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Konferenz „Gewerkschaftliche Erneuerung“.

Ein Lichtblick in finsteren Zeiten

Mehr als 3.000 Menschen haben Anfang Mai an der Technischen Universität (TU) Berlin beraten, wie in Zeiten des Rechtsrucks, des Sozialabbaus und der Militarisierung der Gesellschaft mit den Gewerkschaften Gegenmacht aufgebaut werden kann.

Zum sechsten Mal hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu einem Treffen eingeladen, das vor zwölf Jahren mit dem Titel „Streik-Konferenz“ gestartet ist. Das Thema Streik stand auch diesmal im Mittelpunkt der Tagung. (Foto: Thorsten Seiffert)

Ein historischer Ort: Hier, im Audimax der TU in Berlin, hatte im Februar 1968 der internationale Vietnamkongress stattgefunden. Wie damals ist der Saal mit über 3.000 Teilnehmenden überfüllt, und auch die Stimmung ist wieder euphorisch und kämpferisch. Die gastgebende Präsidentin der TU, Prof. Geraldine Rauch, wird begeistert gefeiert, als sie die Aufgabe der Hochschule definiert: Diese sei kein Rückzugsraum, sondern müsse Resonanzboden für die Gesellschaft sein – gerade jetzt, da die Demokratie in Gefahr sei und die Brandmauer gegen Rechtsextreme stabilisiert werden müsse.

Rauch stellt sich hinter die Konferenz „Gegenmacht im Gegenwind – Gewerkschaftliche Kämpfe als Antwort auf Rechtsruck, Transformation und Kürzungspolitik“, die fast hundert Themen- und Praxisseminare anbietet. Die Präsidentin und die Hochschule sind unmittelbar von den massiven Etat-Kürzungen betroffen. Die Teilnehmenden mussten die Folgen selbst erfahren: Arbeitsgruppen in den oberen Stockwerken des Mathe-Gebäudes der TU waren nur mit 20 Minuten Verspätung zu erreichen, weil nur noch ein einziger Aufzug funktioniert.

Tesla-Betriebsräte werden gefeiert

Zum sechsten Mal hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu dem Treffen geladen, das vor zwölf Jahren mit dem Titel „Streik-Konferenz“ gestartet ist. Damals waren es in Stuttgart 500 Teilnehmende. Heute ist das Erlebnis von Solidarität und Gemeinsamkeit, etwa als die Beschäftigten von CFM, dem Servicebetrieb der Charité, auf die Bühne kommen und mit lauten Sprechchören gefeiert werden, ebenso wichtig wie die Gespräche. Die CFMler streiken schon über einen Monat für eine gerechte Entlohnung: „TVöD für alle an der Spree“ skandiert der Saal mit ihnen. Gefeiert werden auch die Betriebsräte von Tesla und die 50 Gewerkschaftsjugendlichen, die ihren Protest gegen Militarisierung und die drohende Wehrpflicht vortragen.

Wer kommt hier zusammen? Die Abfragen in den Workshops ergeben: Nahezu alle Teilnehmenden sind Gewerkschaftsmitglieder, überwiegend jüngere. Auf den Podien sitzen haupt- und ehrenamtliche Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Auch die GEW ist gut vertreten. Annett Lindner, GEW-Vorstandsmitglied für Tarif- und Beamtenpolitik, diskutiert in der Arbeitsgruppe „Zwischen Überlastung und Streikverbot – wie können Lehrkräfte kämpfen“ mit Philipp Dehne, Vertreter von „Bildungswende jetzt!“. Wenn, wie in Berlin, die Hälfte der Lehrkräfte angestellt ist, könnten diese streiken – und täten es auch, um damit den Betrieb lahmzulegen. Streiken, so Dehne, könne man auch gemeinsam mit den Kitas. Dabei sollten ver.di und GEW noch mehr miteinander kooperieren. Aber es gebe auch andere Möglichkeiten, politischen Druck aufzubauen, meint Dehne: Schülerinnen und Schüler sowie Eltern müssten in die Aktivitäten einbezogen werden.

„Ich sage den zweifelnden Kolleginnen und Kollegen immer: ‚Wir sollen die Schülerinnen und Schüler dazu erziehen, ihre Rechte wahrzunehmen – dann müssen wir ihnen das auch vorleben.‘“ (Annett Lindner)

In der Diskussion werden unterschiedliche Erfahrungen deutlich: Sind von den Streiks in Kita und Schule nicht eher Kinder und Eltern betroffen – und weniger die Arbeitgeber? So lautet eine der Fragen. Andere Teilnehmende berichten von solidarischer Unterstützung der Eltern beim Kampf der Beschäftigten für bessere Arbeitsbedingungen. Lindner betont: „Ich sage den zweifelnden Kolleginnen und Kollegen immer: ‚Wir sollen die Schülerinnen und Schüler dazu erziehen, ihre Rechte wahrzunehmen – dann müssen wir ihnen das auch vorleben.‘ Für uns bleibt das Streikrecht ein Menschenrecht.“ 

Auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der Ende 2023 das Streikverbot für verbeamtete Lehrkräfte in Deutschland für rechtens erklärt hatte, werde die GEW politisch aktiv bleiben: „Die Begründung des EGMR ist für uns eine Aufforderung zur Stärkung der Beteiligungsrechte. Einerseits sind kreative Aktionsformen jenseits des Streiks gefragt. Andererseits müssen die Kolleginnen und Kollegen, für die das Streikrecht gilt, noch mehr motiviert werden, dieses auch wahrzunehmen.“

Den Rechtsruck in den Betrieben bekämpfen

Für den gemeinsamen Kampf müsse die GEW Ressourcen bereitstellen. Darüber sind sich Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer, aber auch die Diskutanten auf dem Podium einig. Die GEW müsse sich den großen politischen und gesellschaftlichen Fragen stellen, verlangt ein Kollege aus Hannover, sie müsse sich mit der Militarisierung der Gesellschaft auseinandersetzen.

„Schluss mit der Stellvertreterpolitik“, konfliktbereite und durchsetzungsstarke Mitbestimmung, aktive Gewerkschaftspolitik und Organizing – so könne der Rechtsruck in den Betrieben wirksam bekämpft werden, meint die Historikerin Chaja Boebel vom IG-Metall-Vorstand. Unter Arbeitern fand die AfD mit rund 38 Prozent der Stimmen bei der vergangenen Bundestagswahl weitaus mehr Zuspruch als in der Gesamtbevölkerung. Auch von den Gewerkschaftsmitgliedern wählten fast 22 Prozent die Rechtsaußenpartei.

Nahezu alle Teilnehmenden der Konferenz sind Gewerkschaftsmitglieder. Von der GEW über ver.di bis zur IG Metall waren Kolleginnen und Kollegen vertreten. (Foto: Niels Holger Schmidt)

Gewerkschaften sollen politischer werden

Dafür gibt es objektive Ursachen. Bei VW drohten Werksschließungen, das Modell der Sozialpartnerschaft sei aufgekündigt worden, stellt Marc Seeger, Betriebsrat im VW-Werk Braunschweig, fest. Die Menschen sähen sich bedroht und seien verängstigt. Viele Betriebsräte würden dieser Entwicklung nicht entschieden genug entgegentreten. Hinzu kämen mentale Ursachen der Verunsicherung: die Auflösung männlich geprägter Normalarbeitsverhältnisse, die Abwertung hergebrachter Lebensentwürfe. Der Gegensatz von oben und unten werde ersetzt durch den rassistischen Gegensatz von innen und außen. Dagegen helfe eine aktivierende Gewerkschaftspolitik, meint Boebel. Man müsse die Kolleginnen und Kollegen in die betrieblichen Auseinandersetzungen wie in die Tarifkämpfe einbeziehen. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit helfe gegen eine Ideologie, die die Menschen in einem resignierten „gegen die da oben richtet man nichts aus“ zurücklässt, wie sie von den rechten Demagoginnen und Demagogen der AfD und dem von ihr geprägten „Zentrum“, einer Pseudogewerkschaft, gepflegt werde.

Die Gewerkschaften müssten politischer werden – darüber sind sich Publikum und Podium in der Runde einig, in der es um Aufgaben der Gewerkschaften unter der neuen Bundesregierung geht. Michael Erhardt, IG-Metall-Bevollmächtigter in Frankfurt am Main, ist jedoch skeptisch, ob es gelingt, die Beschäftigten zu allgemeinpolitischen Fragen auf die Straße zu bringen. Im Publikum dagegen wird gefordert, dass die Gewerkschaften auch zu politischen Streiks aufrufen sollten. Das Podium mahnt einen realistischen Blick auf die Bewusstseinslage der Mehrheit der Bevölkerung an.

Knackpunkt für die weitere Auseinandersetzung ist die faktische Abschaffung des Achtstundentags mit der geplanten Änderung des Arbeitszeitgesetzes. Wie könne sich eine Partei in der Tradition der Arbeiterbewegung, die SPD, für so etwas hergeben, wird kritisch angemerkt. Die Steuerungerechtigkeit und die damit verbundene Umverteilung nach oben sowie die Austrocknung der öffentlichen Güter sei ein weiterer Punkt, an dem sich Auseinandersetzungen entwickeln können, sagt Andreas Keller, GEW-Vorstandsmitglied Hochschule und Forschung. Zudem müsse der Widerstand gegen die die Köpfe vernebelnde und Geld verschlingende Militarisierung organisiert werden.

Bekenntnis zu Frieden und Abrüstung

In Berlin trifft sich das politische Spektrum, das im Kampf für Frieden eine wichtige Aufgabe der Gewerkschaften sieht. Ein Bekenntnis zu Frieden und Abrüstung vermissen die Teilnehmenden, so auch Keller, in den Aufrufen der Gewerkschaften zu den Aktionen zum „Tag der Arbeit“ und in Erklärungen zum Ostermarsch. Das unterstreichen im Abschlussplenum die Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaftsjugend, die mit ihrer Ablehnung der Wehrpflicht, der materiellen und ideellen Aufrüstung unter dem Beifall der im Audimax versammelten Teilnehmenden den Schlusspunkt setzen.

In diesen finsteren Zeiten war der Kongress ein Lichtblick: Auch wenn sie vielleicht nicht die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder repräsentieren: Die Kräfte gewerkschaftlicher Erneuerung haben ein ermutigendes Zeichen gesetzt.