Ein Naturbuch für Frühling, Sommer, Herbst und Winter

Frühling, Sommer, Herbst und Winter werden durch Kinder über die jahreszeitlichen Besonderheiten erlebt. Am Beginn des Jahreslaufs fallen die Frösche auf: Winzige Eier, die Kaulquappe, Hinterbeine, vier Beine, ein Frosch! Oder ist es eine Kröte? Fast überall auf der Welt ziehen im Sommer Gänseblümchen die Aufmerksamkeit auf sich. Es sind die Blümchen mit den vielen, vielen Namen. Und flugs hat Kind eine zarte Blumenkette geknüpft. Im Herbst wirbeln Ahornsamen durch die Luft. Warum haben sie Flügel? Ein kleiner lyrischer Text lädt zum Nachdenken darüber ein, ob nicht gerade heute wieder ein mächtiger Baum sein Leben beginnt. Neben Zugvögeln interessieren im Winter auch die Zuhausebleiber, nebst ihren Spuren im Schnee.

Das Buch ähnelt einem Spaziergang durch den Jahreslauf. Es gibt eine klare Laufrichtung, einen Weg, den wir verfolgen. Immer wieder zieht etwas die Aufmerksamkeit auf sich und wir können stehen bleiben, genau betrachten und dabei Neues entdecken. Es kommt nicht darauf an, möglichst alles zu sehen. Wir nehmen uns Zeit, über eine Auffälligkeit genauer nachzudenken und dann kommen uns auch besonders schöne Worte in den Sinn, ein kleines Gedicht lässt uns anders hinsehen und über nicht gleich sichtbare Zusammenhänge nachdenken. Wir spüren unseren Gefühlen für die eine Sache nach. Plötzlich haben wir einen Einfall, was wir tun können, wo unsere Aktivität nützlich oder einfach schön wäre. Über Einzelheiten, die wir beobachten, erfassen wir auf diesem Spaziergang das Besondere dieses einzelnen Tages, den wir erleben.

Mit großer inhaltlicher Vielfalt und prächtiger farblicher Gestaltung begleitet dieses Sachbilderbuch Kinder durch den Jahreslauf.  Keine Hochglanzfolie beschützt das Äußere. Dafür beeindruckt schon auf dem Cover die hohe Strahlkraft des Bildes. Kräftige Farben leuchten in reiner Form. Meist zeigen sie aber Farbverläufe, wie wir sie in der Natur beobachten können, oder die Flächen sind durch zarte Strukturen belebt. Die weitestgehend flächigen Illustrationen machen oft einen Collage-Eindruck, klare Formen wie breite oder schmalste Streifen, Blüten- oder Blattgestalten scheinen zusammengefügt und farbig überdruckt oder überspritzt. 

So funkelt für uns das Licht in den Gräsern. Die abgebildeten Tiere, Früchte oder Blumen sind in ein natürliches Umfeld gesetzt, schwimmen durch Algen, sitzen im Gras oder überdecken einander, und trotzdem sind ihre Gestalt und die besonderen Merkmale sehr genau zu sehen. Dabei ist dem durch die Luft wirbelnden Ahornsamen gleichviel Aufmerksamkeit gewidmet wie dem Rotkehlchen auf dem vereisten Zweig. Dem Bilderbuchkünstler Tim Hopgood steht eine große Palette von Gestaltungsmöglichkeiten außerhalb naturalistischer Abbildung zur Verfügung. Und so schafft er eine ganz besondere Naturdarstellung, die gerade durch das Malerische überzeugen kann.

Besonders beachtenswert ist auch die sprachliche Gestaltung des Buches, wobei dem Übersetzer Ulrich Thiele großes Lob gebührt. Die Texte sind recht knapp und immer auf farbigem Grund ins Bild gesetzt. So ordnen sie sich in die Bildgestaltung ein. Die sachlichen Aussagen beschränken sich auf wesentliche Fakten, die beobachtbar sind oder besonders kindlichem Interesse entsprechen dürften. Dabei wird die Sachlichkeit oft etwas aufgebrochen, indem Tieren oder Pflanzen Emotionen und Absichten zugesprochen werden. So heißt es etwa: „Kröten (…) verbringen ihre Zeit lieber an schattigen Stellen an Land.“ Etliche Inhalte geben jahreszeitliche Stimmungen wieder. Dann sprechen lyrische Texte zum Beispiel über die Freude an Ferien. Oder der Nachtflug der Eule wird durch ein Gedicht charakterisiert. 

Neben fachlich spezifischer Wortwahl zum Beispiel bei der Benennung von Apfelsorten oder dem Begriff Bestäubung, wenn von den Aktivitäten der Bienen die Rede ist, finden wir überall sehr ausdrucksstarke Sprache. Da ist von Power-Erde die Rede, wenn die Kraft der Nährstoffe beschrieben wird, da sind Bienen emsig, Schmetterlinge Schönheiten und Zapfen können zuverlässig das Wetter anzeigen. Hin und wieder ist der Text nicht waagerecht angeordnet, sondern folgt einer Spur, die einen Kreislauf kennzeichnet oder dem Flug der Löwenzahnschirmchen. All das lädt zum Innehalten ein und zum wiederholten Betrachten.

Es erscheinen recht häufig Kindersachbücher, die die Jahreszeiten thematisieren, die Merkmale von Erscheinungen beschreiben und Aktivitäten anleiten, sich die Natur zu erschließen. Aber das vorliegende Werk sticht durch eine ganz besondere Qualität hervor. Oft sind diese Titel als Ratgeber für Eltern oder Pädagogen gedacht oder richten sich mit ihren Aktivitätenanregungen direkt an Kinder. Hier ist keine derartige Nutzerorientierung angestrebt. Kinder im Vor- und Schulalter und Erwachsene gleichermaßen werden zum Lesen und Genießen eingeladen, einzeln oder gemeinsam und immer wieder.

Das Sachbilderbuch erfüllt klar die Kriterien für eine sachliche Gestaltung: fachliche Richtigkeit und Orientierung an Sachverhalten, die für das Thema wesentlich sind. Gleichzeitig zeigt es eine nahezu poetische Ausstrahlung und erweitert auf diese Weise das Genre. Durch die Verbindung von Sachlichkeit und Emotionalität und die exemplarische Auswahl entstand ein Werk, das in besonderer Weise das Naturerleben von Kindern fördern kann.