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Interview

„Eine gewalttätige Dressur der Kinder“

Die zivil-militärischen Schulen werden von den Gewerkschaften in Brasilien kritisiert. Ein Interview mit Gewerkschafterin Helenita Bezerra, die die Methoden an faschistisches Gedankengut erinnern.

Helenita Bezerra ist Mitglied im Direktorium der „SEPE“ (Sindicato Estadual dos Profissionais de Educação), der Lehrerinnen- und Lehrer-Gewerkschaft in Rio de Janeiro (Foto: privat).
  • E&W: Sie haben als Gewerkschaft der Lehrerinnen und Lehrer im Mai 2021 in Rio de Janeiro Klage bei der Staatsanwaltschaft eingelegt. Es ging um einen Fahnenappell an der Schule „Carioca“ in Rio de Janeiro. „Wir sind wir und der Rest ist der Rest“, wurde da unter anderem gerufen. Was kritisieren Sie an den Parolen, die die Schülerinnen und Schüler auf dem Schulhof nachsprechen mussten?

Helenita Bezerra: Wir waren wegen des Videos sehr erschrocken. Disziplin zu unterrichten ist eins, aber Indoktrinierung von Schülerinnen und Schülern ist etwas anders. Für uns war auf dem Video klar zu erkennen, dass die Schülerinnen und Schüler indoktriniert werden sollten. Das war eine gewalttätige Dressur der Kinder. Diese Parolen bewirken doch, dass die Kinder sich als etwas besseres fühlen. Als hätten sie mehr Rechte als die Kinder an den normalen öffentlichen Schulen. Soll so eine Art höhere Kaste entstehen? Das erlaubt die brasilianische Verfassung nicht und wir lassen das nicht zu.

  • E&W: Woher kommen diese Parolen? Es hieß, sie seien von den Fallschirmverbänden?

Bezerra: Wir wissen nicht, woher diese Parolen kommen, ob sie wirklich von den Fallschirmverbänden sind. Aber sie erinnern an faschistisches Gedankengut. Wir haben das doch während des Zweiten Weltkriegs erlebt. Da fanden solche Parolen Eingang in die Schulen. Zum Glück wurde auf unsere Anzeige hin das zivile Direktorium der Schule „Carioca“ entlassen. Aber was mit den betreffenden Militärs ist, wissen wir nicht. Sind sie noch an der Schule? Wurden sie an andere Schulen versetzt? Es ist beängstigend, dass wir an keine Information über die Militärs an der Schule herankommen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich Ressentiments verbreiten, dass die faschistische Geschichte sich wiederholt. Daher sind wir froh, dass der Vorfall von der Presse aufgegriffen wurde. Die Zivilgesellschaft, wir Gewerkschaften, haben zeigen können, dass hier nicht alles erlaubt ist.

  • E&W: Warum entscheiden sich Eltern für so eine zivil-militärische Schule?

Bezerra: Wir haben hier in Brasilien viele Schulen, die verfallen und vernachlässigt sind. Sie bestehen nur aus Schrott. Da kann kein guter Unterricht stattfinden. Unsere Lehrerinnen und Lehrer bekommen hier im Bundesstaat Rio de Janeiro seit sechs Jahren keine Gehaltserhöhung. Die Militärs aber schon. Und dann sehen die Leute diese hübschen neuen zivil-militärischen Schulen und finden sie gut. Alle Eltern wünschen sich doch für ihre Kinder gut organisierte Schulen. Die jetzige Regierung investiert in dieses militarisierte Schulmodell. Und die anderen Schulen werden vernachlässigt.

  • E&W: Ist es für die Eltern nicht abschreckend, wenn Militärs sich um ihre Kinder kümmern?

Bezerra: Unglücklicherweise erleben wir hier in Rio de Janeiro seit langem viel Gewalt. Es gibt keine gute Politik, die für die Sicherheit der Menschen in der Stadt sorgt. Dann ist so eine kostenlose militarisierte Schule, die sich als sicher verkauft, für viele Eltern interessant und attraktiv. Sie geben ihre Kinder dort hin und denken, sie könnten sich entspannt zurücklehnen. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass die öffentlichen Schulen in sichere und in unsichere unterteilt werden.

Helenita Bezerra ist Mitglied im Direktorium der „SEPE“ (Sindicato Estadual dos Profissionais de Educação), der Lehrerinnen- und Lehrer-Gewerkschaft in Rio de Janeiro.