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Israel

Einzigartig - und mehr als Diplomatie

Seit mehr als fünf Jahrzehnten finden regelmäßig gemeinsame Seminare der GEW und ihrer israelischen Partnergewerkschaft Histadrut HaMorim zum pädagogischen Umgang mit dem Holocaust statt – diesmal während der Sommerferien in Tel Aviv.

Frauen waren beim 29. deutsch-israelischen Seminar in Tel Aviv in der Mehrheit (Foto: Matthias Köberle)

Manchmal ist es hilfreich, wenn jemand von außen einen Blick auf die Bedeutsamkeit des eigenen Tuns wirft: Der (israelische) Referent der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tel Aviv, Micky Drill, ordnete während des diesjährigen Seminars von GEW und Histadrut HaMorim diese seit über 50 Jahren stattfindenden Treffen ein in die Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen. Es war das 29. Begegnungsseminar der beiden Bildungsgewerkschaften, das abwechselnd in Israel und Deutschland stattfindet. Die Pionierarbeit der Gewerkschaften (und der beiden Arbeiterparteien) für den schwierigen Prozess der Annäherung und Verständigung der beiden Ländern könne nicht hoch genug eingeschätzt werden. Und die Seminare der GEW und ihrer israelischen Partnergewerkschaft stellten eine einzigartige Kontinuität dar, die weit bedeutsamer sei als der Besuch mancher „offizieller“ Delegationen. Drill appellierte an die Teilnehmer, die Tradition, in der sie stünden, sich und anderen bewusst zu machen und sie verantwortungsvoll weiterzutragen.

Persönliche Unterrichtserfahrungen stehen im Mittelpunkt

Ein besonderes Merkmal der Seminare ist, dass sie von den Teilnehmenden selbst gestaltet werden. Alle 30 TeilnehmerInnen müssen sich mit einem Thema bewerben und ihren Beitrag in Berlin oder Tel Aviv  präsentieren. Im Mittelpunkt steht immer der pädagogische Umgang mit dem Holocaust, meist auf der Grundlage eigener Schulprojekte oder Unterrichtserfahrungen. Es kann aber auch um Einzelaspekte der Shoah, des jüdischen Lebens heute oder der deutsch-israelischen Beziehungen gehen. In diesem Jahr gab es 15 Präsentationen, acht von israelischen und sieben von deutschen KollegInnen.

Von deutscher Seite wurde etwa ein Schulkonzept gegen Rassismus und Antisemitismus aus Hessen vorgestellt. Eine niedersächsische Kollegin zeigte, wie sie mit einem biografischen Konzept in der Sekundarstufe I Erinnerungsarbeit gestaltet. Holocaust-Verleugnung und deren Auswirkungen auf den öffentlichen Dialog wurde aus wissenschaftlicher Sicht dargestellt. Am Beispiel der Stadt Solingen präsentierte eine Gesamtschulkollegin die erfolgreiche Auseinandersetzung um ein Bildungszentrum, das an einem historischen Ort vor allem für die Erinnerungsarbeit mit SchülerInnen eingerichtet werden soll. Die Bedeutung der Zivilcourage Einzelner im Kampf gegen die Judenverfolgung zeigte eine japanische GEW-Kollegin anhand der Rettung von 20 000 Juden im besetzten China durch einen japanischen Diplomaten. Auf großes Interesse stieß eine Unterrichtseinheit für die Grundschule auf Basis einer Graphic Novel (über ein kleines Mädchen, das den Holocaust überlebt). Eine pensionierte Kollegin referierte über den Raub jüdischen Eigentums an Beispielen aus Hamburg.

Traurigkeit nimmt kein Ende

Der besondere Wert des Seminars liegt in den kollegialen und menschlichen Begegnungen der GewerkschafterInnen aus beiden Ländern, die zunächst über die Gespräche zustande kommen, die den Beiträgen folgen. Dabei ist ein großer Vorteil, dass nicht nur LehrerInnen aus allen Schulstufen, sondern auch ErzieherInnen oder UniversitätsdozentInnen teilnehmen. In Tel Aviv zeigte sich in diesem Jahr auch wieder, dass sehr schnell eine persönliche Ebene entstand, die sich oft aus den Familienbiografien der israelischen KollegInnen ergab. So wurde für die GEW-KollegInnen nachvollziehbar, wie Holocaust-Erfahrungen noch in der dritten Generation ihre Wirksamkeit entfalten (können): „Die Traurigkeit nimmt kein Ende“.

So unterschiedlich die individuellen Voraussetzungen bei den TeilnehmerInnen aus den beiden so verschiedenen Ländern auch sind (Schularbeit, Lebens-Alltag, Religion, Sicherheitslage etc), so eindeutig waren doch die gemeinsamen Bemühungen, eine umfassende Erziehung gegen Gewalt und Rassismus in jeder einzelnen Schule systematisch anzulegen – ob in Israel oder Deutschland. Die Mischung aus vielfältigen Unterrichtserfahrungen, pädagogischer Reflektion und empathischer Anteilnahme erzeugten eine ungewöhnliche, ja unvergessliche Atmosphäre.

Über das Seminar hinaus: Erlebnis der Vielfalt des Landes

Im Rahmenprogramm des Seminars und im Verlauf des Reiseprogramms in Israel erhielten die GEW-TeilnehmerInnen auch Einsichten in die Bildungs- und Gewerkschaftsarbeit und deren politische Implikationen: Der Besuch im Willy-Brandt-Zentrum (auf der Grünen Linie in Jerusalem) machte die aktuell schwierige politische Situation deutlich, die eine Bildungs- und Friedensarbeit mit israelischen, arabischen/palästinensischen und deutschen Jugendlichen fast unmöglich macht. Dabei müssen komplizierte Wege gegangen werden, z.B. indem gemeinsame Veranstaltungen für die drei Gruppen in Deutschland statt vor Ort – etwa in Jerusalem - stattfinden.

Der Sozialreferent der Deutschen Botschaft in Tel Aviv, Bernhard Schulz, erläuterte die Situation palästinensischer Arbeiter in Israel und wie deren Situation und Rechte durch Weiterbildungsprojekte von deutscher Seite unterstützt und gestärkt werden können. Er verschwieg aber auch nicht die aktuellen schwierigen Rahmenbedingungen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung stellte uns eine aktuelle Studie vor, die (veränderte) Einstellungen und Wertorientierungen israelischer Jugendlicher untersuchte. Es wurden auch kontroverse Thesen zum kommunikativen Verhalten bei deutsch-israelischen Schülerbegegnungen vorgetragen.

Im Rahmen der sechstägigen Reise durchs Land besuchten wir im (palästinensischen) Beit Jala bei Bethlehem auch die 150 Jahre alte Deutsche Schule „Talitha Kumi“, was „Steh auf, Mädchen“ bedeutet. Eindrucksvoll auch der gemeinsame Besuch in der Holocaustgedenstätte Yad Vashem und die bewegende Zeremonie am Gedenkort für Janusz Korczak.