Testfeld für Wahlkampfthemen
Ein weiterer Vorteil von Facebook im Hinblick auf den Wahlkampf: Die thematischen Testballons werden losgelassen und es gibt eine messbare Resonanz. Die Reaktionen auf die Posts geben zumindest einen Hinweis darauf, was gut ankommt und was eher nicht. Gut: „3 Punkte-Plan läuft wieder an: Anstrahlen. Abhaken. Weiter wie immer.“ vor dem Brandenburger Tor mit britischer Flagge aus aktuellem Anlass, dem Anschlag in Manchester (8.380 Likes / 5.434 mal geteilt / 857 Kommentare). Weniger gut: „’Neuland Internet’ – Deutschland bleibt rückständig“ (936 Likes / 164 Mal geteilt / 161 Kommentare).
Was gut läuft, wird variiert. Am 4. Mai: „Asylverkehr auf dem Mittelmeer“ vor einem Taxischild (3.447 Likes / 1.574 Mal geteilt / 197 Kommentare). Vier Tage später titelt die AfD: „Alarmierende Zahlen aus Italien – ‘Retter’ schleusen täglich 3.000 Migranten ein.“ Dreisatz, Schlussfolgerung der AfD: „90.000 Sozialhilfeempfänger monatlich mit dem Ziel Deutschland?“ (3.202 Likes / 2.484 Mal geteilt / 490 Kommentare). Der Wahrheitsgehalt der Aussagen ist überschaubar, die rassistische Absicht erkennbar, aber es funktioniert für die Community.
„Schlauchboot-Migranten rufen NGOs wie Taxis an.“ (AfD auf Facebook)
Ein Eindruck aus der Kommentarspalte: Eigentlich seien es noch mehr, weil die alle dreifach abkassieren, NGOs sind kriminelle Schlepper, kotzende Smileys, „Volksverräter“ sind schuld, man sollte dies und jenes mit den Migranten tun (Boote anbohren, Chips implantieren, …) – „Wer soll diesen Wahnsinn stoppen außer der AfD?“ Am 13. Mai dann das Sharepic „Bei Anruf Abholung im Mittelmeer“ über einem Smartphone mit „Mama Merkel Taxiservice“ auf dem Display, daneben der Text: „Schlauchboot-Migranten rufen NGOs wie Taxis an“ (3.944 Likes / 4.250 Mal geteilt / 372 Kommentare). Im Strategiepapier heißt es passend dazu, die stete Wiederholung sei erfolgreicher als Neues. Also Relevanz durch Redundanz.
Wir gegen die anderen
Die Profilierung funktioniert besonders gut bei gleichzeitiger Abgrenzung zur politischen Konkurrenz. Zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen bezieht sich die AfD darauf, dass die CDU mit „ihren“ Themen punkten möchte und kommentiert das Foto eines Wahlplakates: „Die CDU in NRW hält die Bürger für völlig verblödet“ (4.729 Likes / 2.673 Mal geteilt / 621 Kommentare) – im Gegensatz zur AfD natürlich. Beliebt sind auch Spitzen gegen Politikerinnen und Politiker der „Altparteien“, gerne persönlich ausgeteilt von den AfD-Spitzenfunktionärinnen und -funktionären.
„Martin Schulz und die SPD sind die Pinocchios deutscher Politik.“ (Frauke Petry, AfD)
Georg Pazderski am 2. Mai: „Das Problem der Bundeswehr heißt von der Leyen“ (4.083 Likes / 965 Mal geteilt / 237 Kommentare), Alice Weidel am 1. Mai: „Altmaier muss dringend auf die Couch“ (3.336 Likes / 386 Kommentare), Frauke Petry meint am 23. Mai: „Martin Schulz und die SPD sind die Pinocchios deutscher Politik.“ Jörg Meuthen textet am 20. Mai muntere Alliterationen: „Maas macht missliebige Meinungen mundtot – Frontalangriff des Gesinnungswächters.“ Spontan möchte man auch gar nicht wissen, worum es geht – das wird wenn überhaupt, erst später erklärt – die so gesendeten Botschaften lösen beim AfD-Publikum erstmal den „Ach der oder die schon wieder, typisch!“ -Reflex aus.
Ein weiterer aus der analogen Welt bekannter Mechanismus ist die Inszenierung als Opfer – hier werden Wahlplakate zerstört und Büros angegriffen, da verklagt Alice Weidel den NDR, Frauke Petry bittet die OSZE um Wahlbeobachtung. Ein neues Lieblingsthema scheint das so genannte Netzdurchsetzungsgesetz gegen Hatespeech im Netz zu sein, hier wittert die AfD „Zensur“.
Nach einigen Stunden auf der AfD-Facebookseite ist der Puls schon ganz schön nach oben gegangen. Überall lauern Sozialschmarotzer und ausländische Kriminelle, Politikerinnen und Politiker, die sich die Taschen voll machen und das Land verraten. Ungerechtigkeit und ständige Bedrohung bestimmen das AfD-Universum. Da freut man sich schon fast, wenn die AfD zwischendurch Frauke Petry und Markus Pretzell zur Geburt ihres Kindes gratuliert, einen schönen Muttertag wünscht oder nur eine Veranstaltung oder ein neues Video bewirbt. Auch wenn die geteilten Beiträge von leicht menschenverachtend über plump bis geschmacklos reichen und durchgängig in einem ätzend-spöttischen Tonfall gehalten sind, ist der Facebook-Auftritt der Bundes-AfD verhältnismäßig moderat gehalten. Björn Höcke beispielsweise findet auf der Seite praktisch keine Bühne.
Die AfD versteht es, Facebook als Mobilisierungskanal und Vermarktungsplattform für die eigenen Ideen zu nutzen. Es gelingt ihr, die Effekte sozialer Netzwerke auszunutzen, negativen Stimmungen Raum zu geben, sie zu verstärken und so eine Gemeinschaft Gleichgesinnter zu schaffen. Facebook ist das perfekte Mittel zur Profilierung als Protestpartei, trotzdem muss allerdings nicht jedes „Gefällt mir“ ein Kreuz auf dem Wahlzettel im September bedeuten.
Dieser Beitrag ist im Magazin „Der rechte Rand“ erschienen. Auf der Internetseite www.afd-im-bundestag.de bietet das antifaschistische Magazin kritische Informationen über die „Alternative für Deutschland“ und ihr Wirken im Bundestag .