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#GEWTAG22

„Ein anrüchiges Jubiläum“

„Richtig und wichtig“ findet Heribert Prantl, Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung (SZ), den kritischen Blick auf 50 Jahre Radikalenerlass und Berufsverbote.

Prantl sprach auf einer Abendveranstaltung des Gewerkschaftstags von einem „anrüchigen Jubiläum“, das einer intensiven Nachbetrachtung bedürfe. Der damalige Erlass habe das gesellschaftliche Klima vergiftet und eine ganze Generation auf Distanz zum Staat getrieben. Besonders betroffen: Bewerberinnen und Bewerber fürs Lehramt.

Lebensentwürfe zerstört

Der frühere Ressortchef Innenpolitik der SZ und ehemalige Richter verlangte eine Entschuldigung bei den Betroffenen und deren Rehabilitation sowie dort, wo es angesagt sei, auch eine finanzielle Entschädigung. Dem Staat breche dabei kein Zacken aus der Krone. Der Radikalenerlass habe Lebensentwürfe zerstört und Menschen aus der Bahn geworfen.

Prantl verwies auf den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne). Dieser war damals als Mitglied des AStA Hohenheim und dem Kommunistischem Bund Westdeutschland ins Fadenkreuz des Verfassungsschutzes geraten. Kretschmann hatte es nur der Intervention des Präsidenten der Uni Hohenheim zu verdanken, dass er sein pädagogisches Berufsleben nicht als Lehrer an einer Kosmetikschule in Stuttgart – wo er bis zum Eintritt in den öffentlichen Schuldienst arbeitete – beschließen musste.

„Jeder Einzelfall ist einer zu viel.“ (Maike Finnern)

Die GEW-Vorsitzende Maike Finnern erinnerte an die historische Verantwortung ihrer Organisation. 124 Frauen und 169 Männer seien auf Basis des Unvereinbarkeitsbeschlusses in den 1970er Jahren wegen „Mitgliedschaft oder Unterstützung“ von K-Gruppen aus der GEW ausgeschlossen worden. „Jeder Einzelfall ist einer zu viel.“ Dafür entschuldige sie sich bei den Betroffenen. Finnern wandte sich gegen Versuche, den Radikalenerlass aufleben zu lassen. Verfassungstreue lasse sich nicht durch Gesinnungsprüfungen feststellen.

Auch Prantl plädierte dafür, im Kampf gegen Reichsbürger, Rechtsextremisten und AfD-Mitglieder zu anderen Mitteln zu greifen. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus dürften keinen Platz in Polizei, Justiz und Verwaltung haben. Es bedürfe hier keines Überwachungsstaates. Verfehlungen ließen sich strafrechtlich und disziplinarisch verfolgen.

Versagen des Verfassungsschutzes

Der Verfassungsschutz habe versagt. Es gehe nicht um pauschales Misstrauen, sondern um belastbare Einzelfälle. Die damalige Regelanfrage habe mehr Schaden angerichtet als verhindert.

Ein Verfassungsschutz, der diesen Namen verdiene, hätte, so Prantl, 1962 den Spiegel-Verlag gegen Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Strauß geschützt, die Flick-Spendenaffäre aufgedeckt, den NSU abgeblockt, Rostock-Lichtenhagen, Hanau und den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke verhindert.

Den besten Verfassungsschutz sieht Prantl in aufgeklärten und demokratisch gesinnten Bürgerinnen und Bürgern. Eine menschengerechte, friedliche, tolerante und demokratische Gesellschaft falle einem aber nicht in den Schoß. Darauf müsse man hinarbeiten. Zukunft werde gemacht, und das koste Geld: für Präventionsnetze, langfristige Sozialarbeit, Bildung. Nichtstun koste am Ende viel mehr.

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