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Filmtipp

Ein kompliziertes Verhältnis

Die Dokumentation „Germans & Jews“ setzt sich mit den zahlreichen Widersprüchen jüdischen Le-bens im post-nazistischen Deutschland auseinander.

Filmplakat „Germans & Jews“

75 Jahre nach der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager findet man die am schnellsten wachsende jüdische Community Europas ausgerechnet in der ehemaligen Schaltzentrale des Nazi-Terrors: Berlin ist zu einem Magneten für junge Israelis geworden, es gibt Synagogen mit liberalem, konservativem und orthodoxem Ritus, jüdische Feinkostläden, jüdische Kulturtage. Wie kann das sein, das fragten sich auch die Regisseurinnen Janina Quint und Tal Recanati – die eine nicht-jüdische Deutsche, die andere US-amerikanische Jüdin – und machten sich auf Spurensuche in Berlin.

In einer Collage von historischen Aufnahmen, Bildern der deutsch-jüdischen Gegenwart und Interviews mit Überlebenden und Nachfahren der Täter und Opfer überspannt die Dokumentation „Germans & Jews“ eine große Lücke in der Wahrnehmung der Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland: die Zeit nach 1945.

Der 2016 verstorbene Historiker Fritz Stern etwa floh als Kind mit seiner Familie aus Nazi-Deutschland. 1950 kehrte er für seine Dissertation ins noch vom Krieg gezeichnete Deutschland zurück. Dort sah man sich immer noch vor allem als Opfer des Krieges, zahllose Ex-Nazis konnten hier völlig unbehelligt leben und arbeiten. Dennoch zog es nach dem Krieg 27.000 Juden in eben dieses Deutschland.

Etwa den Vater von Rebecca Gop, die dessen Entscheidung nie verstehen und die sich nie als Deutsche fühlen konnte. Ihr Mann Ilja Gop dagegen kam im Zuge der jüdischen Einwanderungswelle Anfang der 1990er-Jahre aus der damaligen Sowjetunion nach Deutschland. Sein Verhältnis zur Bundesrepublik sei viel unbefangener als das seiner Frau, weil er sich bewusst für dieses Land entschieden habe, erklärt er. Ihr gemeinsamer Sohn schließlich tritt bei der Makkabiade, einem internationalen jüdischen Sportfest, wie selbstverständlich in Schwarz-Rot-Gold für das deutsche Team an.

Nicht die ganze Wahrheit

Ergänzt werden diese individuellen Geschichten durch die Expertise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, etwa der des Historikers Thorsten Wagner. Dieser beschreibt den langen Weg der deutschen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus von einer Phase des Schweigens in den 1950er- über die Nazi-Prozesse der 1960er-Jahre bis in die Gegenwart. Durch die Summe der Stimmen all derer, die in der Dokumentation zu Wort kommen, entsteht das Bild einer echten Erfolgsgeschichte: Deutschland ist demokratisch, Berlin ist cool, jüdisches Leben hier so sicher wie sonst kaum irgendwo. Die nicht-jüdischen Deutschen, die in dem Film einen Auftritt haben, hadern sämtlich mit ihrer Identität, mit deutscher Schuld.

Es ist ohne Frage richtig, dass sich in weiten Teilen der großstädtischen Mittelschicht ein echtes Feingefühl für den Umgang mit toten wie lebenden Juden herausgebildet hat, die ganze Wahrheit ist es aber nicht. Dass es auch eine andere Seite der Medaille gibt, übergeht „Germans & Jews“ zwar nicht. Das Thema wird aber nur am Rande erwähnt, etwa dass Umfragen zeigten, dass sich eine Mehrheit der Deutschen weigert, an den Holocaust erinnert zu werden, oder dass der israelbezogene Antisemitismus auch hierzulande immer aggressiver auftritt. Eine Erklärung dafür kann der Film nicht liefern.

Allerdings hatte die Dokumentation ihre Premiere bereits 2016 in den USA und damit vor dem Anschlag auf die Synagoge in Halle und dem Höhepunkt der Debatte um Antisemitismus in den Schulen. Es ist bedrückend, dass der Optimismus des Films aus heutiger Sicht fast wieder wie ein Relikt aus besseren Zeiten wirkt. Das macht „Germans & Jews“ nicht weniger interessant, im Gegenteil vielleicht, und das Schlusswort, das Fritz Stern gebührt, nicht weniger richtig: Stern mahnt, auch die jüngste Generation in Deutschland müsse sich bewusst machen, dass für eine liberale und tolerante Gesellschaft ohne Unterlass gekämpft werden muss.

„Germans & Jews“ gib es auf DVD und zum Download.