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„Eltern sollten keine Hilfslehrer sein“

Hausaufgaben sind eine Angelegenheit zwischen Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern. Doch zu Hause kommen die Eltern mit ins Spiel. Ihre Unterstützung kann sinnvoll sein, aber auch Schaden anrichten.

Monika Baltes (23) kennt das Konfliktpotenzial von Hausaufgaben. Drei Jahre lang hat die Lehramtsstudentin aus Rheinland-Pfalz in der Hausaufgabenbetreuung gearbeitet. Sie hat versucht, Kinder nach einem langen Schultag zu motivieren. Dabei hat sie Eltern beobachtet, die sich kaum einmischen. Und sie hat Mütter und Väter erlebt, die die Aufgaben am liebsten selbst gemacht hätten. „Es gibt das ganze Spektrum“, sagt Baltes, „Eltern, die ihre Kinder überbehüten, und Eltern, die gar keine Zeit oder Möglichkeit haben, zu helfen.“ Baltes hat sich intensiv mit den Vor- und Nachteilen elterlicher Hausaufgabenhilfe auseinandergesetzt. Ihr Fazit: „Hausaufgaben sind Sache des Kindes. Aber wenn es Probleme gibt, sollten Eltern als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.“ Damit das zu Hause auch gut klappt, müssten Eltern und Lehrkräfte eng kooperieren. „Meistens beschäftigen sich Lehrerinnen und Lehrer aber erst dann mit der Hausaufgabensituation, wenn es Schwierigkeiten gibt“, kritisiert sie. Dabei sollten Mütter und Väter von der ersten Klasse an wissen, welche Ziele Hausaufgaben haben und welche Rolle sie als Eltern im Lernprozess spielen können.

In der Bildungsforschung ist umstritten, ob Eltern ihren Kindern Gutes tun, wenn sie bei den Hausaufgaben helfen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von „lernförderlichen“ und „lernhemmenden“ Verhaltensweisen. Letztere kennen viele Familien aus leidvoller Erfahrung: Wenn Mütter und Väter eingreifen, endet die gut gemeinte Hilfe oft im Streit – etwa weil sie Aufgaben anders erklären als in der Schule, weil Eltern schnell ungeduldig werden oder weil es am Küchentisch zu hektisch ist zum Lernen.

Jutta Standop, Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Trier, kennt die Konflikte. „Eltern sollten keine Hilfslehrkräfte sein. Viele meinen es gut, aber setzen ihre Kinder unter Druck. Das belastet die Eltern-Kind-Beziehung und außerdem ist die Lernwirkung sehr gering“, konstatiert die Professorin. Allerdings räumt sie ein, dass sich die Forschung zur elterlichen Hausaufgabenhilfe schwer tut mit einheitlichen Befunden. Denn die Bedingungen, unter denen Kinder zu Hause lernen, sind so unterschiedlich, dass die Studien kaum vergleichbar sind. In einem Punkt sind sich die Forscher aber einig: Je selbstständiger Kinder ihre Aufgaben erledigen, desto besser lernen sie. Eltern wiederum können ihre Kinder unterstützen, indem sie eine gute Arbeitsatmosphäre schaffen und Interesse fürs Lernen zeigen, ohne Lösungen zu präsentieren.

„Wenn Eltern ihren Kindern helfen müssen, dann sind Hausaufgaben nicht richtig gestellt.“ (Ilka Hoffmann, GEW-Schulexpertin)

Soweit die Theorie. In der Praxis liegt nach Ansicht von Forscherin Standop aber nicht nur in den Elternhäusern einiges im Argen, sondern in der Schule. „Eltern versuchen auch deshalb einzugreifen, weil Lehrkräfte Hausaufgaben nicht sinnvoll planen.“ Anstatt in den letzten Unterrichtsminuten Aufgaben zu geben, müssten sich Lehrkräfte mehr Zeit zum Erklären nehmen. Mit Blick auf immer heterogenere Klassen und unterschiedliches Lerntempo sagt Standop: „Wenn Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht differenzieren, dann müssen sie das auch bei den Hausaufgaben tun. Und ihnen sollte klar sein, mit welchem Ziel sie Aufgaben stellen.“

„Es fehlt an sinnvollen Strategien bei den Hausaufgaben“, sagt auch der Bildungswissenschaftler Ulrich Trautwein von der Universität Tübingen. Wenn ein Kind mit den Aufgaben nicht allein zurechtkommt, müsse die Schule die Ursachen suchen: Liegt es am fehlenden Vorwissen? Haben Lehrkräfte nicht gut erklärt? Stimmt die Motivation beim Kind nicht? Trautwein ist nicht grundsätzlich gegen die Hilfe der Eltern. Aber erstens müsse der Lernplan von der Schule kommen. Zweitens dürfe elterliche Hilfe nicht zur Dauereinrichtung werden. Trautwein hat bei verschiedenen Untersuchungen herausgefunden, dass die direkte Hilfe der Eltern viel weniger entscheidend ist als ihre Vorbildfunktion und positive Einstellung zum Lernen. Eine aktuelle Studie der Uni Tübingen zur Lernmotivation in Mathematik zeigt zudem, dass das grundsätzliche Interesse der Eltern für das Fach wichtiger ist als Beruf, Einkommen und Bildungsstand.

„Unterstützung ja, permanente Hilfe nein“ – das ist auch die Forderung der Erziehungswissenschaftlerin Ilka Hoffmann, für Schule verantwortliches GEW-Vorstandsmitglied. „Wenn Eltern ihren Kindern helfen müssen, dann sind Hausaufgaben nicht richtig gestellt“, sagt sie. Ebenso wie Forscherin Standop plädiert Hoffmann dafür, Hausaufgaben differenziert zu stellen. „Leider fehlt vielen Lehrerinnen und Lehrern wegen zu voller Klassen und hoher Unterrichtsverpflichtung die Zeit für sinnvolle Hausaufgabenkonzepte.“ Hoffmann kritisiert, dass das Thema in der Lehrkräfteausbildung fast keine Rolle spiele. Und der gesellschaftliche Druck sei enorm: „Lehrkräfte gelten als Kuschelpädagogen, wenn sie auf Hausaufgaben verzichten. Deshalb werden Hausaufgaben kaum hinterfragt.“