„Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“
„Eine Arbeit, die nie enden darf“
Im Sommer feierte das Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ sein 25-jähriges Bestehen. Im Interview erläutert Direktorin Sanem Kleff, warum das Netzwerk auch in Zukunft gebraucht werde.
- E&W: Die Anfänge von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ liegen in einer Zeit, in der die rassistischen Anschläge von Mölln oder Solingen und die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen noch nicht lange her waren. Rassismus und Rechtsextremismus sind seitdem nicht aus der Gesellschaft verschwunden. Ist die Arbeit des Netzwerkes eine Aufgabe, die nie endet?
Sanem Kleff: Ja, das ist eine Arbeit, die nie endet und nie enden darf, weil es Menschenfeindlichkeit schon immer gegeben hat und immer geben wird.
- E&W: Das klingt jetzt fatalistisch.
Kleff: Nein, das Gegenteil ist gemeint. Wir dürfen uns dem Phänomen Menschenfeindlichkeit nicht ergeben, sondern müssen immer wieder aktiv dagegen angehen. Es gibt große Unterschiede, wie sich Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Diskriminierung in einer Gesellschaft breit machen – oder eben nicht. Unsere Aufgabe sehe ich darin, alle Formen der Menschenfeindlichkeit soweit wie möglich einzudämmen.
- E&W: Die ersten Jahre bestand der Schwerpunkt der Aktivitäten des Netzwerkes in der Arbeit gegen Rassismus. Anfang der 2000er-Jahre wurde das Konzept um andere Formen der Diskriminierung erweitert. Was gab dafür den Ausschlag?
Kleff: Dass am Anfang von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ der Fokus im engsten Sinn auf dem Phänomen Rassismus lag, hat historische Gründe. Die Grundidee stammt aus Belgien. Dort hatten sich Mitte der 1980er-Jahre die Flamen und Wallonen so in einen rassistischen Diskurs verheddert, dass es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kam. Nach dem Wahlerfolg der rechtsextremen Vlaams-Partei gründeten Schülerinnen und Schüler in Antwerpen das Netzwerk „Schulen ohne Rassismus“. In Deutschland wurde dieses Konzept von Aktion Courage übernommen. Als ich 2000 die Leitung übernahm und in „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ umbenannte, fand ich, dass man Rassismus nicht isoliert betrachten darf, sondern ihn als eine Variante von Menschenfeindlichkeit sehen muss. Wir setzen uns heute nicht nur mit Bildungsprogrammen mit allen Formen von Menschenfeindlichkeit auseinander – mit Rassismus wie mit Antisemitismus, Homophobie und anderen Formen der Diskriminierung.
- E&W: Bis in die 2000er-Jahre wurde von regierungsoffizieller Seite der Begriff Rassismus vermieden; man sprach von Ausländerfeindlichkeit oder – noch schlimmer – von Fremdenfeindlichkeit. Heute werden diese beiden Begriffe kaum noch verwendet. Wie kam es zu diesem Wandel?
Kleff: So kritisch man im Nachhinein das Agieren der ab 1998 regierenden rot-grünen Bundesregierung sehen muss – Stichwort Agenda 2010 –, so deutlich muss man aber auch würdigen, dass in der Ära Rot-Grün das Thema Rassismus und Diskriminierung von Minderheiten auf die politische Tagesordnung kam. Erstmals liefen am 9. November 2000 in Berlin Vertreter einer deutschen Bundesregierung an der Spitze einer antirassistischen Demonstration. Das war auch die Geburtsstunde der ersten bundesweiten Programme gegen Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus. Dieser Wandel führte aber noch lange nicht dazu, dass sich in den Köpfen der Menschen, aber auch in den Institutionen etwas änderte.
Übrigens: Anfang der 2000er-Jahre war der Begriff Homophobie noch ähnlich tabuisiert wie der Begriff Rassismus. Wenn an Schulen Workshops zum Thema Homophobie organisiert werden sollten, stieß man vielfach noch auf Widerstände in den Schulverwaltungen und in der Kultusbürokratie. Da hat sich inzwischen einiges geändert.
- E&W: In der Festschrift zum 25-jährigen Jubiläum beschreiben Sie, wie bis in die jüngste Zeit Kinder migrantischer Herkunft in den Schulen benachteiligt wurden. Sie wurden in sogenannte Ausländerklassen gesteckt und überproportional häufig an „Sonderschulen“ abgeschoben. Was hat sich im vergangenen Vierteljahrhundert zum Positiven geändert, was muss sich noch weiterentwickeln?
Kleff: Selbstverständlich hat sich einiges zum Positiven gewendet. Einige der strukturellen Ausgrenzungsmechanismen sind verschwunden. Auch hat sich in der Ausbildung der Lehrkräfte vieles zum Besseren entwickelt. Heute ist es nicht mehr vorstellbar, dass Kinder alleine deshalb, weil sie einen anderen Pass als den deutschen haben, in Sonderklassen aussortiert werden. Faktisch findet eine Segregation aber dennoch statt. Einem Kind, das Ahmed heißt, wird nicht zugetraut, dass es so gute Leistungen bringen kann wie ein Kind, das Max heißt – selbst wenn beide aus der gleichen sozialen Schicht kommen.
- E&W: Eine Schule, die Teil des Netzwerkes wird, erklärt sich zur Erfüllung von drei Grundsätzen bereit (siehe Kasten). Wird eine Schule ausgeschlossen, wenn sie gegen diese Grundsätze verstößt?
Kleff: Nein. Der Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ soll die Schulen täglich an die Pflicht zur Einhaltung der Grundsätze des Netzwerkes erinnern, die sie angenommen haben, wenn nötig auch mahnen und motivieren. Unser Prinzip ist, den Faden zu einer Schule niemals abreißen zu lassen. Mit einem Ausschluss einer Schule wäre niemandem geholfen.
- E&W: Es gab in der Vergangenheit einige solcher Fälle, so beispielsweise an einer Schule in Berlin, an der es zu einem antisemitischen Angriff kam. Was tun?
Kleff: Unsere Landeskoordinationen mit mehr als 80 Regionalkoordinationen bieten der Schule Hilfe und Unterstützung an. Eine „Courage-Schule“ ist keine Schule, an der es Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus nicht gibt. Dessen müssen sich alle Beteiligten klar sein. Deshalb ist der zweite Grundsatz, zu dem sich Schulen verpflichten, wenn sie dem Netzwerk beitreten, auch so wichtig: Einsatz gegen jegliche Form von Gewalt und Diskriminierung, sollten diese an der Schule auftreten! Es geht darum, dass alle Mitglieder an der Schule eine Resilienz gegen Diskriminierung entwickeln, sensibilisiert sind und die Gleichwertigkeit aller Menschen anerkennen.
„Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ gibt es seit 1995. Mit knapp 3.500 teilnehmenden Schulen und über 1,5 Millionen Schülerinnen und Schülern ist es das größte Schulnetzwerk in Deutschland. Eine Schule kann Teil des Netzwerkes werden, wenn mindestens 70 Prozent aller Menschen dieser Schule – vom technischen Personal, den Schülerinnen und Schülern und Eltern bis zu den Pädagoginnen und Pädagogen und der Schulleitung – sich in einer geheimen Abstimmung dafür aussprechen. Sie müssen sich mit den drei Grundsätzen des Netzwerkes (Entwicklung nachhaltiger Projekte gegen jegliche Form von Diskriminierung; Einsatz gegen Gewalt und Diskriminierung, sollten diese an der eigenen Schule auftreten; Organisation eines Projektes zum Thema Diskriminierung einmal im Jahr) einverstanden erklären und sich ein entsprechendes Profil erarbeiten. Etwaige bisherige Aktivitäten gegen Rassismus und Diskriminierung sind keine Vorbedingung für die Aufnahme. Bundesweit 100 Landes- und Regionalkoordinationsstellen sowie sogenannte Paten, die die Schulen sich selbst aussuchen, unterstützen jede Einrichtung. |