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Tagungsbericht und Buchtipps

Diskriminierungskritische Schulentwicklung

Wie können Demokratiebildung, die Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtsextremismus-Prävention an Schulen gestärkt werden? Wie kann Schule diskriminierungskritisch gestaltet und weiterentwickelt werden?

Dass die multiprofessionelle Zusammenarbeit bei der Bearbeitung dieser Fragen eine wichtige Rolle spielt, wurde auf der Fachtagung „Diskriminierungskritische Schule“ am 5. und 6. November 2018 in Stuttgart deutlich, an der rund 100 pädagogische Fach- und Lehrkräfte aus der schulischen und außerschulischen Praxis teilnahmen. Eingeladen hatte der Verein adis e.V. – Antidiskriminierung · Empowerment · Praxisentwicklung, Tübingen in Kooperation mit der GEW, der BAG Evangelische Jugendsozialarbeit, der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg sowie dem Antidiskriminierungsverband Deutschland. Der somit initiierte Wissenstransfer und die Vernetzung zwischen verschiedenen Professionen und Institutionen waren programmatisch.

„Wir müssen unser gegliedertes und erst in kleinen Ansätzen einzelner Schularten inklusives Bildungssystem unter dem Aspekt der institutionellen Diskriminierung betrachten.“ (Doro Moritz)

Doro Moritz, Vorsitzende der GEW Baden-Württemberg, kritisierte eingangs Versäumnisse der Bildungspolitik und plädierte angesichts aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen für die Stärkung politischer Bildung sowie eine flächendeckende Einführung von Ethikunterricht ab der Grundschule. In Bezug auf gleichberechtigte Bildungsteilhabe sowie den Abbau von Diskriminierung hob sie die Bedeutung von Gemeinschaftsschulen hervor. „Wir müssen unser gegliedertes und erst in kleinen Ansätzen einzelner Schularten inklusives Bildungssystem unter dem Aspekt der institutionellen Diskriminierung betrachten“, sagte Moritz. Zugleich erklärte sie, dass nicht nur die Politik, sondern jede*r Einzelne gefordert sei, Diskriminierungen entgegenzutreten.

Lehrkräfte haben einen an Grundsätzen von Demokratie, Toleranz und Achtung der Menschenwürde orientierten Bildungsauftrag und müssen „sichtbar für diese Werte stehen, Zivilcourage in der Schule und außerhalb zeigen und sich klar gegen Ausgrenzung und für Vielfalt einsetzen", betonte die GEW-Landesvorsitzende. Den Weg zu einer diskriminierungskritischen Schule gelte es in einem kollegialen Entwicklungsprozess zu erarbeiten. Notwendig für einen wirkungsvollen Diskriminierungsschutz seien zudem flächendeckende, für Lehrkräfte, Eltern sowie Schüler*innen zugängliche, unabhängige Beratungs- und Beschwerdestellen. Moritz verwies in diesem Zusammenhang auf den Gewerkschaftstagbeschluss 3.15 Wirkungsvolle Instrumente implementieren, die Diskriminierung im Bildungsbereich bekämpfen! und begrüßte die Eröffnung der Landesantidiskriminierungsstelle am selben Tag als einen wichtigen Schritt.

Rassismuskritische Impulse und Erfahrungen aus der Praxis

Paul Mecheril, Professor für Migration und Bildung an der Universität Oldenburg, und Saraya Gomis, Lehrerin und Antidiskriminierungsbeauftragte der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft in Berlin, veranschaulichten in ihren Vorträgen die Notwendigkeit einer machtkritischen Perspektive sowie ethische und handlungspraktische Herausforderungen bei der Auseinandersetzung mit Rassismus in der Schule. Die aufgezeigten Antinomien und Spannungsfelder pädagogischen Handelns sowie die damit verbundenen Ansprüche an eine reflexive Professionalität in der Migrationsgesellschaft spannten den Rahmen für die anschließende Podiumsdiskussion.

In dem von Andreas Foitzik (adis e.V.) moderierten Gespräch mit beiden Vortragenden brachten Gabi Elverich, Lehrerin an der Fritz-Karsen-Gemeinschaftsschule und Lehrbeauftragte für Politikdidaktik an der FU Berlin, und Elina Stock, Referentin im GEW-Hauptvorstand, weitere Erfahrungen aus der Praxis sowie GEW-Positionen ein. Deutlich wurde, dass die Entwicklung einer demokratischen und diskriminierungskritischen Schulkultur nicht nur von einer menschenrechtsorientierten Grundhaltung und dem Know-how der pädagogischen Fach- und Lehrkräfte abhängt, sondern auch von guten strukturellen Rahmenbedingungen. Insofern war unstrittig, dass es ausreichend Zeit und Raum braucht, um verschiedene Diskriminierungsformen und -erfahrungen sowohl in der Schule als auch in Aus-, Fort- und Weiterbildung zu thematisieren sowie mehr Ressourcen für die Kooperation und Reflexion in multiprofessionellen Teams oder mit außerschulischen Partnern.

Am zweiten Tag stand zunächst ein Vortrag von Prof. Ulrike Hormel von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg über institutionelle Diskriminierung mit Fokus auf den schulischen Umgang mit Neuzugewanderten auf dem Programm. Anschließend wurde in zwei parallelen Panels über den Umgang mit Situationen von Diskriminierung und Rechtsextremismus in der Schule sowie über Gestaltungsmöglichkeiten diskriminierungskritischer Bildung diskutiert. Einige Referent*innen boten hierzu nachmittags vertiefende Workshops an – etwa über ‚Diskriminierungserfahrungen von Fach- und Lehrkräften im beruflichen Kontext‘ oder die ‚Gefahr der Reproduktion von antimuslimischem Rassismus im Rahmen von Präventionsmaßnahmen und Werteerziehung‘.

In der Abschlussdiskussion äußerten sich sowohl die Veranstalter*innen als auch die Teilnehmenden zufrieden über den gelungenen multiprofessionellen Austausch von Sozialpädagog*innen, Lehrer*innen, Fortbildner*innen sowie Multiplikator*innen der außerschulischen politischen Bildung, Antidiskriminierungsberatung und Wissenschaft. Wer daran stärker partizipieren und eine diskriminierungskritische Schulentwicklung mitgestalten möchte, dem seien die jüngst im Beltz-Verlag erschienenen Publikationen „Praxisbuch Diskriminierungskritische Schule“ und „Diskriminierungskritische Schule – eine theoretische Einführung“ wärmstens empfohlen.