Zum Inhalt springen

Lernen im Netz

Einfach machen

Mit dem Digitalpakt sollen Schulen besser für das 21. Jahrhundert ausgestattet werden. Doch beim Aufbau von Technik und Medien werden Lehrkräfte kaum mitgenommen. Wie ein hauseigener Digitalpakt gelingen kann, zeigt die Goethe-Schule in Schleiz.

Das Herz der Digitalisierung der Goethe-Schule Schleiz schlägt auf dem Dachboden. Unter dem Holzgebälk der thüringischen Gründerzeitschule wurde eine Wand maigrün gestrichen, als „Greenscreen“ für ein Fernsehstudio, in dem Jugendliche Nachrichten aus dem Schulleben aufnehmen. Ihr Titel: GNTN. Goethes Neuste Top News. In den grünen Hintergrund der Ansager bauen die Fernsehmacher per Computer Fotos und Videos ein. Die Beiträge können sich die Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler auf ihren Tablets ansehen, von denen jeder an der Schule eins hat – rund 220 iPads insgesamt.

„Einfach machen“ könnte über dem Eingang der Schleizer Schule stehen, die zu den 20 „Digitalen Pilotschulen“ in Thüringen gehört. „Wir probieren viel aus – und verwerfen manches wieder“, erzählt Schulleiter Toralf Hieb, ein wortgewandter, zupackender Mathe- und Physiklehrer, der seit 1989 an der Schule unterrichtet und sie seit 2012 leitet. Heute ist sie nicht nur eine von 20 „Digitalen Pilotschulen“ in Thüringen, sie ist auch bundesweit eine Wegbereiterin im Umgang mit Tablets und WLAN im Klassenzimmer, mit digitalem Notenbuch und interaktiven Arbeitsblättern. Der Digitalpakt kommt Schulleiter Hieb gerade recht: Er will vor allem Geld für bessere Studiotechnik beantragen. Zudem hofft er auf einen Glasfaseranschluss im nächsten Jahr, damit manches noch schneller geht.

An der Goethe-Schule wurde das Ende der Kreidezeit 2013 eingeläutet. Damals kam Florian Rau an die Schule, ein Referendar aus dem nahen Oberfranken. Der heute 36-Jährige hat in Jena studiert, er will etwas bewegen und begeistert sich für digitale Technik. Für den Wunsch, iPads einzuführen, berief er damals einen Elternabend ein und erntete Zustimmung. Im Sommer 2013 fanden sich in der Klassenstufe 7 erste Tablet-Klassen zusammen. Für den Einstieg in die neue Zeit nahm der Förderverein einen Kredit auf, bezahlt wurden die Tablets von den Eltern, denn das Budget der Schule reichte dafür nicht aus. Die Idee setzte sich nach und nach durch, mittlerweile arbeiten alle 7. bis 10. Klassen und alle Lehrkräfte mit Tablets. Die Apps und ihre Nutzung werden über den Administrator der Schule verwaltet, bei dem die Geräte angemeldet werden.

„Mit dem iPad kann man jeden Fachunterricht gestalten- Das Internet ist voll von Lern-Apps für jede Schulart, jedes Fach und jedes Alter.“ (Florian Rau)

Rau sitzt am Lehrertisch vor einer 9. Klasse, eine Schülerin schiebt die alte grüne Kreidetafel nach unten. Dahinter kommt ein riesiger 65-Zoll-Bildschirm zum Vorschein. Raus Finger fliegen über sein Tablet, er verbindet sich drahtlos mit dem großen Monitor in seinem Rücken und startet eine der vielen Apps, die auch die Schülerinnen und Schüler haben. Mit Google-Earth können sie die Erde erkunden, mit dem „Geotrainer“ einen Vulkanausbruch simulieren. Rau, begeisterter Geografielehrer, schiebt mit den Fingern die Plattentektonik auseinander und verändert den unterirdischen Lavastrom. „Mit dem iPad kann man jeden Fachunterricht gestalten“, sagt er. „Das Internet ist voll von Lern-Apps für jede Schulart, jedes Fach und jedes Alter.“ Von seinem Gerät aus kann der Lehrer die Tablets der Schüler ansteuern, sie auf die große Monitor-Tafel rufen oder auf eine App festlegen, sodass sie keine andere Anwendung nutzen können.

„Die Kolleginnen und Kollegen entscheiden selbst, wofür sie die Tablets einsetzen“, sagt Schulleiter Hieb. Die Anwendungen sind vielseitig. Mit Apps kann in Teams und Projekten gelernt werden, ältere Schülerinnen und Schüler können jüngeren etwas beibringen. Manchen Lernstoff eignen sich die Jugendlichen inzwischen selbst an – in der Schule werden vor allem Fragen besprochen und Übungen gemacht. „So kann man sehr gut nach dem Lernstand differenzieren“, sagt Hieb. Hausaufgaben lässt er sich manchmal zu einem festen Termin auf seinen Account schicken. Das iPad ist ihm dabei aber kein Ersatz für gute Pädagogik: „Wenn ich keine Disziplin in der Klasse habe, habe ich sie mit iPads auch nicht.“

„Wir wollen nicht, dass die Digitalindustrie den Schulen Konzepte überstülpt.“ (Ilka Hoffmann)

Was in Schleiz mit viel Elan gelingt, ist noch lange kein Standard in Deutschland. Nach unterschiedlichen Studien hat nur etwa ein Drittel der Schulen schnelles Internet und WLAN in den Klassen- und Fachräumen. Mit großen Investitionen in Infrastruktur und Lehrkräftebildung allein ist es dabei nicht getan, betont Ilka Hoffmann, GEW-Vorstandsmitglied für Schule. Digitale Medien führten nur dann zu einem pädagogischen Mehrwert, wenn sie sinnvoll in ein gutes Unterrichtskonzept mit dem Primat der Pädagogik eingebunden seien. „Technologie ist kein Ersatz für gut ausgebildete Lehrkräfte“, betont Hoffmann. Zugleich warnt sie vor einer Hegemonie internationaler Konzerne an Schulen. „Wir wollen nicht, dass die Digitalindustrie den Schulen Konzepte überstülpt.“

Wenn dabei Lehrkräften mangelnde Bereitschaft unterstellt werde, sich mit technischen Innovationen auseinanderzusetzen, greife diese Argumentation viel zu kurz. Bei einer repräsentativen GEW-Befragung im Sommer 2018 zeigte sich, dass die Schulen selbst bei der Digitalisierung schlecht aufgestellt sind*. „82 Prozent der Befragten mahnten die Verbesserung der digitalen Ausstattung an“, so Hoffmann. Besonders dringlich seien die Wartung und Betreuung. Zugleich betonten 85 Prozent, dass Fortbildungen dringend nötig seien. Gebraucht würden dafür neben zeitlichen Ressourcen vor allem Angebote, die auf die Bedürfnisse der Kolleginnen und Kollegen zugeschnitten seien, betont die Schulexpertin.

Dass der Weg zur Digitalisierung nicht immer leicht ist, haben sie auch an der Goethe-Schule erlebt: Manches Mal sind sie in eine Sackgasse geraten und mussten wieder kehrtmachen. Am Anfang ihres digitalen Zeitalters zum Beispiel haben sie ein Whiteboard angeschafft, das als Tafel und Bildschirm diente. „Das haben wir wieder rausgeschmissen“, sagt Hieb. Es sei überteuerte Technik, die wenig nutze: „Einer macht was vor – die anderen 27 gucken zu.“ Große Monitore seien deutlich günstiger, interaktiver und effektiver. Früher haben sie auch mit digitalen Schulbüchern gearbeitet. Aber die Zeiten sind vorbei, PDFs seien zu statisch, man müsse ständig zwischen Apps hin- und herwechseln, erzählt Hieb.

„Es gibt viel Geld für Medientechnik, aber wenig für Medienpädagogik. Flächendeckende Fortbildung findet kaum statt.“ (Kai-Thorsten Buchele)

Eine Viertelmillion Euro, schätzt der Schulleiter, haben Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, Förderverein, Sponsoren und die Schule für ihren hauseigenen Digitalpakt seit 2013 bewegt. Ein immenser Kraftakt. Warum tut er sich und seinem Kollegium das an? „Mit den Methoden von gestern kann ich nicht auf das digitale Leben von morgen vorbereiten“, sagt Hieb. Tugenden wie eine gute Handschrift und Kopfrechnen werden trotzdem gepflegt. „Wir schreiben viel mit der Hand“, betont Hieb. Taschenrechner wurden von den Tablets verbannt – zu verführerisch. „Manches“, sagt Hieb, „hat sich für uns einfach nicht bewährt.“

Um Neues zu entdecken, sind die Schleizer viel unterwegs, tauschen sich mit bundesweiten Vorreitern der Digitalisierung aus, wie der Waldschule Hatten und dem Büro „Mobiles Lernen Oldenburg“, der Ernst-Reuter-Gemeinschaftsschule in Karlsruhe und der Realschule Gauting bei München. Auf zentrale Fortbildungen werden die knapp 30 Kolleginnen und Kollegen aber nicht geschickt. Sie wählen eigenverantwortlich Kurse aus, die für sie passen.

Gerade bei der Fort- und Weiterbildung sieht auch Kai-Thorsten Buchele einen Schwachpunkt des Digitalpakts. Er leitet das Institut für Demokratie und Medienkompetenz in Leipzig und begleitet bundesweit Schulen bei Projekten. Der Digitalpakt, sagt er, komme ihm vor wie ein Wirtschaftsförderprogramm. „Man vergisst dabei, die Lehrkräfte mitzunehmen“, sagt Buchele. Viele Lehrerinnen und Lehrer seien durchaus ambitioniert und keineswegs hilflos – aber mitunter auch überfordert. „Es gibt viel Geld für Medientechnik, aber wenig für Medienpädagogik. Flächendeckende Fortbildung findet kaum statt.“ Dabei gehe es gerade um neue pädagogische Wege, den Lehrplan und schulische Inhalte mit digitalen Medien umzusetzen und die Medienkompetenz aller Beteiligten zu stärken. „Der Digitalpakt sagt nichts dazu“, so Buchele, „welches Medium sinnvoll ist und wo man es am besten einsetzen kann.“

Mit dem im Mai dieses Jahres in Kraft getretenen DigitalPakt Schule sollen die Schulen in Deutschland beim Ausbau der digitalen Infrastruktur unterstützt werden. Der Bund wird den allgemeinbildenden Schulen in den kommenden fünf Jahren insgesamt fünf Milliarden Euro bereitstellen, davon 3,5 Milliarden noch in dieser Legislaturperiode. Die Länder bringen zusätzlich einen finanziellen Eigenanteil in Höhe von 10 Prozent ein. Für Support und Weiterentwicklung werden allerdings weitere Gelder benötigt. Die Länder haben bereits deutlich gemacht, dass sie die Anschlussfinanzierung allein nicht stemmen können. Die GEW hat Empfehlungen zur Umsetzung des Digitalpaktes in den Ländern formuliert, die unter anderem das Prinzip der Lernmittelfreiheit bei der Anschaffung der Geräte sowie die Notwendigkeit ausreichender Fortbildung für die Lehrkräfte betonen.

Wie wichtig Investitionen in die digitale Lernkultur sind, zeigt die Schulleistungsstudie ICILS („International Computer and Information Literacy Study“) 2018, für die mehr als 3.500 Schülerinnen und Schüler der 8. Klassen in Deutschland getestet und zusätzlich befragt wurden. Sie mussten zum Beispiel am Computer Bilder bearbeiten oder Präsentationen und Grafiken erstellen, simulierte Internetrecherchen durchführen oder sich in komplexeren Computersimulationen zurechtfinden, wie der Steuerung einer Drohne oder eines Schulbusses.

Im Vergleich zur Vorgängerstudie aus dem Jahr 2013 haben sich die Ergebnisse kaum verändert. Jeder dritte deutsche Schüler besitzt demnach lediglich -„rudimentäre“ Computerkenntnisse, kann also zum Beispiel einen Link in einer E-Mail öffnen oder ein Wort in einem Textverarbeitungsprogramm korrigieren; an komplexeren Aufgaben aber scheiterten viele. Weiterhin ist der Anteil der Achtklässlerinnen und Achtklässler, der Kompetenzen im Bereich der höchsten Stufe erreicht, im internationalen Vergleich gering. An der Erhebung nahmen neben Deutschland auch Chile, Dänemark, Finnland, Frankreich, Italien, -Kasachstan, Luxemburg, Portugal, Südkorea, Uruguay und die USA teil.

Die Leiterin der Studie für Deutschland, Prof. Birgit Eickelmann von der Universität Paderborn, bezeichnete es als besorgniserregend, dass im Bereich der digitalen Bildung die soziale Herkunft großen Einfluss auf den Kompetenzstand habe. „Dass der Geldbeutel der Eltern entscheidet, ob man in der digitalen Welt mithalten kann oder nicht, ob man einen Arbeitsplatz findet, der den eigenen Wünschen entspricht, ob man merkt, was im Internet Propaganda ist und was nicht – da hat man Sorge, was die Stabilität der Gesellschaft angeht“, sagte sie bei der Vorstellung der Ergebnisse.

Jürgen Amendt, Redakteur „Erziehung und Wissenschaft“