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fair childhood

„Ein zutiefst solidarischer Handel“

Rund 100 Vorträge vor Schulklassen hat der Buchautor und Journalist Frank Herrmann zu Kinderarbeit und Fairem Handel gehalten. Wie schafft man es, Schülerinnen und Schüler zwischen 12 und 19 Jahren für so komplexe Themen zu interessieren?

Frank Herrmann, Buchautor und Journalist (Foto: privat)
  • E&W: Herr Herrmann, bitte ein Tipp: Wie interessiert man Schülerinnen und Schüler für das Thema Kinderarbeit?

Frank Herrmann: Indem man ihnen den direkten Bezug zu den Produkten aufzeigt, die sie konsumieren. Viele Schülerinnen und Schüler sind schockiert und berührt, wenn es um Kinderarbeit geht. Vor allem, wenn ich erkläre, in welchen Artikeln überall Kinderarbeit drinsteckt. Bei Kakao wissen das noch viele, bei Zahnpasta, Nagellack oder Shampoo schon nicht mehr. Dabei stammt das darin verarbeitete Mineral Glimmer oder Mica oft aus Steinbrüchen in Indien, in denen selbst Zehnjährige schuften.

  • E&W: Und was sollte man unbedingt vermeiden?

Herrmann: Besserwisserisch aufzutreten. Sie kommen bei diesem Thema nur dann glaubwürdig rüber, wenn Sie vor den Kindern das eigene Handeln, auch die eigenen Schwächen reflektieren. Ich erzähle also davon, wie gerne ich Second-Hand-Kleidung kaufe – aber auch, dass mein CO2-Fußabbruck aufgrund meiner vielen Reisen ziemlich hoch ist. Wichtig ist auch das Eingeständnis, dass wir Erwachsenen einiges falsch gemacht haben und es immer noch tun. Man kann von jungen Menschen nicht erwarten, dass sie die Fehler ihrer Eltern und Großeltern ausbügeln.

  • E&W: Was ist Ihr Eindruck: Behandeln Lehrkräfte nachhaltige Themen ausreichend?

Herrmann: Das ist unterschiedlich und hängt von der Einzelperson und der jeweiligen Schule ab. Sieht die Lehrkraft Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Fairen Handel lediglich als Modeerscheinung oder als notwendiges Übel an? Oder hat sie verstanden, dass das Themen sind, die zu einer Priorität, einer Routine gemacht werden müssen? Es hängt aber auch davon ab, ob Lehrkräfte Freiräume bekommen, diese Themen zu entwickeln – auch in der Praxis, etwa für einen Besuch im Weltladen oder die Organisation von Kleidertauschpartys. Viele Lehrkräfte klagen, dass sie wegen des straffen, durchgetakteten Schulalltags zu wenig Zeit für nachhaltige und faire Themen haben. Da braucht es dringend eine Anpassung der Lehrpläne. Außerdem: Es ist toll, wenn Schulen besser mit Laptops ausgestattet werden – zugleich sollten Schülerinnen und Schüler aber wissen, unter welchen Umständen diese Geräte produziert werden.

  • E&W: Mehr als 100 Vorträge – was hat Sie im -Austausch mit den Schulklassen besonders -überrascht?

Herrmann: Wie aufmerksam viele Schülerinnen und Schüler sind – eine Stunde Vortragszeit ist für sie ja alles andere als normal. Das bestätigen mir auch viele Lehrkräfte nach dem Vortrag. Der Trick ist, zwischendurch eine kurze Pause zu machen. Danach sind alle wieder aufnahmebereit. Mich überrascht auch, wie viele Fragen in der anschließenden Diskussionsrunde meist kommen.

  • E&W: Und was hat Sie besonders geschockt?

Herrmann: Wie tief viele Jugendliche in der Konsumwelt stecken. Wenn ich beispielsweise in meinem Vortrag zu nachhaltiger Kleidung den chinesischen Modekonzern Shein erwähne, geht meistens heftiges Gemurmel los. Während viele Jugendliche, vor allem Mädchen, schon beim weltgrößten Modekonzern eingekauft haben, kennen viele Lehrkräfte das Unternehmen nicht einmal. Shein vertreibt seine Produkte fast ausschließlich über soziale Netzwerke, und die Produkte sind alles andere als fair hergestellt: Die unglaublich niedrigen Preise weisen auf sehr schlechte Arbeitsbedingungen hin – auch Kinderarbeit lässt sich nicht ausschließen. Da ist eine parallele Konsumwelt entstanden, in der sich junge Menschen ganz natürlich bewegen, die Erwachsenen aber völlig unbekannt ist.