Als die Industrie 4.0 in unsere Gesellschaft trat, gab es nach nur drei Jahren 100 Begriffsbezeichnungen und eine Flut an Publikationen zum vermeintlich revolutionären Umbruch der Arbeitswelt. Inzwischen ist Ernüchterung eingetreten. Statt von revolutionären Umbrüchen ist die Rede von evolutionären Entwicklungen, die sich je nach Branche, Betriebsgröße, technologischer Ausstattung, Qualifikationsstruktur und Region unterschiedlich gestalten. Intensiv diskutiert wird die Frage nach den Kompetenz- und Qualifikationsanforderungen.
Wird im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Arbeitswelt nach zukünftigen Kompetenzen gefragt, dreht sich die Diskussion vor allem um zwei Aspekte: Um die zunehmende Bedeutung informationstechnischer Kompetenzen sowie um notwendige fachübergreifende Fähigkeiten, etwa zur Problemlösung, Eigenverantwortlich- und Organisationsfähigkeit, Prozess- und Zusammenhangswissen. Aktuelle Studien bestätigen, dass in Unternehmen, die sich zunehmend digitalisieren, die Anforderungen an Planung und Organisationsfähigkeit ebenso steigen wie jene an Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit. Denn: Team- und Projektarbeit, virtuelles Arbeiten sowie die Kommunikation und Kooperation mit internen und externen Partnern in unterschiedlichen Zusammenhängen verändern nicht nur den Arbeitsalltag jedes Einzelnen. Die neuen Arbeitsformen erfordern auch neue Formen der abteilungs-, disziplin- und/oder hierarchieübergreifenden Vernetzung sowie der dezentralen Steuerung.
Das Neue besteht darin, dass Maschinen an Kommunikation beteiligt sind, und sich alle anderen Akteurinnen und Akteure – Menschen, Organisationen, Teams – darauf einstellen und neue Formen der Kommunikation und Interaktion generieren (müssen).
Digitalisierung ist also vor allem ein sozialer Prozess. Demgegenüber konzentrieren sich die Debatten über ihre Auswirkungen im beruflichen Alltag vornehmlich auf technische Aspekte und Befürchtungen, dass der Mensch in einer Zeit, in der Maschinen mit Maschinen kommunizieren, auf das Analoge reduziert wird. Während, auf der anderen Seite, die kommunikative und soziale Dimension der Digitalisierung in unserem privaten Alltag unbestritten ist. Diese vergleichsweise eingeschränkte Sichtweise mag auch eine Erklärung dafür sein, dass die wenigen bislang vorliegenden empirischen Studien aus der Produktionstechnik sowie dem Maschinen- und Anlagenbau kommen.
Eine Alternative zu dieser durch stete Wiederholung nahezu zu einer Selbstverständlichkeit gewordenen Beschreibung bietet sich über eine Betrachtung der digitalen Transformation anhand der verschiedenen Medienepochen an: Sprache, Schrift, Buchdruck und digitale Medien. Für diese alternative Sichtweise spricht zweierlei: Erstens lässt sich die Medienentwicklung – von der Sprache über den Buchdruck bis zu digitalen Medien – als eine Geschichte der Steigerung von Vernetzungsmöglichkeiten lesen. Zweitens wird so die Sozialität digitaler Medien in den Blick genommen.
Der Medien- und Systemtheoretiker Dirk Baecker spricht davon, dass jedes neue Kommunikationsmedium einen „Überschusssinn“ bereitstellt – und zwar in dem Sinne, dass es mehr Möglichkeiten der Kommunikation bereitstellt, als jeweils aktuell wahrgenommen werden können. Bereits der Buchdruck abstrahierte die Schriftzeichen von der analogen Handschrift zugunsten einer standardisierten und verlustfrei repetierbaren Verbreitung. Nun eröffnen digitale Medien neue Möglichkeiten der Kommunikation, des Erreichens und Verstehens neuer Adressatenkreise. Das Neue besteht darin, dass Maschinen an Kommunikation beteiligt sind, und sich alle anderen Akteurinnen und Akteure – Menschen, Organisationen, Teams – darauf einstellen und neue Formen der Kommunikation und Interaktion generieren (müssen). Digitale Medien sind nicht mehr nur ein Gegenüber, sondern integraler Bestandteil sozialen und kommunikativen Handelns. Stichworte wie „Soziale Robotik“, „Artificial Companions“ (künstliche Begleiter, etwa Roboter), Wearables (am Körper getragene Kleincomputer) und „intelligente Maschinen“ signalisieren neue Formen der Kommunikation und Vernetzung.
Insgesamt liegt die Herausforderung in der Förderung all jener Kompetenzanforderungen für die Gestaltung der sozialen Innovationen in digitalisierten Arbeitswelten, die durch den technischen Fortschritt möglich und notwendig werden.
Zu unterscheiden ist zwischen technischen und sozialen Kommunikationsformen im Kontext der Digitalisierung: Kommunizieren Maschinen untereinander, handelt es sich schlicht um einen Signalaustausch, eine Zeichenlogik. Soziale Kommunikation zwischen Menschen sowie mit nichtmenschlichen Akteuren hingegen ist mehr als ein Signalaustausch – es geht um Verstehensleistungen, Interpretationen, also darum, Bezüge und Referentialitäten herzustellen sowie mit Ambivalenzen und Nichtwissen in der Kommunikation umzugehen. Und: Die Aufgabe des Menschen ist die Interpretation, Reflexion und Verknüpfung des Digitalen mit dem Analogen. Erst Informationen bringen Daten in Form, um sie anderen zugänglich zu machen; und nur durch Kommunikation werden aus Daten Informationen. Insofern lassen sich virtuelle Räume als „soziale Handlungsräume“ begreifen – und diese setzen soziale Kompetenzen ebenso voraus wie sie diese benötigen..
Und: Wenn die Arbeit abstrakter wird, verlangt dies eine zunehmende Interpretation, Rekontextualisierung und Deutung von Informationen. Gegenwärtig lassen sich bei der Einführung digitaler Technologien allerdings systematische Übersetzungsprobleme von der Logik der Software in die Realität komplexer soziotechnischer Arbeitswelten beobachten – gerade weil das Nichtformalisierbare, das Überraschende und Nichttriviale sozialer Kommunikation vernachlässigt wird.
Für die berufliche Bildung stellt sich nun die Frage, wie sie ihren Fokus zugunsten der beschriebenen Sozialität digitaler Technologien neu ausrichtet.
Welche Konsequenzen haben diese Überlegungen für die berufliche Bildung? Der anhaltende Trend zum Akademischen ist eine Reaktion auf verändertes Berufswahlverhalten – aber auch auf sich wandelnde Rekrutierungspraktiken der Unternehmen, die überfachliche Fähigkeiten und kognitiv-theoretische Anforderungen bisher eher dem akademischen als dem beruflichen Bildungsgang zuschreiben. Für die berufliche Bildung stellt sich nun die Frage, wie sie ihren Fokus zugunsten der beschriebenen Sozialität digitaler Technologien neu ausrichtet. Dazu gehört, dass neben dem Zugang zu Informationen und Wissen der kreative und mitunter spielerische Umgang mit denselben an Bedeutung gewinnt, damit die Beschäftigten bei zunehmender Automatisierung zu Problemlösungen befähigt werden.
Zudem konfrontieren uns die digitalen Technologien mit bislang unwahrscheinlichen Formen der Organisation von Komplexität. Auch in diesem Zusammenhang ist die berufliche Aus- und Weiterbildung gefordert, die sozialen und kulturellen Veränderungen der Arbeitswelt in den verschiedenen Berufsfeldern aufzugreifen und die Sozialität der Digitalisierung zu fokussieren. Insgesamt liegt die Herausforderung in der Förderung all jener Kompetenzanforderungen für die Gestaltung der sozialen Innovationen in digitalisierten Arbeitswelten, die durch den technischen Fortschritt möglich und notwendig werden.