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Schulleitungen

Ein, zwei Jahre Qualifizierung wären angemessen

Pierre Tulowitzki, Professor für Schulmanagement und -entwicklung, hat untersucht, wie gut Schulleitungen für ihre Aufgabe qualifiziert werden. Sein Fazit: Deutlich mehr Vorbereitung für eine solche Schlüsselrolle wäre sinnvoll.

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Für Schulleiterinnen und -leiter sind die Aufgaben in den vergangenen Jahren immer anspruchsvoller geworden. (Foto: imago images/Noah Wedel)
  • E&W: Herr Tulowitzki, wie gut sind Schulleiterinnen und -leiter für ihren Posten qualifiziert?

Prof. Pierre Tulowitzki: Um das vorweg zu sagen: Ich habe viele, viele Schulleiterinnen und -leiter in Deutschland kennengelernt, die mit sehr viel Engagement, Leidenschaft und Kompetenz einen super Job machen. Das ist keine einfache Aufgabe zwischen Pädagogik und Leitung. Aber wenn wir auf die Qualifizierung schauen, dann ist diese für eine so wichtige, anspruchsvolle und auch belastende Position nicht ausreichend. Im Vergleich zum Lehramt, für welches die Lehrkräfte ein Studium und ein Referendariat durchlaufen, kommen sie als Schulleitung in eine Rolle, die diverse neue Bereiche mit sich bringt. Und dafür ist die Qualifizierung sehr, sehr kurz.

  • E&W: Was muss man heute können, um eine Schule zu leiten?

Tulowitzki: Eine Lehrkraft, die in die Schulleitung wechselt, begibt sich auf die Organisationsebene. Dort geht es zwar auch darum, pädagogisch zu wirken, aber nun auf Ebene der Schule. Schulleiterinnen und -leiter betreiben beispielsweise Personalentwicklung, haben deutlich mehr mit Verwaltung und Organisation zu tun, kümmern sich um das Qualitätsmanagement und vertreten die Schule nach außen.

  • E&W: Ist der Job anspruchsvoller geworden?

Tulowitzki: Gerade Aufgaben wie Personalführung und -entwicklung, Qualitätsmanagement und Schulentwicklung, sind seit den 1980er-Jahren wichtiger geworden, als es um eine stärkere Autonomie der Schulen ging. Das Schlagwort hieß „Vom Verwalten zum Gestalten“. Schulleitung war in den 1960ern vor allem Verwaltungsarbeit, das verschob sich dann mit der Zeit in Richtung Management und Entwicklung. Mit der Crux, dass die Verwaltung nicht weniger wurde. Und damit wurde die Arbeit für die Schulleiterinnen und -leiter auch deutlich anspruchsvoller.

  • E&W: Sie haben gerade die Qualifizierungen für Schulleitungen bundesweit untersucht und festgestellt: Diese unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. In vielen Ländern sind Qualifizierungsmaßnahmen verpflichtend, in anderen nicht. Unterscheidet sich die Arbeit der Schulleitungen so gravierend, oder woran liegt das?

Tulowitzki: Das kann ich mir nur historisch erklären. Die Länder haben die Hoheit in Bildungsfragen, und daraus resultieren leicht unterschiedliche Schulsysteme. Das ist Teil des Föderalismus. Die Kultusministerkonferenz könnte das koordinieren, wenn sich alle einig sind. Bisher gehen die Länder aber größtenteils ihre eigenen Wege.

  • E&W: Sind wenigstens die Inhalte bundesweit vergleichbar?

Tulowitzki: In den Bundesländern, in denen es eine verpflichtende Qualifizierung gibt – das sind derzeit 13 –, sieht man, dass die Inhalte größtenteils ähnlich sind. Da geht es um Führung, Personal, Kommunikation, Verwaltung, Schulrecht und -entwicklung. Da ist man nicht so weit auseinander.

  • E&W: Aber die Dauer der Qualifizierung unterscheidet sich sehr stark. Sie reicht von fünf bis zu 37 Tagen.

Tulowitzki: Genau.

  • E&W: Kann man sagen: Viel hilft viel?

Tulowitzki: Ich würde eher sagen: Noch mehr würde noch mehr helfen. Für eine solche Schlüsselrolle und eine Aufgabe wäre eine Qualifizierung angemessen, die ein, womöglich zwei Jahre dauert.

  • E&W: Das entspricht fast einem Zusatzstudium!

Tulowitzki: So ist es. Darüber hinaus kommt es auch nicht auf die reine Dauer an, sondern auch auf die Art und Weise. Klassische Seminarangebote bewirken nicht so viel. Es geht auch um Mentoring und Coaching sowie die Möglichkeit, sich untereinander zu vernetzen und voneinander zu lernen. Das wäre aus meiner Sicht wirklich hilfreich.

  • E&W: Ist das international üblich?

Tulowitzki: Das hängt vom Land ab. Es gibt Beispiele, bei denen die Qualifizierungsphase mehr Zeit umfasst und zum Teil auch mit einem Hochschulabschluss endet. In den USA gibt es etwa entsprechende Masterstudiengänge.

  • E&W: Wäre es sinnvoll, eigene Studiengänge speziell für die Ausbildung von Schulleiterinnen und -leitern auch in Deutschland einzurichten?

Tulowitzki: Die gibt es ja schon. Es werden Weiterbildungsstudiengänge zum Thema Schul- und Bildungsmanagement angeboten. Die Frage ist, wie anerkannt diese Studiengänge für die Schulleiterqualifizierung tatsächlich sind. Voll anerkannt werden sie eher selten.

  • E&W: Es spielt also keine Rolle bei der Auswahl der Schulleiterinnen und -leiter, ob diese ein Zusatzstudium absolviert haben?

Tulowitzki: In vielen Fällen ist das so, ja. In manchen Bundesländern werden Weiterbildungsstudiengänge als Schulleiterqualifizierung anerkannt, aber oft ist das nicht der Fall. Dann ist ein solches Zusatzstudium eher ein „Nice to have“.

  • E&W: Sind Sie bei Ihren Untersuchungen auf ein Bundesland gestoßen, in dem es besonders gut läuft bei der Qualifizierung der Schulleiterinnen und -leiter?

Tulowitzki: Das kann ich nicht sagen. Das war auch nicht Ziel dieser Studie, es ging zunächst darum, einen Überblick zu gewinnen.

  • E&W: Ein Fazit, das Sie ziehen, lautet: Wir brauchen einheitliche Standards bei der Qualifizierung von Schulleitungen. Welche Vorteile hätten Standards?

Tulowitzki: Eine ganze Menge. Sie würden zur Professionalisierung und damit zur Aufwertung der Position der Schulleitung beitragen. Und es wäre eine Gelegenheit, länderübergreifend zu klären, was nötig ist, um Menschen auf das Amt bestmöglich vorzubereiten. Es ist schwierig zu vermitteln, dass es mal fünf und mal 37 Tage Vorbereitung braucht. Oder dass die Inhalte variieren, obwohl die Arbeit als Schulleiter später ziemlich ähnlich sein wird. Ich halte auch Minimalstandards für denkbar, die den Bundesländern Raum lassen, individuelle Schwerpunkte zu setzen. Der aktuelle Zustand, bei dem der Verpflichtungsgrad für einen so anspruchsvollen Job so stark variiert, erscheint mir weder für die Schulleitungen noch für die Länder mittelfristig tragfähig zu sein.

  • E&W: Haben Sie schon Reaktionen auf diesen Vorschlag bekommen?

Tulowitzki: Ja, einige Ermutigungen. Aber das ist ein langer Weg, der viel Abstimmung erfordert. Das ist ein Marathon, kein Sprint.

  • E&W: Bundesweit sind Tausende Schulleitungsposten nicht besetzt. Welche Rolle spielt die unzureichende Qualifizierung?

Tulowitzki: Die mangelnde Qualifizierung kann eine Komponente sein. Wenn wir eine umfassende Qualifizierung, einheitliche Standards, eine größere Unterstützung und eben auch eine bessere Bezahlung hätten, dann wäre Schulleitung im Gesamtpaket eine attraktivere und klarere Position. Damit würde auch die Wertschätzung für dieses Amt steigen.

Pierre Tulowitzki

ist Professor für Bildungsmanagement und Schulentwicklung an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Zusammen mit Imken Hinzen und Marvin Roller publizierte er 2019 die Studie „Die Qualifizierung von Schulleiter*innen in Deutschland – ein bundesweiter Überblick“. Für die Studie ermittelten und kategorisierten sie alle verpflichtenden Qualifizierungsmaßnahmen, die die Bundesländer bis September 2018 anboten.

Prof. Pierre Tulowitzki (Foto: Studioline Photography)