Bundesprogramm „Demokratie leben“
Ein Drittel weniger Mittel
Grit Hanneforth, Sprecherin des Bundesverbands Mobile Beratung, über die Folgen der Umstrukturierung des Bundesprogramms „Demokratie leben“, ein mögliches Fördergesetz und Gefahren für Demokratieprojekte durch AfD-Kommunalpolitiker.
- E&W: Frau Hanneforth, die Arbeit des Bundesverbands Mobile Beratung wird durch das Bundesprogramm „Demokratie leben“ gefördert. Wie genau sah die Förderung bislang aus?
Grit Hanneforth: Von 2014 bis 2019 waren wir in der Förderung zum bundeszentralen Träger. Dort lag der Schwerpunkt auf dem Aufbau von Strukturen und dem Ausbau des Berufsfeldes Mobile Beratung. Dazu gehören bundesweite Austauschtreffen der mobilen Beraterinnen und Berater, die intensive Arbeit der Fach-AGs, die Implementierung modularer Fortbildungen oder die Erarbeitung fachlicher Grundsätze der mobilen Beratung. Unsere Gründung in der Rechtsform Bundesverband und unsere inhaltliche Entwicklung sind daher auch ein Ergebnis der Förderung der vergangenen fünf Jahre.
- E&W: Mit Beginn der neuen Förderphase von 2020 bis 2024 gab es strukturelle Veränderungen im Bundesprogramm. Inwiefern sind Sie davon betroffen?
Hanneforth: Für die neue Förderphase hatte der Bund zunächst nicht vor, den Bundesverband Mobile Beratung zu finanzieren, genauso wenig den Dachverband der Opferberatungsstellen. Das war ein Existenzkampf. Es waren sehr intensive und aufwändige Lobbygespräche nötig, um deutlich zu machen, dass die bundesweite Relevanz unserer Arbeit förderwürdig ist. Ende September 2019 haben wir uns mit dem Bund geeinigt.
- E&W: Mit welchem Ergebnis?
Hanneforth: Wir werden 2020 als Begleitprojekt im Rahmen des neuen Bundesprogramms gefördert, genauso wie die Kolleginnen und Kollegen vom Dachverband der Opferberatungsstellen. Als Fach- und Dachverband begleiten wir die Arbeit unserer mobilen Beratungsteams vor Ort. Dabei kooperieren wir auch mit Trägern, die im Kompetenznetzwerk Rechtsextremismus und Antisemitismus arbeiten, und mit den Landesdemokratiezentren.
- E&W: Welche Konsequenzen hat es, dass sie nun als Begleitprojekt laufen?
Hanneforth: Wir haben ein Drittel weniger Mittel aus „Demokratie leben“ erhalten und sind nicht Teil des Kompetenznetzwerks Rechtsextremismus. Für uns ist das aufgrund unserer Expertise nicht ganz nachzuvollziehen: Unsere Strukturen reichen vom Bund über die Länder und mit der mobilen Beratung bis in die Kommunen. Wir sind eines der wenigen Bundesnetzwerke, die einen seismografischen Überblick über rechtsextreme Entwicklungen in den Regionen haben und diesen kompetent nutzen können. Dankenswerterweise hat die Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration, Annette Widmann-Mauz, eine hohe Wertschätzung für unsere Arbeit und ihre Unterstützung gezeigt.
- E&W: Von der Umstrukturierung sind insbesondere Modellprojekte betroffen. Zu Recht?
Hanneforth: Es gibt Modellprojekte, die nicht zwingend verstetigt werden müssen. Andererseits gibt es auch sehr gut entwickelte Ansätze, bei denen man über eine Fortsetzung der Finanzierung oder eine Verstetigung hätte sprechen können. Ich bin sehr dankbar, dass die Länder jetzt einige Projekte mit sehr guten Ergebnissen übernommen haben. Wichtig ist, dass es weiterhin die Möglichkeit gibt, über Modellprojekte neue Themenfelder zu bearbeiten. Wir können zwar erahnen, was die Themen der nächsten Zeit sind. Doch wenn etwa der Rassismus noch stärker wird, dann müssen wir darauf flexibel reagieren können.
Seit 2015 werden viele Initiativen, Projekte und Vereine, die sich für ein gewaltfreies Miteinander, gegen Rassismus und Antisemitismus und für Demokratie engagieren, über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ gefördert. Angesichts der wachsenden Herausforderungen wurden auch die Mittel deutlich erhöht: von 40,5 Millionen Euro 2015 auf rund 115,5 Millionen Euro 2019.
Im Frühjahr 2019 wurden allerdings Pläne der Bundesregierung bekannt, nach denen die Mittel für 2020 um 15 Millionen Euro gekürzt werden sollten; für das Folgejahr sah die Haushaltsplanung lediglich 66 Millionen Euro Förderung vor. Für viele Projekte und Initiativen hätte dies das Aus bedeutet, zumindest aber die Arbeit erschwert.
Nachdem das Ministerium im Sommer die ersten Ablehnungsbescheide verschickt hatte, regte sich öffentlicher Protest. Mit Erfolg: Im Herbst 2019 einigte sich Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) darauf, dass das Förderniveau 2020 gleich bleibt und voraussichtlich in den Folgejahren weiter erhöht wird.
Im Oktober 2019, kurz nach dem antisemitisch motivierten Anschlag in Halle (Sachsen-Anhalt) auf eine Synagoge und vier Monate nach dem tödlichen Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walte Lübcke (CDU), schlug Giffey ein Demokratiefördergesetz vor. Da eine dauerhafte Förderung von Projekten durch ein Bundesprogramm rechtlich nicht möglich sei, müsse ein Gesetz einen Anspruch auf eine solche Förderung formulieren und zivilgesellschaftliches Engagement damit dauerhaft unterstützen. Die Union lehnte dieses zunächst grundsätzlich ab, Ende Januar signalisierte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) jedoch einen Sinneswandel. Auf einer Ministeriumsveranstaltung bezeichnete Seehofer nach einem Bericht des Magazins „Spiegel“, der sich auf Aussagen von Sitzungsteilnehmerinnen und -teilnehmern beruft, als „in diesen Zeiten notwendig“.
Jürgen Amendt, Redakteur der „Erziehung und Wissenschaft“
- E&W: Pro Jahr sollen mehr als 5.000 Projekte mit 115 Millionen Euro unterstützt werden. Reicht das?
Hanneforth: Geld alleine ist nicht die Lösung. Es geht vor allem darum, die Wahrnehmung von Rassismus, Antisemitismus und anderen Facetten von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit als Problem in der Gesellschaft deutlicher zu machen und die Demokratieentwicklung vor Ort in ihrer Vielfalt dauerhaft zu stabilisieren. Dazu gehört auch, die Perspektive der Betroffenen zu stärken.
- E&W: Bei Bundesprogrammen müssen Vereine die Förderung durch Landes-, kommunale oder andere Geldmittel komplementär ergänzen. Wie realistisch ist das für kleine Initiativen?
Hanneforth: Kleine Initiativen werden vor allem durch die Partnerschaften für Demokratie finanziert. Was sich hier als Problem herauskristallisiert, ist: Im Zuge der neuen Förderphase werden bei etlichen lokalen Partnerschaften neue Begleitausschüsse gewählt, die dann über die Fördermittelvergabe entscheiden. Dort hat die AfD auf Basis der Kommunalwahlen im vergangenen Jahr ihre Präsenz erhöht. Die Kommunen und Landkreise stehen dieser Entwicklung eher hilflos gegenüber. Da muss man schauen, inwiefern sich das strukturell auswirkt und die Mittel für Demokratieförderung von denen vergeben werden, die demokratische Verfahren eher geringschätzen. Da sehe ich die weitaus größeren Schwierigkeiten.
- E&W: Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) arbeitet an einem Demokratiefördergesetz. Die Idee ist, weniger Projekte mit mehr Geld zu unterstützen.
Hanneforth: Die Diskussion über ein Demokratiefördergesetz ist schon 15 Jahre alt. Neu ist die Ernsthaftigkeit, mit der sich die Bundesfamilienministerin diesem Thema widmet. Frau Giffey ist es gelungen, mit Bundesinnenminister Horst Seehofer einen Fahrplan zu vereinbaren, der auch ein entsprechendes Gesetz beinhaltet. Das ist eine gute Grundlage.
- E&W: Aber auch hier gibt es Widerstände. Die Union lehnt eine langfristige Unterstützung mit der Begründung ab, dass immer genau zu prüfen sei, inwieweit die Modelle effektiv sind.
Hanneforth: Für mich ist Wirksamkeitsanalyse in erster Linie ein Instrument, die Arbeit zu verbessern. Seit Beginn der Förderung vor 20 Jahren wird mobile Beratungsarbeit jährlich evaluiert. Das hat maßgeblich zur Professionalisierung und zu noch mehr Fachlichkeit in der mobilen Beratungsarbeit beigetragen. Evaluationen sollte es deshalb nicht nur am Ende von Projektlaufzeiten geben, sondern sie sollten diese noch intensiver begleiten.