Zum Inhalt springen

Drei Smilies für gute Bildung

Chancengleichheit, Inklusion und gute Bildung waren die zentralen Themen der ‚Unite for Quality Education‘ - Konferenz der Bildungsinternationale vom 27. – 30. Mai 2014 im kanadischen Montreal, die rund vierhundert Menschen von Bildungsgewerkschaften und Bildungsinstitutionen aus aller Welt zusammenbrachte.

Fotos: Manfred Brinkmann, Bildungsinternationale

Gemeinsam für gute Bildung (‚Unite for Quality Education‘) ist das Motto der internationalen Kampagne, mit der die Bildungsinternationale der Stimme der Lehrkräfte und ihrer Gewerkschaften in der internationalen Debatte um die Zukunft der Bildung, die derzeit in der OECD und in den Vereinten Nationen stattfindet, Gehör verschaffen will.

Beginnend mit dem WeltlehrerInnentag am 5. Oktober 2013 wurde die ‚Unite for Quality Education‘- Kampagne von der Bildungsinternationale, dem Dachverband von vierhundert Lehrer- und Bildungsgewerkschaften, mit Auftaktveranstaltungen in Paris und New York ins Leben gerufen. Seitdem treten die Bildungsinternationale und ihre Mitgliedsgewerkschaften in zahlreichen nationalen und internationalen Veranstaltungen rund um den Globus für die Forderung nach ‚Guter Bildung ‘ für alle ein.

Die ‚Unite for Quality Education‘ – Konferenz Ende Mai 2014 in Montreal, an der rund 300 GewerkschafterInnen und Gäste teilnahmen, markierte einen ersten Höhepunkt der Kampagne, dem weitere folgen sollen. An der Konferenz beteiligt waren neben der Bildungsinternationale auch die UNESCO, die OECD und die ‚Global Education First Initiative‘ des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon. Seitens der GEW waren die Vorsitzende Marlis Tepe und der Referent für Internationales, Manfred Brinkmann, nach Montreal gereist.

„PISA hat Chancengleichheit auf die Tagesordnung gesetzt“

Im ersten Teil beschäftigte sich die Konferenz mit der OECD und deren Einflussnahme auf die Bildungspolitik der Nationalstaaten. Mit regelmäßigen internationalen Vergleichsstudien wie PISA oder TALIS und daraus abgeleiteten Rankings bestimmt die OECD zunehmend die internationale bildungspolitische Diskussion und setzt Standards, denen sich nationale Bildungspolitik weder in Deutschland noch anderswo entziehen kann. Zwar wird das OECD-beförderte Vordringen von Testindustrie und ‚Edu-Business‘ in Klassenzimmer von den Bildungsgewerkschaften kritisch beäugt und oft auch bekämpft. Andererseits liefern die OECD-Studien den Gewerkschaften oft auch gute Argumente für die Durchsetzung politischer Kernforderungen nach Chancengleichheit und guter Bildung.

„Wir sind nicht immer einer Meinung, aber wir begegnen einander als gleichberechtigte Partner und arbeiten produktiv zusammen“, beschrieb der Generalsekretär der Bildungsinternationale Fred van Leeuwen in seiner Eröffnungsrede in Montreal das Verhältnis der Bildungsgewerkschaften zur OECD. Bestes Beispiel seien die jährlichen Gipfel zum Lehrkräfteberuf (‚Summit on the teaching profession‘) mit Bildungsministern und Gewerkschaften aus OECD-Staaten, die Bildungsinternationale und OECD seit 2011 gemeinsam veranstalten.

Die Bildungsexpertin der OECD, Beatriz Pont, zeigte sich überzeugt: „PISA hat das Thema Chancengleichheit auf die Tagesordnung gesetzt.“ Chancengleichheit und gute Bildung seien kein Widerspruch. In ihrer Präsentation betonte sie, dass Ungleichheit teuer komme und es sich für eine Gesellschaft rechne, mit guter Bildung frühzeitig für Chancengleichheit zu sorgen. Ein echtes Problem sei die oft hohe Fluktuation von Lehrkräften in Schulen in sozialen Brennpunkten. Um dem zu begegnen bedürfe es besonderer Anreize für Lehrkräfte, sich für die Arbeit an einer solchen Schule zu entscheiden und dort auch zu bleiben.

GEW-Vorsitzende Tepe kritisiert standardisierte Tests

Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe, die an einer Podiumsdiskussion mit US-Amerikanern und Spaniern zum Thema ‚Guter Unterricht im 21. Jahrhundert‘ teilnahm, sieht in der Testindustrie eine ernste Gefahr für erzieherische Werte: „Bildung wird nicht mehr als Menschenrecht gesehen, sondern nur noch als Mittel für Wirtschaftswachstum und Beschäftigungsfähigkeit. Schulleiter werden zu Managern, Lehrkräfte verbringen unnötig viel Zeit mit bürokratischen Aufgaben statt mit Unterricht, Schülerinnen und Schüler werden mit standardisierten Tests gequält, die ihre sozialen und kreativen Kompetenzen nicht berücksichtigen.“

Tepe sprach sich dafür aus, Schülerinnen und Schüler als Persönlichkeiten mit jeweils unterschiedlichen Begabungen zu sehen und die Lehrkräfte zu befähigen, die Potentiale der Kinder zu entwickeln: „Dafür benötigen Lehrkräfte eine gute Aus- und Weiterbildung und natürlich auch Zeit, um sich vorzubereiten und im Unterricht auf die Kinder einzugehen.“

Schulen ohne Lehrer

Nach dem ersten Konferenztag, der vor allem durch Themen des Globalen Nordens und der dort vertretenen Bildungsgewerkschaften geprägt war, wurde die Diskussion um gute Bildung in den Folgetagen breiter und facettenreicher – vor allem durch die zahlenmäßig stärkere und aktivere Beteiligung von Kolleginnen und Kollegen aus Entwicklungsländern. Ein Lehrergewerkschafter aus Indien beklagte sich, dass er schwerlich über die Qualität von Bildung sprechen könne, solange in seiner Heimat noch immer Millionen Mädchen und Jungen keine Schule besuchten und überhaupt keinen Zugang zu Bildung hätten.

Aus Ghana, einem der wichtigsten Kakaoexportländer, wo viele Kinder auf Kakaoplantagen arbeiten, berichtete ein Gewerkschaftskollege von neuen Schulgebäuden auf dem Land, finanziert durch internationale Geldgeber, die leer stehen, weil sich keine Lehrer finden, die bereit sind, zu Niedriggehältern fernab der Zivilisation zu unterrichten. „Internationale Geber fördern gerne Schulgebäude auf dem Land. Wenn es aber darum geht, Anreize zu finanzieren, um Lehrkräfte für diese schwierige Arbeit zu gewinnen, sind weder sie noch die Regierung bereit, dafür zu bezahlen.“

Der finnische Lehrer und Wissenschaftler Pasi Sahlberg forderte, dass Bildungssysteme die Schüler zur Verschiedenheit erziehen sollten und nicht zur Gleichheit. Standardisierung sei der größte Feind von Kreativität und Innovation, so Sahlberg. Qualität und Chancengleichheit könnten gleichzeitig erreicht werden. Sahlberg sprach sich dafür aus, dass der Staat nur einen groben Lehrplan vorgibt: „Jede Schule sollte ihr eigenes Curriculum erarbeiten. Die Lehrerinnen und Lehrer sollten selbst darüber entscheiden, wann sie welches Thema im Unterricht behandeln.“

Private Bildungsdienstleister auf dem Vormarsch

Aufmerksamkeit, aber wenig Zustimmung erhielt der Beitrag von Denise Galluci von GEMS, einem multinationalen privaten Bildungsdienstleister, der in zahlreichen Ländern der Erde Schulen betreibt. Galluci wies darauf hin, dass viele Staaten heute finanziell gar nicht mehr in der Lage seien, ein umfassendes Bildungsangebot zu garantieren und daher auf die Zusammenarbeit mit privaten Bildungsanbietern angewiesen sind. GEMS-Schulen stünden weltweit für gute Bildung und Public-Private-Partnership, die für alle von Vorteil sei.

Viele anwesende Gewerkschafter waren da anderer Meinung und brachten dies auch zum Ausdruck. Geld für gute öffentliche Bildung sei durchaus vorhanden, die Staaten hätten sich durch ihre Steuerpolitik nur selber arm gemacht. Privatschulanbieter wie GEMS seien eine Gefahr für gute Bildung, weil sie das öffentliche Bildungswesen kanibalisieren würden. Zahlreiche Redner erteilten weiterer Privatisierung und Vermarktung von Bildung eine klare Absage.

Inklusion aus internationaler Perspektive

Immer wieder kam die Diskussion während der Kongresstage in Montreal auf die Themen Inklusion und Chancengleichheit. Lise Bastien vom ‚First Nations Education Council‘ in Kanada warnte mit Hinweis auf die offizielle kanadische Bildungspolitik für indigene Ureinwohner vor der Gefahr eines Missbrauchs der Inklusion für eine Politik der Assimilierung. Wer es ernst meine mit Inklusion, der müsse die Rechte nationaler Minderheiten respektieren und Kindern das Lernen in ihrer Herkunftssprache ermöglichen.

Christine Blower, Generalsekretärin der britischen Lehrergewerkschaft NUT, machte deutlich, dass für erfolgreiche Inklusion auch die nötigen Voraussetzungen gegeben sein müssen: „Wir können nicht von Inklusion in einem Bildungssystem reden, dass Kinder aussondert.“ Inklusion sei nicht nur eine gesellschaftliche Aufgabe, sondern müsse auch in den Bildungsgewerkschaften stattfinden, forderte Judith Nowokarski aus Neuseeland, die selbst der nationalen Minderheit der Maori angehört. Minderheiten müssten in Gewerkschaftsstrukturen repräsentiert sein.

Über digitale Spaltung und die Gefahr einer neuen Form von Exklusion bei m Zugang und der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien berichtete Yamile Socolovsky von der argentinischen Hochschulgewerkschaft CONADU. Sie bezeichnete es als Mythos zu glauben, die neuen Technologien würden eine Tendenz zur Demokratisierung der Gesellschaften befördern. Passend dazu erzählte ein Kollege aus Botswana, dass in Afrika die Nutzung des Internets durch häufige Stromausfälle und mangelnde Sicherheit nur eingeschränkt möglich sei: „Ein Schüler, der mit einem Laptop über die Straße geht, muss bei uns stets damit rechnen, überfallen zu werden.“

Bildung kostet Geld

Dass Bildung auch Geld kostet machte Alice Albright, Geschäftsführerin der Globalen Bildungspartnerschaft (‚Global Partnership for Education‘ - GPE) deutlich. Die GPE ist ein internationaler Fonds zur Unterstützung von Bildungsanstrengungen der ärmsten Länder, der wesentlich aus freiwilligen staatlichen Beiträgen der Industrieländer finanziert wird. „Dauerhafte Investitionen in Bildung sind der beste Weg für ein armes Entwicklungsland, um zu einem Land mit mittleren Einkommen aufzusteigen“, so Albright in Montreal. Die Tochter der früheren US-Außenministerin Madeleine Albright arbeitet mit Hochdruck daran, bis zur ‚Wiederauffüllungskonferenz‘ am 25. Juni 2014 in Brüssel Zusagen in Höhe von mindestens 3.5 Milliarden US-Dollar für die zukünftige Finanzierung von Bildung in armen Ländern zu erhalten.

Klingt nicht viel, aber gesichert ist diese Summe bisher nicht. Seit Beginn der Krise 2008 sind die finanziellen Leistungen der Industrieländer für Bildung in der Entwicklungszusammenarbeit rückläufig. Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe hatte deshalb gemeinsam mit anderen Organisationen der Globalen Bildungskampagne den deutschen Entwicklungsminister Gerd Müller bereits vor einigen Wochen in einem Schreiben dazu aufgefordert, mehr Geld für Bildung in der Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen und von der Bundesregierung einen Zuschuss von 400 Millionen für die Globale Bildungspartnerschaft verlangt.

Kampagne für gute Bildung wird fortgesetzt

Die ‚Unite for Quality Education‘ – Kampagne der Bildungsinternationale wird auch nach den Sommerferien fortgesetzt. Im September beginnen die Verhandlungen in den Vereinten Nationen zur sogenannten Post-2015-Agenda. Dabei geht es um neue umfassende Ziele für die weltweite Entwicklung, die den bis 2015 beschlossenen Millenniumentwicklungszielen folgen sollen.

Die Bildungsinternationale setzt sich dafür ein, dass gute Bildung für alle als Entwicklungsziel in die Post-2015-Agenda der UN aufgenommen wird. Rund um den WeltlehrerInnentag am 5. Oktober 2014 soll mit Onlinebotschaften aus aller Welt der Forderung nach guter Bildung für alle Nachdruck verliehen werden.

ETUCE, der europäische Dachverband der Bildungsgewerkschaften, plant am 22. September 2014 eine öffentliche Anhörung zu guter Bildung im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss in Brüssel. Die GEW wird am 25./26. September 2014 in Leipzig eine Tagung zur Lehrkräftebildung durchführen, an der auch die stellvertretende Generalsekretärin der Bildungsinternationale, Haldis Holst teilnehmen wird.

„Die Mitarbeit in der Bildungsinternationale ist für die GEW von großer Bedeutung“, resümiert die GEW-Vorsitzende die vier Tage in Montreal, „weil sie deutlich macht, dass wir trotz Sprachbarrieren und kultureller und politischer Unterschiede viele Gemeinsamkeiten haben. Die großen bildungspolitischen Themen in Deutschland wie Chancengleichheit, Inklusion und Qualität von Bildung und deren Finanzierung sind auch die Themen der internationalen Bildungsgewerkschaften und wir können viel voneinander lernen.“ Marlis Tepe kündigte an, im Juli nächsten Jahres beim Weltkongress der Bildungsinternationale in Ottawa für deren Vorstand zu kandidieren.