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Biografie

Ein Gewerkschaftsleben voller Höhen und Tiefen

Gesamtschulleiter und Gewerkschaftsvorsitzender: Der Autor Hans-Peter de Lorent legt Dieter Wunders Biografie vor.

Dieter Wunder während seiner ersten Amtsperiode als GEW-Vorsitzender Ende 1983 auf dem Gewerkschaftstag in Mannheim. (Foto: Inge Werth)

Du musst jetzt kandidieren“ – mit diesem Satz habe sein Vorgänger Erich Frister ihm quasi befohlen, für das höchste Amt der GEW anzutreten. So erinnert es Dieter Wunder, der 1981 zum Vorsitzenden gewählt wurde und es bis 1997 blieb. Es waren aufregende Zeiten für die Bildungsgewerkschaft, geprägt durch eine hohe Arbeitslosenquote, die Vereinigung der beiden deutschen Staaten und die Debatten um die Gesamtschule. Der Hamburger Bildungsforscher Hans-Peter de Lorent, der bereits die Biografie Erich Fristers schrieb, schildert auf 300 Seiten Wunders Karriere.

„Ich war überzeugt, dass die freie Marktwirtschaft nicht das Optimum ist. Das ist für mich eine Konstante geblieben.“ (Dieter Wunder)

Als Kind lebte Dieter Wunder, der am 21. April 1936 in Düsseldorf geboren wurde, eine Zeit lang in einem Schloss – im dortigen Erziehungsheim unterrichtete seine Mutter –, aber politisch stand er bereits als junger Mann links: „Ich war überzeugt, dass die freie Marktwirtschaft nicht das Optimum ist. Das ist für mich eine Konstante geblieben“, sagte er über seinen Eintritt in den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Der war ursprünglich der Hochschulverband der SPD gewesen, wurde Anfang der 1960er-Jahre aber ausgeschlossen, weil die Organisation der SPD zu radikal wurde.

Zu den Ausgeschlossenen gehörte auch Wunder, der damals bereits an seiner Doktorarbeit schrieb. Deren Thema lag weitab von der Tagespolitik: Es ging um den Nebensatz im Althochdeutschen. Nicht so seltsam, wie es scheint, verrät die Biografie. Dieter Wunder zog es zur historischen Forschung. Er hatte eigentlich Archivar werden wollen. Stattdessen wurde er Lehrer, heiratete aber immerhin eine Historikerin, die spätere Kasseler Professorin Heide Wunder. 1997, als ein Gewerkschaftstag ihn sozusagen aus Versehen abgewählt hatte, begann Wunder umgehend, sich mit der Geschichte von Adelsgütern zu befassen. Dazwischen lag ein Arbeits- und Gewerkschaftsleben voller Höhen und Tiefen.

Chronologisch erzählt

Das Buch, für das de Lorent mit zahlreichen Weggefährten Wunders gesprochen und Texte unter anderem aus der „E&W“ ausgewertet hat, zeichnet Wunders Leben chronologisch nach. Es beginnt mit seinem Elternhaus – der Vater war ein frühes Mitglied der NSDAP, sein Leben schildert die Biografie in einem Anhang – und verfolgt seine Karriere, auf der er parallel im Beruf und in der GEW aufstieg. So leitete Wunder eine der ersten Gesamtschulen in einem Hamburger Brennpunkt-Stadtteil, gleichzeitig kandidierte er für den GEW-Landesvorsitz.

Durch seine eigenen Tätigkeiten in der Gewerkschaft, sagt Autor de Lorent, kenne er Wunder seit Jahren, doch richtig kennengelernt habe er den ehemaligen Vorsitzenden erst durch die Gespräche für die Biografie. Denn Wunder lasse Nähe nicht leicht zu. Dennoch habe er nicht befohlen, sondern „durch Diskussion geführt“, so schildern es viele Weggefährten.

Gymnasiallehrer, der sich für die Gesamtschule einsetzte

Dieter Wunder baute seine Karriere geschickt auf: Als Gymnasiallehrer, der sich für die Gesamtschule einsetzte, war er eine Ausnahmegestalt im Hamburger Landesverband der GEW und stieg rasch zum Vorsitzenden in der Hansestadt auf. Über inhaltliche Arbeit setzte er Akzente auf der Bundesebene. Vor wichtigen Wahlen platzierte er Artikel in der Hamburger Lehrerzeitung oder der E&W, sodass die Delegierten ihn kannten. „Für Leute, die ähnliche Ambitionen haben, ist es interessant zu wissen, wie man das macht“, sagt Biograf de Lorent.

Wunders Gefühl für die Stimmung in der Gewerkschaft verließ ihn 1997 – bei einem Gewerkschaftstag mit Krimi-Qualität. Wunder trat erneut für den Vorsitz an, mit dem lapidaren Satz: „Ich bin bekannt, eine Vorstellung ist wohl nicht nötig.“ Das war, angesichts einer aufgeheizten Stimmung und der Sorgen vieler um ihre Arbeitsplätze, zu wenig. Wohl um dem Vorsitzenden einen Denkzettel zu verpassen, stimmten viele Delegierte gegen ihn. Am Ende reichte es nicht für die Mehrheit. Statt in einen zweiten Wahlgang zu gehen, zog Wunder zurück. Nach ihm, der einen neuen Führungsstil etablierte und die Debatte um Gesamtschulen anstieß, folgte mit Eva-Maria Stange aus Sachsen die erste Frau an der GEW-Spitze. 

Hans-Peter de Lorent: Dieter Wunder. Vorsitzender der GEW von 1981 bis 1997, erschienen in der Reihe Beiträge zur Geschichte der GEW. Verlag Beltz-Juventa 2023, 309 S.