Radikalisierung durch Verschwörungserzählungen
Digitale Friedenspädagogik in Krisenzeiten
Während Jugendliche mit multiplen Ängsten und Sorgen beschäftigt sind – die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, der Klimawandel -, verbreiten sich Desinformationen in sozialen Medien und im Netz in großer Geschwindigkeit.
Ist Friedenspädagogik in Zeiten wie diesen noch möglich oder überhaupt angebracht? Diese Frage kann mit einem eindeutigen und klaren „Ja“ beantwortet werden. Gerade jetzt ist es umso wichtiger, Kinder und Jugendliche, ja Menschen jeder Altersgruppe, zu stärken und zu ermutigen, sich für Frieden zu engagieren, und ihnen hierzu Wissen und Kompetenzen zu vermitteln. Die digitale Friedenspädagogik kann einen Beitrag leisten: Sie beschäftigt sich zum einen mit dem Einsatz digitaler Tools in der friedenspädagogischen Arbeit und zum anderen mit digitaler Gewalt sowie antidemokratischen Phänomenen wie Desinformation, Hate Speech und Verschwörungserzählungen im Netz. Es bedarf innovativer digitaler Methoden und Bildungsformate, um auf die Herausforderungen zu reagieren, eigenes Handeln im digitalen Raum zu reflektieren und den Transfer für den eigenen Alltag zu gewährleisten.
In der Corona-Pandemie wurde deutlich, welche Rolle das Internet und insbesondere Soziale Medien und Messenger-Dienste bei der Informationsvermittlung und vor allem bei der Verbreitung von Mis- und Desinformation sowie verschwörungstheoretischer Narrative spielen. Sie können zur Eskalation der Konflikte beitragen und sogar Radikalisierungsprozesse Einzelner beschleunigen. „Digital Natives“ unterscheiden nicht mehr zwischen analog und digital, beide Teile sind für sie verwoben und stellen für sie „ihre“ Welt dar. Konflikte finden analog und digital parallel statt und beeinflussen sich wechselseitig.
Informationskrieg im Netz
Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass es sich hierbei auch um einen Informationskrieg handelt, der sich im Netz abspielt. Er zeichnet sich durch eine nie dagewesene Übertragung des Kriegsgeschehens in den Sozialen Medien ab. Dabei sind geteilte Inhalte, die scheinbar aus dem Kriegsgeschehen stammen, nicht immer echt. Auf TikToK sind Nutzerinnen und Nutzer mit einer Flut gefälschter Videos konfrontiert, auch wenn sie nicht aktiv nach Videomaterial aus der Ukraine suchen. Russland arbeitet dabei gezielt an der systematischen Verbreitung der Desinformationen – auch in Deutschland –, um Ängste in der Bevölkerung zu schüren und westliche Gesellschaften zu destabilisieren. Das Vertrauen in etablierte Medien soll gezielt erschüttert werden.
Umso wichtiger ist es, auch im Unterricht zu thematisieren, wie Fakten von Desinformation zu unterscheiden sind, welche Auswirkungen verschwörungstheoretische Narrative im Kontext von Krieg und Konflikt haben können. Schülerinnen und Schüler sollten im Umgang mit Hate Speech, Desinformation oder Verschwörungserzählungen gestärkt werden, indem ihnen entsprechendes Wissen und Kompetenzen vermittelt werden und sie lernen, das Netz als positiven Gestaltungsraum zu begreifen.
Zielgruppengerechte Lernmedien
Hier setzt beispielsweise das Projekt „#vrschwrng“ an – ein interaktives, vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), der Bundeszentrale für politische Bildung und der Jugendstiftung Baden-Württemberg gefördertes Toolkit gegen Verschwörungserzählungen: Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren werden für Verschwörungserzählungen und die diesen zugrunde liegenden Narrative sensibilisiert. Das Projekt verfolgt einen Peer-Ansatz. Die Materialien und Module wurden gemeinsam mit Jugendlichen entwickelt. So sind zielgruppengerechte Lernmedien entstanden, die an die Lebenswelten der Zielgruppe anknüpfen.
Die Lernmedien sind multimedial – von interaktiven Infografiken über Erklärfilme und eine digitale „Schnitzeljagd“ bis hin zu einem Planspiel. Die Workshops werden von ausgebildeten Peer-Trainerinnen und -Trainern angeboten. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die App Streitkultur 3.0. Sie vermittelt im Themenbereich „Fake oder Fakt“ verschiedene Methoden, wie Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden können, und ist ebenfalls im Unterricht einsetzbar. Die kurzen digitalen Impulse auf der App öffnen einen Raum für gemeinsame Reflektion und Austausch.
Weiterbildung der Lehrkräfte wird wichtiger
Neben der Vermittlung dieser Kompetenzen gilt es auch, Jugendliche darin zu bestärken, Teil einer digitalen Zivilgesellschaft zu sein und neben Medien- und Informationskompetenzen eben auch deren friedenspädagogische Fähigkeiten im digitalen Raum zu fördern. Weitere Ansätze und Methoden für den Einsatz im Unterricht bietet die Vielfalt-Mediathek, die beispielsweise ein eigenes Themenfeld zu Verschwörungserzählungen anbietet.
Da Jugendliche gerade in Krisenzeiten auch bei Erwachsenen, vor allem Eltern und Lehrkräften, Orientierung suchen, gewinnt die Weiterbildung der Lehrkräfte im Themenfeld Desinformation und Verschwörungserzählungen an Bedeutung. Dies umfasst vor allem eine Sensibilisierung für die Risiken, die von Verschwörungserzählungen und Desinformation ausgehen – für Gesellschaften, Demokratien und die Privatsphäre. Kinder und Jugendliche benötigen erwachsene Bezugspersonen, die ihnen bei der Navigation in der digitalen Welt zur Seite stehen und das Erlebte mit ihnen gemeinsam einordnen können.
Hier setzt das Projekt „Digitale.Wahrheiten“ an: Das vom BMFSFJ und der Organisation Humanity in Action geförderte Projekt bietet Lehrkräften und Eltern einen Raum, sich transgenerational über Desinformationen und verschwörungstheoretische Narrative auszutauschen, sich Wissen und Kompetenzen im Umgang mit diesen Phänomenen anzueignen, und ermutigt sie, sich aktiv in eine digitale Zivilgesellschaft einzubringen. Wenn Eltern und Lehrkräfte über Wissen und Fähigkeiten mit Blick auf diese Phänomene verfügen, können sie Kinder und Jugendliche von Anfang an bei einem souveränen Medienumgang begleiten, damit diese selbstbestimmt und sicher digital teilhaben können.