Diskriminierungskritische Bildungsarbeit
Einen sicheren Ort schaffen
Der Hamburger Kinderladen „Maimouna“ bietet Kindern einen Schutzraum gegen Rassismus. Die Gründerinnen und Gründer waren Eltern, deren Kinder in anderen Kitas Rassismus erfahren hatten.
Aus dem geöffneten Fenster eines Spielzimmers stecken ein Mädchen und zwei Jungen die Köpfe heraus und schauen auf die Baustelle vor dem Fenster des Kinderladens Maimouna: Dort graben Bagger, hebt ein Kran Lasten in die Höhe. Dahinter steht eine geschwungene Stelzenkonstruktion, über die alle paar Minuten Züge rollen. Ihre Bremsen quietschen, wenn sie in die Kurve fahren. Die Lage mitten im Trubel sei „für die Kinder super-spannend“, sagt Jasmine Rouamba, Leiterin des Kinderladens Maimouna. Und sie beruhigt: „Von der Bahn hören wir drinnen bei geschlossenen Fenstern nichts.“
Den Kinderladen gibt es seit 1993, doch die Räume an der aktuellen Adresse hat er erst im Oktober bezogen. Das Viertel nahe des Bahnhofs Altona ist neu erbaut, es besteht aus siebenstöckigen Wohnblocks, deren Ziegelfassaden in Farbtönen von beige-weiß über gelb und rot bis braun-schwarz gehalten sind. Trotz des Lärms von der Bahntrasse ist es ein Viertel zum Leben, verkehrsberuhigt und mit einer Grünfläche zwischen den Blocks, in deren Mitte ein Spielgelände liegt, das sich Maimouna mit zwei anderen Einrichtungen teilt. Dort toben an diesem grauen Tag Anfang November die Mädchen und Jungen einer benachbarten Kita, die Maimouna-Kinder bleiben lieber in ihren frisch bezogenen Räumen.
Einen sicheren Ort zu schaffen, einen safe space für Kinder, die bereits Rassismus erlebt haben und in ihrem Leben sehr wahrscheinlich weiterem Rassismus ausgesetzt sein werden – das ist Grundidee von Maimouna. Das Wort bedeutet „die von Gott Gesegnete“, der Mädchenname ist vorwiegend in westafrikanischen Ländern gebräuchlich. Gegründet wurde der Kinderladen von einer Elterninitiative, berichtet Rouamba. „Die Gründerinnen und Gründer waren Eltern, deren Kinder in anderen Kitas Rassismus erfahren hatten.“ Diese Erfahrungen seien in „weißen Strukturen“ – und zurzeit beschreibt Rouamba so gut wie alle Strukturen in Deutschland als „weiß“ – fast unausweichlich.
Subtile Diskriminierung
Die Kita-Leiterin, studierte Soziologin und Erziehungswissenschaftlerin, kennt das Phänomen als Grundrauschen ihres eigenen Lebens. Es reicht ein Anruf in einer Behörde: „Wenn ich mich mit ,Jasmine Rouamba, Maimouna’ melde, werde ich erstmal abgewiesen und als Privatperson behandelt, die bei der falschen Nummer gelandet ist.“
Wer Schwarz ist – die Großschreibung des Adjektivs bedeutet für Rouamba die gesellschaftliche Zuschreibung, nicht die reale Farbe der Haut – erlebt Rassismus fast täglich, schon Kinder bekommen ihn zu spüren, sagt sie: „In einer weißen Umgebung werden Schwarze Menschen permanent infrage gestellt.“ Es komme ständig zu Übergriffen, was ganz wörtlich gemeint ist: „Andere Kinder, aber durchaus auch Erwachsene fassen das Kind an, berühren zum Beispiel die Haare.“ Dazu kommen verbale Übergriffe, etwa wenn die Haare, Frisur oder Kleidung als „komisch“ bezeichnet werden.
Neben diesen offenkundigen Attacken gibt es subtile Formen von Rassismus, die wie ein schleichendes Gift wirken. Wer optisch nicht zur Mehrheitsgesellschaft passt, dem werden bestimmte Merkmale zugeschrieben: „Nicht-Weiße gelten als emotionaler, impulsiv, aggressiv, weniger intellektuell“, nennt Rouamba die Stereotype. Diese Zuordnung passiere oft unterschwellig, sei den Handelnden gar nicht bewusst. Rouamba horcht darum auf, wenn ein Kind in einer „weißen“ Kita als schwierig gilt: „Vielleicht will das Kind nur mitspielen, sich einbringen – es wird aber als Schwarz und darum besonders ungeduldig und nervig definiert.“
„Selbst weiße Eltern, die ein Schwarzes Kind haben, brauchen lange, um zu begreifen, dass ihr Kind oder ein Schwarzer Elternteil ganz andere Alltagserfahrungen macht als sie selbst.“ (Jasmine Rouamba)
Rouamba hat, bevor sie die Leitung des Kinderladens mit zwei Krippengruppen und 20 Plätzen im Elementarbereich übernahm, in der Erwachsenenbildung gearbeitet, sie ist Anti-Bias-Trainerin. Dabei geht es um den Zusammenhang von Diskriminierung in allen Spielarten mit gesellschaftlichen Verhältnissen und Machtstrukturen. Rouamba hat Gruppen geleitet, Workshops gegeben, deren Ziel es war, schwarze Menschen stark zu machen und weiße Menschen über Rassismus aufzuklären. Den meisten sei gar nicht klar, wie rassistisch die Gesellschaft ist, sagt Rouamba: „Selbst weiße Eltern, die ein Schwarzes Kind haben, brauchen lange, um zu begreifen, dass ihr Kind oder ein Schwarzer Elternteil ganz andere Alltagserfahrungen macht als sie selbst.“ Etwa, wenn bei einem Elterngespräch in der Kita oder in einer Behörde nur der weiße Elternteil angesprochen oder wenn ständig die Frage nach der Herkunft gestellt und die Antwort „Hamburg“ nicht akzeptiert werde.
„Wer weiß ist, profitiert automatisch von Rassismus“, sagt Rouamba. Die Wirkungen seien messbar und vielfach untersucht: „Bei der Suche nach einer Wohnung oder auf dem Arbeitsmarkt hat Ralf mehr Chancen als Ali, und mit einem afrikanisch klingenden Namen ist es noch schwieriger.“ Sie hat eine Formel dafür: „Vorurteile plus Macht ist gleich Diskriminierung.“ Daher bezieht Rouamba die Macht-Dimension immer mit ein, wenn sie über Rassismus spricht.
„Wir wollen den Kindern ein positives Selbstbild geben und ihnen helfen, Grenzen zu setzen, Stopp zu sagen.“
Es ist ein komplexes Thema, an dem die meisten Erwachsenen zu knacken haben – in der alltäglichen Arbeit geht der Kinderladen Maimouna pragmatisch damit um: „Wir wollen den Kindern ein positives Selbstbild geben und ihnen helfen, Grenzen zu setzen, Stopp zu sagen.“ Das beginnt in der Einrichtung mit der Umgebung und den verwendeten Materialien: Puppen oder Spielfiguren haben verschiedene Hautfarben, in Bilderbüchern sind nicht nur weiße Menschen zu sehen. „Inzwischen gibt es eine gute Auswahl“, sagt Rouamba. Wünschenswert wären aus ihrer Sicht noch mehr Selbstverständlichkeit und diversere Geschichten: „Zurzeit gibt es Bücher, in denen ein Merkmal wie Rasse, sexuelle Orientierung, Behinderung oder Geschlecht in den Vordergrund gestellt wird. Was fehlt, ist die Kombination: Warum nicht mal Schwarz und im Rollstuhl?“
Rouamba wünscht sich, dass Rassismus viel öfter thematisiert wird – überall in der Gesellschaft: „Wir haben es nicht gelernt, Antworten auf das Problem zu finden. Das Gedankengut steckt in den Worten, Medien, Büchern.“ Die alten Muster seien schnell wieder „anschlussfähig an den Nationalsozialismus“, befürchtet die Soziologin. Der erste Schritt sei, „sich sein Weißsein bewusst zu machen“. Ein einzelner Workshop, ein Seminar reiche dazu kaum aus, hat sie festgestellt: „Selbst bei den weißen Eltern eines Schwarzen Kindes dauert es Jahre, bis sie die Strukturen erkennen.“
Fachkräfte sensibilisieren
Um Erziehungsfachkräfte in Kita oder Schule sensibler zu machen, bedürfe es einer langfristigen Beschäftigung: „In der Schule, in der Ausbildung, im Alltag.“ Und dann müssten die Fachkräfte auch noch geschult werden, das Thema kindgerecht aufzubereiten. Schwierig, aber Rouamba sieht auch Anzeichen einer Veränderung in der Gesellschaft: „Es gibt breite Unterstützung für die Black-Lives-Matter-Bewegung, es gibt Achtung und Beachtung, die ich mir vor 20 Jahren nicht erträumt habe. Und Leuten, die Hip-Hop hören, muss man nicht viel erzählen, die kennen die Texte und wissen Bescheid.“ Doch immer noch sei Rassismus fest verwurzelt, und „von Empowerment sind wir weit weg“.
Der Kinderladen Maimouna wird inzwischen nicht mehr von Eltern, sondern von den Erzieherinnen und Erziehern betrieben, die Mitglieder des Trägervereins sind. Das Team ist multiprofessionell und vielsprachig, von Mandinka und Kiswahili über Farsi bis Portugiesisch. „Das ist auch für die Eltern angenehm, in ihrer eigenen Sprache reden zu können“, sagt Rouamba.
„Wir hoffen, dass die Erfahrung hier den Kindern später hilft. Vor Rassismuserfahrungen bewahren wird es sie nicht.“
Ungefähr die Hälfte der Kinder, die zurzeit im Kinderladen betreut werden, ist in Deutschland geboren, die anderen kommen aus anderen Ländern. Einige Kinder haben keine Papiere – auch ihnen einen Kita-Platz zu bieten, Sicherheit und einen Zugang zur Bildung, sieht das Maimouna-Team als Aufgabe und Ehrensache an.
„Wir hoffen, dass die Erfahrung hier den Kindern später hilft“, sagt Rouamba. „Vor Rassismuserfahrungen bewahren wird es sie nicht.“ Sie wünscht sich, dass viel mehr Kitas und Schulen zu „sicheren Orten“ werden, in denen Diskriminierung, egal ob wegen Hautfarbe, Behinderung oder Aussehen, keine Rolle spielen. „Da sind wir noch nicht am Ziel.“