorbei. Sie entsprechen zudem nicht dem Bildungsauftrag etwa der Kitas und Schulen, da sie lediglich Übergänge und Prüfungen in den Blick nehmen“, sagte die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe am Dienstag in Frankfurt am Main.  

Die vorgeschlagene räumliche Trennung der Kita-Kinder sowie der Schülerinnen und Schüler scheitere in vielen Einrichtungen an fehlenden Räumlichkeiten. Da die meisten Klassenräume sehr eng seien, könnten 15 Schülerinnen und Schüler nicht wie empfohlen mindestens 1,5 Meter Abstand halten. Angesichts des Lehrkräftemangels und eines hohen Anteils von Pädagoginnen und Pädagogen sowie Erzieherinnen, die zur Risikogruppe gehörten, sei ein Schichtbetrieb an vielen Einrichtungen nicht möglich.  

„Die Empfehlung, Schutzmasken zu tragen, muss umzusetzen sein, sprich: Masken müssen in ausreichender Zahl zur Verfügung gestellt werden.“ (Marlis Tepe)

Die Bildungsgewerkschaft fordert vor einer Öffnung der Einrichtungen eine ausreichende Vorlaufzeit. Die Schulen müssten die Unterrichtsplanung, Raumaufteilung und sanitäre Überprüfung vornehmen und dies dann durch einen Gesundheitscheck des Gesundheitsamtes freigeben lassen. „Die Empfehlung, Schutzmasken zu tragen, muss umzusetzen sein, sprich: Masken müssen in ausreichender Zahl zur Verfügung gestellt werden“, betonte Tepe. Ungeklärt sei die Frage des Schülertransports: Im öffentlichen Nahverkehr könne die Gefahr von Infektionen kaum minimiert werden.

Die GEW-Vorsitzende bekräftigte: „Damit die Arbeit in Schulen und Kitas wieder Stück für Stück in Gang kommen kann, muss ein Bündel von Bedingungen erfüllt sein: Dabei spielt der Gesundheitsschutz des gesamten Personals sowie der Schülerinnen und Schüler die zentrale Rolle.“ Politik, Behörden und Träger müssten das Thema Hygiene zur Chefsache machen und die hygienischen Verhältnisse an den Einrichtungen nachhaltig verbessern und für einen effektiven Infektionsschutz sorgen. „Das darf nicht am Geld scheitern.“ 

Grüne wollen Schulen stufenweise öffnen

Mit Blick auf die Hochschulen wertete Tepe die GEW die von der Leopoldina vorgeschlagen Blended-Learning-Angebote, die Präsenz- und Onlinelehre kombinieren, als sinnvoll. Die Hochschulen seien weder technisch noch didaktisch auf ein digitales Lehrangebot für alle Studiengänge vorbereitet. Aktuell könne die Präsenzlehre daher nicht vollständig durch Onlinekurse ersetzt werden. Hochschulen und Lehrende müssten dabei unterstützt werden, digitale Lehr- und Lernformate zu entwickeln und die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen. 

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten beraten am Mittwoch darüber, wie nach dem 19. April verfahren wird. Die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck plädieren laut einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur dafür, Schulen und auch Kitas nach und nach wieder zu öffnen - begleitet von Vorsichtsmaßnahmen. In einem Brief an die Parteimitglieder, welcher der dpa vorliegt, schrieben sie: „Abschlussklassen sollten als erste wieder in die Schulen.“ Auch die Klassen eins bis sechs sollten Priorität haben, weil die Betreuung der jüngeren Schüler besonders wichtig sei. 

„Kitas sollten schrittweise geöffnet werden“ - erst für Kinder mit einem Elternteil in sogenannten systemrelevanten Berufen, dann auch für andere, vor allem an Orten mit geringen Infektionszahlen. Sowohl für Schüler als auch Kita-Kinder schlagen Baerbock und Habeck vor, Gruppen aufzuteilen, um sie zu verkleinern.

„Die Vorschläge, erst einmal die ältesten Kitakinder, die ‚Abschlussklassen‘ der Grundschulen sowie die Schülerinnen und Schüler der Sek. I in die Einrichtungen zu schicken, zeigen, dass Schule immer noch in erster Linie von den Zensuren und Prüfungen her gedacht wird.“

Die GEW sieht solche Klassifizierungen teils skeptisch: „Die Vorschläge, erst einmal die ältesten Kitakinder, die ‚Abschlussklassen‘ der Grundschulen sowie die Schülerinnen und Schüler der Sek. I in die Einrichtungen zu schicken, zeigen, dass Schule immer noch in erster Linie von den Zensuren und Prüfungen her gedacht wird – und nicht von einem umfassenden Bildungsbegriff ausgegangen wird“, sagte Tepe. Die Vorschläge böten keine Hilfe im Umgang mit sozialen Benachteiligungen, die durch die Kita- und Schulschließungen verstärkt werden. 

Nordrhein-Westfalens Familienminister Joachim Stamp (FDP) betonte unterdessen, er erwarte keine Rückkehr zu normal geöffneten Schulen und Kitas sofort nach den Osterferien. „Ich halte es für ausgeschlossen, dass schon am kommenden Montag Schulen und Kitas wieder regulär öffnen“, sagte er der „WAZ“ (Dienstag). Mit den Kitaträgern werde über einen Stufenplan gesprochen, ein Maßnahmenkatalog mit Hygieneregeln werde vorbereitet. 

Leopoldina will Schulen „sobald wie möglich“ öffnen

Die nationale Wissenschafts-Akademie Leopoldina hatte am Montag für einen „realistischen“ Zeitplan zurück zur Normalität plädiert. Die einflussreichen Expertinnen und Experten empfahlen, Schulen „sobald wie möglich“ wieder zu öffnen - angefangen bei Grundschulen sowie Unter- und Mittelstufen. Kitas sollten bis zu den Sommerferien im Notbetrieb bleiben und nur Fünf- bis Sechsjährige mit höchstens fünf Kindern im Raum auf den Übergang in die Grundschule vorbereitet werden.

Die Leopoldina nannte allerdings auch zahlreiche Voraussetzungen, damit das öffentliche Leben wieder normaler ablaufen könne: Die Zahl der Neuinfektionen müsse sich auf niedrigem Niveau stabilisieren. Kliniken bräuchten genug Reserve. Schutzmaßnahmen wie Hygiene, Abstandsregeln und auch das Tragen von Schutzmasken müssten eingehalten werden. Dann könnten Einzelhandel und Gastgewerbe wieder öffnen, Menschen wieder reisen. Für den öffentlichen Personenverkehr empfehlen die Wissenschaftler eine Mundschutz-Pflicht.