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E&W-Interview mit Bettina Stark-Watzinger

„Eine soziale Spaltung der Gesellschaft muss verhindert werden“

Die Ampelkoalition ist mit großen Versprechungen für Reformen im Bildungswesen angetreten. Der Krieg in der Ukraine und die Coronapandemie stellen nun vieles zur Disposition. Fragen an Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).

Bettina Stark-Watzinger (FDP, 54) ist seit Dezember 2021 Bundesministerin für Bildung und Forschung im Kabinett von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). (Foto: BMBF/Hans-Joachim Rickel)
  • E&W: Ab Herbst sollen neue Corona-Regeln gelten. Sie haben Schulschließungen kategorisch ausgeschlossen. Die Erfahrungen aus zwei Jahren Pandemie zeigen aber, dass viele Schulen immer noch unzureichend auf die Herausforderungen vorbereitet sind. So fehlen etwa Lüftungsgeräte. Wie kann der Bund helfen?

Bettina Stark-Watzinger: Lehrerinnen und Lehrer haben in der Pandemie sehr viel geleistet. Die Belastungen, denen sie in den vergangenen zwei Jahren ausgesetzt waren, sind enorm. Gleichzeitig sehen wir die negativen Folgen der Schulschließungen für Kinder und Jugendliche; flächendeckende Schulschließungen darf es daher nicht erneut geben. Wenn der Präsenzunterricht gefährdet sein sollte, kann als äußerste Maßnahme wieder eine Maskenpflicht im Unterricht eingeführt werden. Die Bundesregierung hat durch entsprechende Programme den Einbau stationärer und mobiler Luftfilter in Schulen gefördert. Diese Filter sind übrigens auch jenseits von Corona eine sinnvolle Maßnahme, um die Luftqualität in den Unterrichtsräumen zu verbessern. Weitere Instrumente sind regelmäßiges Lüften und sogenannte CO2-Ampeln. Ich gehe davon aus, dass die Länder den Sommer genutzt haben, um die Schulen entsprechend auf den Herbst vorzubereiten.

  • E&W: Die Corona-Pandemie hat allerdings gezeigt, dass Länder und Kommunen bei der Finanzierung des Bildungssystems überfordert sind. Länder scheuen oft eigene Investitionen, da ihnen das Risiko zu hoch ist. Muss der Bund sich generell finanziell stärker engagieren?

Stark-Watzinger: Ja und Nein. Ja, weil wir ein gut finanziertes Bildungswesen brauchen. Deshalb wollen und müssen wir uns als Bund stärker in der Bildung engagieren. In der föderalen Struktur sind uns als Bund jedoch enge Grenzen gesetzt. Bei Investitionen ist es einfacher; diese sind über Artikel 104c des Grundgesetzes möglich …

  • E&W: … der es dem Bund ermöglicht, den Ländern Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen sowie für die Steigerung der kommunalen Bildungsinfrastruktur zu geben, wie das zum Beispiel beim Ganztagsschulprogramm unter Rot-Grün Anfang der 2000er-Jahre der Fall war.

Stark-Watzinger: Genau. Auch der Digitalpakt basiert darauf. Langfristige Unterstützung ist dagegen fast nur über einen höheren Anteil der Länder an den Einnahmen der Mehrwertsteuer möglich.

  • E&W: Das wäre relativ leicht zu ändern, würde man das Kooperationsverbot komplett abschaffen, das dem Bund Dauerhilfen für den Schulbereich untersagt?

Stark-Watzinger: Dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Die Ampelparteien haben sich im Koalitionsvertrag ein Kooperationsgebot zum Ziel gesetzt, das die Kooperation aller Ebenen verbessern und dem Bund mehr Spielräume ermöglichen soll. Klar ist, dass bei allen künftigen Vorhaben die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern klar festgelegt werden muss.

  • E&W: Im Koalitionsvertrag verspricht die Bundesregierung eine Reihe von Investitionsprogrammen für den Bereich Bildung und Forschung. Wie soll das ohne Aufhebung der Schuldenbremse finanziert werden?

Stark-Watzinger: Die Schuldenbremse ist im Grundgesetz verankert und soll sicherstellen, dass auch künftige Generationen finanzielle Spielräume haben. Sie sollte 2023 wieder eingehalten werden.

  • E&W: Bleiben als Alternative Steuererhöhungen. Eine Lösung könnte aber auch sein, eine Sonderabgabe auf große Vermögen zu erheben.

Stark-Watzinger: Auch das ist verfassungsrechtlich nicht so einfach. Das Vermögen vieler kleinerer und mittlerer Unternehmen ist in ihren Betrieben gebunden. Belastet man dieses Vermögen, dann gefährdet man damit Arbeitsplätze.

  • E&W: Durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine sind die öffentlichen Haushalte hierzulande unter Druck geraten. Sorgen Sie sich, dass auch in Ihrem Etat gekürzt wird?

Stark-Watzinger: Nein, mein Etat ist der fünftgrößte im Bundeshaushalt und wir wissen, wie wichtig Bildung und Forschung für jeden Einzelnen und den Zusammenhalt der Gesellschaft sind. Die Menschen sind nach der Corona-Pandemie verunsichert und die Folgen des Energiekrieges Russlands gegen Europa sind sowohl für die privaten Haushalte als auch für die Wirtschaft enorm. Ganz wichtig ist es daher, dass eine soziale Spaltung der Gesellschaft verhindert wird. Dazu muss und wird ein gutes Bildungssystem seinen Beitrag leisten.

  • E&W: Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, dass sie 4.000 Schulen in sozial besonders benachteiligten Lagen zusätzlich fördern will. Das Programm heißt „Startchancen“. Im Haushaltsentwurf für das kommende Jahr ist dafür noch kein Cent eingeplant. Werden Sie an dem Programm festhalten und wie sollen die Gelder verteilt werden?

Stark-Watzinger: Das Startchancen-Programm muss kommen. Es steht auf drei Säulen: einem Investitionsprogramm für die Sanierung von Schulgebäuden, einem individuellen Chancenbudget für die Schulen, über das sie selbst bestimmen können, und dem Ausbau der Schulsozialarbeit. Ende September haben wir dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages ein entsprechendes Konzept vorgelegt. Jetzt sprechen wir mit den Ländern weiter über die konkrete Ausgestaltung. Ein so komplexes Vorhaben erfordert einen intensiven Austausch und eine gute Vorbereitung.

  • E&W: Ein Vorhaben haben Sie bereits umgesetzt. Die BAföG-Reform vom Frühsommer bringt erstmals seit Jahren eine Anhebung der Fördersätze sowie der Freibeträge. Studierendenvertreter, das Deutsche Studentenwerk (DSW), GEW und DGB haben die BAföG-Reform zwar grundsätzlich begrüßt, nannten sie aber unzureichend. Müssen Sie angesichts der hohen Inflation und der massiv steigenden Energiepreise in Folge des Ukraine-Krieges nochmal nachjustieren?

Stark-Watzinger: Uns war es wichtig, dass mehr junge Menschen Zugang zum BAföG erhalten. Deshalb haben wir nicht nur den Bedarfssatz, sondern auch die Freibeträge sowie die Wohnpauschale stark erhöht. Die Energiekrise hat in der Tat eine neue Situation geschaffen. Deshalb war es mir wichtig, dass in den Entlastungspaketen auch an die jungen Menschen gedacht wird. Schon im ersten Entlastungspaket sind BAföG-Empfänger mit einem Heizkostenzuschuss von 230 Euro bedacht worden. Wer nebenbei arbeitet, bekommt die 300 Euro Energiepauschale. Das dritte Entlastungspaket sieht eine Einmalzahlung von 200 Euro für alle Studierenden vor. Und ich werde mich dafür einsetzen, dass BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger bei weiteren Entlastungen mitberücksichtigt werden.

  • E&W: Ein anderes Reformfeld ist die berufliche Bildung. Um den Fachkräftemangel gerade im Handwerk zu beheben, plant Ihr Ministerium eine Exzellenzinitiative für die Berufsausbildung. Warum setzten Sie nicht auf eine gesetzliche Ausbildungsgarantie nach dem Vorbild Österreichs?

Stark-Watzinger: Wir haben derzeit nicht das Problem, dass die Betriebe zu wenig ausbilden wollen, sondern dass es an Bewerberinnen und Bewerbern gerade im Handwerk fehlt. 87 Prozent der Unternehmen sagen, dass der Fachkräftemangel eines der größten Probleme sei. Der wichtigste Punkt ist die Berufsorientierung. Hier wollen wir mit unserer Exzellenzinitiative ansetzen und auch die Gymnasien miteinbeziehen. Wir brauchen aber auch eine bessere Berufsberatung an den Hochschulen. Viele Studienabbrecherinnen und -abbrecher sind offen für eine berufliche Ausbildung.

  • E&W: Fachkräfte fehlen auch an Schulen und Kitas. Mit der durch den Angriff Russlands auf die Ukraine ausgelösten Fluchtbewegung sind auch zahlreiche Fachkräfte aus dem Bildungsbereich nach Deutschland gekommen. Die Hürden für Lehrkräfte aus dem Ausland – nicht nur für jene aus der Ukraine – für eine Tätigkeit in ihrem erlernten pädagogischen Beruf sind aber nach wie vor hoch. Wie sehen Ihre Vorschläge aus, diese abzubauen?

Stark-Watzinger: Wir müssen die Anerkennung von Berufsabschlüssen verbessern. Bei Lehrkräften sind dafür die Länder zuständig. Ich wünsche mir flexible Modelle, damit die Menschen berufsbegleitend etwaige fehlende Kompetenzen oder Kenntnisse erwerben können. Das würde zum einen den Betroffenen eine berufliche Perspektive geben und zum anderen auch helfen, den Fachkräftemangel zu bekämpfen.