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Ganztag

Die Zeit rennt davon

Bis der Rechtsanspruch auf Ganztag in den Grundschulen in Kraft tritt, sind zwar noch vier Jahre Zeit. Vielerorts ist dies nach Einschätzung der GEW indes bereits jetzt zu knapp.

Die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule erfordert mehr Fachkräfte und mehr Geld, als bislang zur Verfügung stehen. (Foto: IMAGO/Imagebroker)

Die Bertelsmann Stiftung drückte jüngst mal wieder auf den Alarmknopf: „Die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsförderung in der Grundschule und im Hort erfordert deutlich mehr Fachkräfte als bis 2030 zur Verfügung stehen“, teilte die Stiftung via „-Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule 2022“ Anfang Juli mit. Insgesamt würden rund 100.000 pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr benötigt als voraussichtlich vorhanden. In den westdeutschen Bundesländern müssten mehr als eine Million Plätze geschaffen werden, um den Rechtsanspruch flächendeckend zu erfüllen.

Dieser tritt zum 1. August 2026 in Kraft. Zentrale Ziele sind eine individuelle Förderung und bessere Teilhabechancen aller Kinder sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der Rechtsanspruch gilt zunächst für Grundschulkinder der ersten Klassenstufe und wird in den Folgejahren um je eine Klassenstufe ausgeweitet. Ab 1. August 2029 haben alle Schülerinnen und Schüler Anspruch auf täglich acht Stunden Unterricht und Betreuung in offenen und gebundenen Ganztagsschulen sowie in Horten. Geregelt werden soll dies im Achten Sozialgesetzbuch, verpflichtend ist das Angebot für die Schülerinnen und Schüler nicht. Für die Schaffung neuer und die Erhaltung vorhandener Plätze stellt der Bund den Ländern bis zu 3,5 Milliarden Euro bereit.

„Wenn ich eine gelingende gute Ganztagsschule will, dann stelle ich die Schule auf den Kopf.“ (Doreen Siebernik)

Noch ist die Ausgangslage für das Erreichen dieser Ziele schlecht: „In vielen Bundesländern sind die Grundschulen noch gar nicht vorbereitet“, sagt Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied für Jugendhilfe und Sozialarbeit. Es fehlten nicht nur Zehntausende Fachkräfte, sondern auch Räume und ganze Gebäude. Zudem gebe es keine Programme für ein ganztägiges Bildungsangebot und keine einheitlichen Qualitätsstandards. In der Ausbildung spiele der Ganztag bisher nur eine untergeordnete Rolle. Darüber hinaus mangele es an Erfahrung bei der Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams aus Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern sowie Sozialpädagoginnen und -pädagogen.

All das erfordert ein enormes Umdenken – bis hin zu neuen Arbeitszeitmodellen. „Wenn ich eine gelingende gute Ganztagsschule will, dann stelle ich die Schule auf den Kopf“, sagt Siebernik. Das verbleibende Zeitfenster sei jedoch schon zu klein, um in ausreichenden Größenordnungen Schulplätze auszubauen und Fachkräfte auszubilden.

Schlechte Beschäftigungsbedingungen

Eine weitere Herausforderung: Erzieherinnen und Erzieher werden nicht nur an Grundschulen gesucht. „Die Kitas sind eine große Konkurrenz, beide Systeme buhlen jetzt um die wenigen Kräfte am Markt“, erklärt Siebernik. Erzieherinnen könnten sich aussuchen, wo sie arbeiten wollten – und wo die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen besser seien. „Ein schlecht ausgebauter Ganztag mit vielen Teilzeitjobs und ohne Konzepte gerät da ins Hintertreffen.“

Laut Fachkräftebarometer 2021 sind die Beschäftigungsbedingungen an Grundschulen deutlich schlechter als in Kindertageseinrichtungen. Knapp ein Viertel des pädagogischen Personals an Grundschulen ist geringfügig beschäftigt, 46 Prozent gehen einer Beschäftigung mit einem Stundenumfang von weniger als 21 Wochenstunden nach, 12 Prozent arbeiten sogar weniger als zehn Wochenstunden. „Das ist nicht erwerbssichernd“, sagt die GEW-Expertin.

Kollegien schon jetzt am Limit

Durch das fehlende Personal sei auch die Arbeitsbelastung oft zu hoch. Dies werde sich in den nächsten zehn Jahren durch die demografische Entwicklung und den weiter steigenden Bedarf noch dramatisch zuspitzen. Dabei seien die Kolleginnen und Kollegen in den Kitas und Schulen nach den Herausforderungen der vergangenen Jahre bereits jetzt am Limit.

Auch ob die eingeplanten bzw. zur Verfügung gestellten Gelder reichen werden, ist offen. Bereits 2019 rechnete die Bertelsmann Stiftung vor, der Ganztags-Rechtsanspruch koste 5,3 Milliarden Euro pro Jahr: 1,1 Millionen neue Ganztagsplätze verursachten 4,5 Milliarden Euro Personalkosten, für die Erweiterung der Öffnungszeiten bestehender Ganztagsschulen fielen weitere 800 Millionen Euro an. Der Deutsche Städtetag warnte jüngst, bei den Investitionskosten fehlten vier Milliarden Euro, bei den jährlichen Betriebskosten rund drei Milliarden. „Diese offene Rechnung darf nicht an die Kommunen weitergereicht werden“, forderte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy.