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Indonesien

Eine Schule mit vielen Religionen und Kulturen

Friedlich nebeneinander stehen sie im Hof der Schule: die Moschee, die christliche Kirche, ein buddhistischer und ein Hindu-Tempel. Die Kinder lernen an der Yayasan Perguruan Sultan Iskandar Muda auch das respektvolle Miteinander von Religionen.

Die Schule „Yayasan Perguruan Sultan Iskandar Muda“ in Medan, der Hauptstadt Nordsumatras, Indonesien. Foto: Peter Jaeggi

Die Geschichte der außergewöhnlichen Schule begann mit einem Trauma. Sofyan Tan, Indonesier mit chinesischen Wurzeln, wuchs in armen Verhältnissen als Sohn eines Schneiders auf. Als einziges von zehn Geschwistern durfte er studieren. Er entschied sich für Medizin. Die buddhistische Familie erlebte das grausamste Kapitel der jüngeren indonesischen Geschichte mit: 1965 putschte sich General Suharto an die Macht und inszenierte eine mörderische Jagd auf alle, die auch nur im leisesten Verdacht standen, kommunistisch zu sein. In den 31 Jahren Suharto-Diktatur wurden über 500.000 unbewaffnete Zivilisten ermordet, unter ihnen Zehntausende Chinesen. Auch Tan erlebte die Diskriminierung am eigenen Leib. Während seines Studiums ließ man ihn mehrere Male durch wichtige Examen fallen – allein wegen seiner chinesischen Abstammung.

Das Schlimmste blieb ihm und seiner -Familie erspart – auch deshalb, weil diese mit allen Ethnien stets ein freundschaftliches Verhältnis pflegte. Das Haus stand und steht noch heute allen offen – aus gelebter Überzeugung, dass ein friedliches Zusammenleben nur möglich ist, wenn Barrieren zwischen Ethnien und Religionen abgebaut werden und gegenseitigem Respekt Platz machen. Dies führte letztlich auch zu dem für Indonesien einmaligen Schulprojekt, dessen Hauptziele Schulgründer Tan so beschreibt: „Armutsbekämpfung durch qualitativ gute Bildung sowie Erziehung zu einer pluralistischen Gesellschaft, zu Toleranz, Menschlichkeit und gegenseitigem Respekt.“

„Wir versuchen, die Schüler zu motivieren, unabhängig von Rasse und Religion nebeneinander zu sitzen.“ (Edy Jitro Sihombing)

Tan finanzierte sein Medizinstudium mit Nachhilfeunterricht und entdeckte dabei sein Talent als Lehrer. Zunächst aber schloss er das Studium erfolgreich ab und wurde Arzt. „Als Sohn einer armen Familie ein vergleichsweise gutes und sicheres Einkommen zu haben, bedeutet viel“, sagt Tan. Trotzdem verließ der Jungmediziner den sicheren Pfad. Seine „Traumschule“ war ihm wichtiger. „Am Anfang war es sehr hart“, erinnert sich Tan. Um die Schule zu bauen, bettelte er überall um Geld und überzeugte Banken. Als der erste bescheidene Bau stand, fuhr Tan in die Dörfer, suchte nach talentierten Schülern und motivierte deren Eltern, die Kinder in seine Schule zu schicken.

Im August 1987 wurde die „Yayasan Perguruan Sultan Iskandar Muda“ offiziell eröffnet. Anfangs reichte das Geld nicht einmal, um die Betriebskosten zu decken. Weil die Mädchen und Jungen aus armen Familien stammten, traf das Schulgeld nur in homöopathischen Dosen ein. Tan rief das System „Adopt A Child“ ins Leben: Privatpersonen und Firmen übernahmen die Schulkosten für ein Kind oder mehrere Kinder. Bis heute sind mehr als 3.000 Schülerinnen und Schüler so „gesponsert“ worden. Insgesamt haben über 17.000 Kinder die Schule bisher durchlaufen, in der nun etwa 230 Lehrkräfte arbeiten.

Ein Besuch in verschiedenen Klassen. Als erstes fällt die bunte Mischung auf: Abgesehen von der Schuluniform gibt es keine Kleidervorschriften. Knaben sitzen neben Mädchen mit und ohne Kopftuch, der chinesischstämmige Junge neben dem Einwandererkind aus Indien. Oberstufenleiter Edy Jitro Sihombing sagt: „Wir versuchen, die Schüler zu motivieren, unabhängig von Rasse und Religion nebeneinander zu sitzen.“ Die Geisteshaltung der Schule werde in die Pflichtfächer integriert. „So lehren wir die Schüler, dass Indonesien nicht durch eine einzige Ethnie, eine einzige Religion von der Kolonialherrschaft befreit worden ist. Viele Nationalhelden unterschiedlicher Herkunft kämpften für unsere Unabhängigkeit.“

„Als Muslime, Christen, Hindus und Buddhisten diskutieren wir darüber, was uns eint – und nicht darüber, was uns trennt.“

Einblicke in die Lebensweise der vielen Kulturen Indonesiens gehören ebenso zum Stoff wie Zusammenkünfte mit Lehrern der vier Hauptreligionen. „Als Muslime, Christen, Hindus und Buddhisten diskutieren wir darüber, was uns eint – und nicht darüber, was uns trennt. Wir lehren, dass die Religionen in ihren Grundzügen dieselben Prinzipien haben.“ Weil die Schule für jede dieser Religionen ein Gotteshaus gebaut hat, können alle an den Festen der Andersgläubigen teilnehmen und erhalten so gegenseitig Einblicke ins kulturelle und spirituelle Leben. Letztlich gehe es darum, das nationale Leitmotiv Indonesiens zu implementieren: „Bhinneka Tunggal Ika“, was so viel heißt wie „Einheit in Vielfalt“ und bedeutet, dass es selbst in dieser großen kulturellen Vielfalt einen gemeinsamen Nenner gibt – jenen, den auch Tans Schule vermitteln möchte: die Vision einer toleranten, multikulturellen Gesellschaft, die alle vereint.

2014 gab Tan mit 55 Jahren die Schulleitung ab. Nach mehr als drei Jahrzehnten unermüdlicher Arbeit für sein humanistisches Schulprojekt wurde er für die Demokratische Partei (PDIP) ins nationale Parlament gewählt. Als Mitglied der parlamentarischen Bildungskommission versucht Tan nun, seine Ideale auf politischer Ebene umzusetzen. Auf dem Weg zu den hoch gesteckten Zielen der Schule stehen aber auch Hürden: „Die Kinder bringen von zu Hause einen unterschiedlichen Background mit“, erklärt Oberstufenleiter Sihombing. „Es gibt Familien, die eine andere Religion und eine andere Kultur nicht akzeptieren.“ Das erschwere die Arbeit. Eltern vor allem jüngerer Kinder würden die Lehrkräfte oft drängen, ihr Kind neben einen Schüler der gleichen Religion zu setzen. Doch je älter die Schüler werden, umso mehr träten solche Wünsche in den Hintergrund.

Auch nach 30 Jahren ist die Arbeit der Schule für Gründer Tan unverzichtbar. Angesichts des zunehmenden Rechtspopulismus‘ und der wachsenden Gewalt in Indonesien müsse es allerhöchste Priorität haben, noch härter am Leitbild der Schule zu arbeiten: „Ich glaube, unsere Ziele werden in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen.“