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Klimawandel

„Echte Pionierarbeit“

Die Hochschule für nachhaltige Entwicklung im brandenburgischen Eberswalde bildet Studierende nicht nur für den Job aus, sondern auch für eine klimagerechtere Zukunft.

Wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge, die die Entwicklung von Wirtschaft und Wirtschaftssystemen immer auch unter dem Aspekt des verantwortungsbewussten Umgangs mit Ressourcen betrachten, gibt es in Deutschland noch zu selten. (Foto: mauritius images/Animaflora PicsStock/Alamy)

Kein Studium in Deutschland ist so beliebt wie Wirtschaftswissenschaften: Rund 230.000 Studierende bereiten sich darauf vor, eines Tages die Geschicke von Unternehmen, Geschäften oder Banken zu lenken; fast so viele wie angehende Juristen und Ingenieure zusammen. Auch Charlotte Hillemann, soeben im Besitz ihres Abiturs, wollte sich in die lange Riege einreihen, vorbereitet unter anderem durch einen Leistungskurs -Sozialwissenschaften, der immer wieder sozialökologische Themen mit Wirtschaft zusammenbrachte. Um so enttäuschter war sie, als sie sich die Wirtschafts-Studiengänge näher anschaute: „Nahezu nirgends wird ein Augenmerk darauf gerichtet, wie klimagerechtes Wirtschaften ausschaut.“

Erst als die junge Bochumerin ihren geografischen Blick weitete, wurde sie fündig: An der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, nordöstlich von Berlin, stieß sie auf den Bachelor-Studiengang „Nachhaltige Ökonomie und Management“, kurz NOEM. Im Juni loggte sie sich in den – virtuellen – Tag der offenen Tür ein. Ziel des Studiengangs sei, hörte sie zu ihrer Freude, die Entwicklung von Wirtschaft und Wirtschaftssystemen immer auch unter dem Aspekt des verantwortungsbewussten Umgangs mit Ressourcen zu betrachten.

Konkret besteht der Studiengang aus drei Säulen: der klassischen Betriebswirtschaft, inklusive Personalmanagement und Rechnungswesen, der Volkswirtschaft mit grundlegenden Inhalten zu Mikro- und Makroökonomie – und Nachhaltigkeit. Letztere verbindet den Mikro- mit dem Makro-Blick: Einerseits werden Grundlagen des betrieblichen Umweltmanagements vermittelt – etwa in das Upcycling von Produkten und nachhaltige Wertschöpfung in kleinen und mittleren Unternehmen eingeführt. Andererseits geht es um das große Ganze wie die Klimaziele der Vereinten Nationen.

Nachhaltige Lösungen

Für das Erreichen dieser Ziele steht die Hochschule Eberswalde, 1830 als Höhere Forstlehranstalt gegründet, ebenfalls Modell: Bei Strom und Wärme setzt sie auf Ökostrom und Holzpellets, Dienstreisen per Kurzstreckenflug werden nur in Ausnahmefällen bewilligt. Weil das nicht reicht, um den ökologischen Fußabdruck so klein wie angestrebt zu halten, wird ein Teil des Etats in Klimaschutzprojekte investiert – so darf sich die Hochschule als klimaneutral bezeichnen. Dabei, Nachhaltigkeit in den Fokus zu rücken, helfen zudem Campusgärten und eine Wald-Kita, ein Foodsharing-Kühlschrank und Carsharing-Autos. Prof. Heike Walk, Politikwissenschaftlerin und noch bis September Interimspräsidentin, sagt: „Ob in der Hochschulgovernance oder bei Projekten mit der regionalen Wirtschaft: Unser Ziel ist, immer nachhaltige Lösungen ins Zentrum zu stellen.“ In einer strukturschwachen Region wie dem Barnim und der Uckermark komme das zuweilen „echter Pionierarbeit“ gleich, ergänzt Walk.

Bei den Studierenden, das macht der Tag der offenen Tür deutlich, ist das Interesse an Inhalten groß, die das Entweder-oder von Wachstum und Nachhaltigkeit durch ein Sowohl-als-auch ersetzen. Es gibt zahlreiche Rückfragen, auch von der Bochumerin Hillemann. Drei Tage später am Telefon hat sie sich bereits entschieden: „Ich bin schon auf Zimmersuche“, erzählt sie. Damit dürfte sie eine von 135 Pionierinnen und Pionieren sein, die im Wintersemester in den NOEM-Bachelor starten – erstmals übrigens. Präsidentin Walk: „Im Zuge der immer drängenderen Herausforderungen im Bereich des Klimawandels und der Biodiversität und angesichts einer so aktiven Fridays-for-Future-Generation, die das Nachhaltigkeitsthema stärker in den Fokus ihrer Ausbildung rücken will, beschlossen wir: ‚Als Hochschule für nachhaltige Entwicklung können wir hier eindeutigere Schwerpunkte setzen.‘“

„Eine Kombination, die in Deutschland ziemlich einmalig ist.“ (Heike Molitor)

Ebenfalls neu akkreditiert wurde der Master-Studiengang NaRegio, der Naturschutz mit Regionalentwicklung und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) verknüpft. „Eine Kombination, die in Deutschland ziemlich einmalig ist“, erklärte Prof. Heike Molitor beim Tag der offenen Tür. Wer die Vertiefung Umweltbildung/BNE wählt, lernt das Management von Bildungseinrichtungen mit Fokus auf den ländlichen Raum ebenso wie die Entwicklung von Bildungsmaterialien. Zielgruppe sind vor allem Erwachsenenbildnerinnen und -bildner, die sich auf Nachhaltigkeitsthemen spezialisieren, sowie Naturschutzexpertinnen und -experten, die sich als Bildungsreferentinnen und -referenten oder pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter qualifizieren wollen.

Seit mehr als 30 Jahren fördert die Europäische Union (EU) mit ihrem Programm Erasmus den Auslandsaufenthalt von Studierenden in EU-Ländern. Neu im Programm ist seit diesem Jahr Erasmus+ green. Ziel ist es, einerseits den ökologischen Fußabdruck des Programms selbst zu verbessern und andererseits einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel hin zu einer nachhaltigen Nutzung von Ressourcen zu leisten. So werden Teilnehmende des Programms zu Botschafterinnen und Botschaftern für nachhaltige Entwicklung ausgebildet und verstärkt Projekte gefördert, deren Arbeitsweise die Belastung der Umwelt reduzieren soll und Geförderte bei der Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsmittel unterstützt (www.eu.daad.de). 

Weiterbildung für Lehrkräfte

Für schulische Lehrkräfte ist vor allem der weiterbildende Master „Bildung – Nachhaltigkeit – Transformation“ interessant, der in fünf Semestern Nachhaltigkeitsthemen mit pädagogisch-sozialen Kompetenzen verknüpft. Auch das Management von Bildungslandschaften, Kommunikationsformen wie Social Media, und Digitalisierung kommen zur Sprache. Wer keinen kompletten Master absolvieren will, kann einzelne Zertifikate belegen. Ein Schwerpunkt ist das sogenannte Service Learning, das Fachlernen mit zivilgesellschaftlichem Engagement, in diesem Fall jenes für Nachhaltigkeit, verbindet. „Ein Konzept, das aus der Schule kommt“, erklärt Interimspräsidentin Walk, „insofern hoffen wir, dass es auch den Weg zurück in diese findet, mit besonderem Blick auf den Kampf gegen den Klimawandel.“

Geht es nach der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), sollen sich künftig alle Studierenden mit Nachhaltigkeit befassen. So steht es in einer Erklärung, die der von der HRK mitveranstaltete Global University Leaders Council (GUC) in Hamburg mit 45 Hochschulleitungen aus 27 Ländern im Juni verabschiedet hat. Hochschulen seien in einer „zentralen Position, um die Bewältigung der Folgen des Klimawandels zu unterstützen“, erklärte HRK-Präsident Prof. Peter-André Alt, „sie beeinflussen das Handeln der Gesellschaft von morgen, indem sie die insbesondere von der jungen Generation nachdrücklich eingeforderten Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit aufgreifen und zur Grundlage ihres Handelns machen.“ Der GUC fordert die Integration von Aspekten von Umweltschutz und Nachhaltigkeit in die Curricula aller Studienangebote.