Gastkommentar
Die Zeit drängt
Mehr als ein Drittel der Schülerinnen und Schüler sind einer Studie zufolge dem Thema Nachhaltigkeit in der Schule noch nicht begegnet, bei den Auszubildenden und Studierenden sind es sogar mehr als 50 Prozent.
Klimawandel, Verlust an Biodiversität, Armut, globale wie nationale soziale Ungleichheit, Plastikmüll in den Weltmeeren sind nur einige Schlagworte der großen Krisen, denen sich die Weltgemeinschaft gegenübersieht. Mit den Sustainable Development Goals (SDGs) haben sich die Vereinten Nationen 2015 darauf verständigt, dass man diese Probleme gemeinschaftlich angehen will – mit deutlichen Fortschritten bis 2030.
Unter den 17 großen Zielen, die in den SDGs festgehalten sind, ist sehr prominent nach der Bekämpfung von Hunger, Armut und der Gesundheitsförderung an vierter Stelle das Ziel formuliert, qualitativ hochwertige Bildung für alle Menschen zu fördern. Wenn man darunter versteht, dass möglichst viele einen möglichst hohen Bildungsabschluss machen, dann ist Deutschland unter den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union recht gut aufgestellt.
Nun wissen wir aber: Höhere Bildungsabschlüsse gehen nicht automatisch mit nachhaltiger Entwicklung einher – im Gegenteil: Wer die höchsten Bildungsabschlüsse besitzt, verbraucht auch mehr Ressourcen als der Durchschnitt. Das ist leicht zu erklären: Höhere Bildungsabschlüsse führen in der Regel zu höheren Einkünften – und diese wiederum führen zu mehr Fernreisen, größeren Ansprüchen an den Wohnraum oder die Mobilität.
Daher ist es nur konsequent, wenn es in Kapitel 4 zur qualitativ hochwertigen Bildung heißt, dass bis 2030 alle (!) befähigt werden müssen, im Sinne der Nachhaltigkeit handeln zu können. Es reicht nicht, wenn man auf Politik und Wirtschaft verweist oder auf technische Innovationen hofft. Nur wenn das Bewusstsein für die Probleme geschärft, das Interesse an nachhaltiger Entwicklung geweckt, sinnvolle technologische Innovationen nicht nur diskutiert, sondern auch genutzt werden, wird sich etwas fundamental ändern.
Mehr als ein Drittel der Schülerinnen und Schüler gab an, dem Thema Nachhaltigkeit in der Schule noch nicht begegnet zu sein, bei den Auszubildenden und Studierenden waren es sogar über 50 Prozent.
International versucht man, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) derzeit durch die UNESCO mit einem Weltaktionsprogramm voranzubringen. Deutschland hat sich dieser Aktivität angeschlossen und einen Nationalen Aktionsplan zu BNE verabschiedet (s. S. 12 f.). Das ist ein Meilenstein, weil man nun Strukturen schaffen will, die BNE in allen Bildungsbereichen von der Kita bis zur Erwachsenenbildung zu verankern.
Wie stehen wir heute da? Neuere schulische Rahmenpläne nehmen das Thema endlich auf. Auch etliche Bildungspläne der Kitas haben BNE auf die Agenda gesetzt. Weniger deutlich ist BNE in der beruflichen Bildung verankert, in den Hochschulen kommt sie in der Ausbildung der Lehrkräfte bisher zu kurz. Nun sind Strukturen das eine, die Befähigung aller das andere. Wir haben im Frühjahr 2018 im Rahmen des nationalen BNE-Monitorings in einer Onlinestudie rund 2.500 14- bis 24-Jährige und etwa 500 Lehrkräfte befragt. Mehr als ein Drittel der Schülerinnen und Schüler gab an, dem Thema Nachhaltigkeit in der Schule noch nicht begegnet zu sein, bei den Auszubildenden und Studierenden waren es sogar über 50 Prozent.
Es wird Zeit, dass die jungen Menschen auf die Frage, woher sie ihr Wissen, ihre Urteils- und Handlungskompetenz für eine nachhaltige Entwicklung haben, nicht mehr zuallererst die Massenmedien nennen, sondern die Schule. Damit dies möglich wird, braucht BNE mehr Raum und Zeit. Doch das allein reicht nicht: Den Lehrkräften fehlen oft die fachliche Kompetenz und eine curriculare Absicherung. Viele Möglichkeiten, sich weiterzubilden, sind daher ebenso notwendig wie eine systematische Ausbildung aller Lehrkräfte in Sachen Nachhaltigkeit. Denn: 70 Prozent der Lehramtsstudierenden sind diesem Thema nie begegnet. Es wird also Zeit – bis 2030 haben wir nur noch gut zehn Jahre.