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„Diese Bildungspolitik macht mich wütend“

Vor allem an Grundschulen in Nordhessen, aber auch in Frankfurt bleiben viele Lehrkräftestellen unbesetzt. Fachkräfte werden händeringend gesucht. Die „E&W“ hat Lehrkräfte und Gewerkschafterinnen zur Situation befragt.

  • Ralf Becker, Berufsschullehrer aus Rüsselsheim und Mitglied der Fachgruppe berufsbildende Schulen der GEW Hessen:

„Seit Jahren gibt es an berufsbildenden Schulen in Hessen zu wenige Lehrkräfte. Außer für Wirtschaft mangelt es in allen Fächern. Vor allem bei Metall- und Elektrotechnik sieht es schlecht aus. Nur die Hälfte aller Kolleginnen und Kollegen hat ein Lehramt für berufliche Schulen, und jede siebte Lehrkraft hat überhaupt kein Lehramt studiert. Damit meine ich nicht Bäckermeister oder Rechtsanwälte, die nebenbei ein paar Stunden in der Berufsschule unterrichten. Sondern hauptamtliche Lehrkräfte. Das wirkt sich aus. Quereinsteiger brauchen viel mehr Unterstützung. Oft merkt man auch, dass es an pädagogischem Know-how fehlt, da das Land nicht ausreichend qualifiziert.“

  • Rosmarie Schrader, Förderschullehrerin, Rotenburg an der Fulda:

„Der Fachkräftemangel ist an meiner Schule schmerzlich spürbar. An der Integrierten Gesamtschule (IGS) sind im Moment 11,5 Stunden für inklusiven Unterricht personell nicht abgedeckt, das entspricht einem Viertel. Die Regelschullehrkräfte sollen viele Aufgaben zusätzlich übernehmen, die bisher von Förderschullehrkräften erledigt wurden – alles ohne Ausbildung und Entlastung. Deshalb arbeite ich sehr viel mehr, um meine Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen. Obwohl ich nur 15 Wochenstunden habe, bin ich jeden Vormittag voll im Einsatz. Immer wieder komme ich an den Punkt, an dem ich nicht mehr weiß, wie das alles zu schaffen sein soll. Meine Überzeugung ist, dass alle Schülerinnen und Schüler einen Anspruch darauf haben, ihren Bedürfnissen entsprechend an einer Regelschule unterrichtet zu werden. Weil das mit den aktuellen Ressourcen an meiner Schule nicht zu machen ist, kann ich für einige Kinder nur den Wechsel auf die Förderschule empfehlen. Diese Bildungspolitik macht mich wütend.“

  • Karola Stötzel, stellvertretende Vorsitzende der GEW Hessen:

„Auch an Kitas ist der Fachkräftemangel spürbar. Alle Einrichtungen suchen händeringend Erzieherinnen und Erzieher. Das gilt für alle Träger – fast flächendeckend in Hessen. Im Rhein-Main-Gebiet ist die Situation besonders dramatisch, deshalb stuft die Stadt Frankfurt die Erzieherinnen mit der Entgeltgruppe S8b etwas höher ein. Aber auch in ländlichen Regionen finden sich keine Fachkräfte. Die Konkurrenz ist so groß, dass einige freie Träger ihre Bezahlung verbessern mussten. Viele Kolleginnen und Kollegen klagen, dass sie mit der Arbeit kaum hinterher kommen. Eine Erzieherin ist seit Monaten alleine in einer Einrichtung mit 60 Kindern. Nur mit ein paar Aushilfen und Praktikanten. Das Gesetz schreibt nur vor, dass eine Fachkraft da sein muss. Das reicht aus, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. So etwas hat Folgen: Wer es sich leisten kann, kauft sich bessere Bildungsbedingungen. Die Eltern legen für die besondere Förderung ihrer Kinder viel Geld auf den Tisch – von der Kita bis zur Schule. In den letzten Jahren sind sehr viele private Schulen im Rhein-Main-Gebiet entstanden. Vor allem Grundschulen erleben einen großen Boom. Hessen liegt beim Personalschlüssel weit hinten. In Kitas sind bis zu 25 Kinder in einer Gruppe. Das verschlechtert die Arbeitsbedingungen sehr. Wir bräuchten in Hessen 4.200 bis 4.700 Erzieherinnen und Erzieher mehr, um bei der Ausstattung auf den bundesweiten Schnitt zu kommen.“

  • Maike Wiedwald, Vorsitzende der GEW Hessen:

„Der Druck auf Lehrkräfte und Schulleitungen ist enorm. Die Ressourcen für Aufgaben wie Inklusion, Ganztagsangebote & Co. sind viel zu gering. Wenn die Landesregierung von einer Gesamtversorgung von 121 Prozent spricht, ist das mehr als ein Rechentrick. Dahinter steckt das Kalkül, dass die Kolleginnen und Kollegen diese Aufgaben trotzdem wahrnehmen. Im Interesse der Kinder. Ohne zusätzliche Ressourcen. Die Überlastungsanzeigen der letzten Jahre zeigen, wie sehr das den Kolleginnen und Kollegen zusetzt. Pädagogische Berufe werden so systematisch abgewertet, besonders an Grundschulen. Zusätzliche Stellen sind ein absolutes Muss, in allen Bereichen.“