Kinderarbeit auf Kakaoplantagen
„Die Ursache des Übels nicht behoben“
Seit Jahren verspricht die Schokoladenbranche, Kinderarbeit auf Kakaoplan-tagen zu beenden. Doch am wichtigsten Hebel setze sie nicht an, der Armut der Familien, die Kakao anbauen, betont Jonas Lorenz vom Forum Fairer Handel im E&W-Interview.
- E&W: Herr Lorenz, warum gibt es auf Kakaoplantagen immer noch Kinderarbeit?
Jonas Lorenz: Weil die Ursache des Übels – die Armut der Kakao anbauenden Familien – nicht behoben wird. Diese weltweit 5,5 Millionen Kleinbauernfamilien können von ihrer Ernte kaum leben, viele verdienen weniger als 185 Euro im Monat. Davon kann niemand erwachsene Helferinnen und Helfer bezahlen. Und so schicken die Familien Kinder zum Pflücken. Wir meinen nicht die Kinder, die den Eltern nach der Schule helfen. Sondern die Mädchen und Jungen, die gefährliche Arbeiten verrichten müssen, teils unter Zwang.
- E&W: Die Kakaopreise sind 2024 stark gestiegen. Warum sind die Familien, die Kakao anbauen, dennoch weiterhin arm?
Lorenz: Lange schwankte der Kakaopreis zwischen 1.600 und 2.800 US-Dollar pro Tonne, aber im März hat er die 10.000-Dollar-Marke geknackt, in dieser Höhe lag er auch Ende des Jahres wieder. Trotzdem bleibt die Lage für die konventionellen Kakaobäuerinnen und -bauern dramatisch. Das hat drei Gründe: Erstens wird Kakao an Rohstoffbörsen gehandelt. Steigt der Wert plötzlich, etwa mangels Angebots, haben die Erzeugerinnen und Erzeuger an der Elfenbeinküste und in Ghana, die 70 Prozent des weltweit verarbeiteten Kakaos liefern, erst einmal nichts davon: In beiden Ländern legt der Staat den Preis fest, den die kakaoaufkaufenden Firmen zahlen müssen – und der Staat hat diesen nur langsam erhöht, als der Preis 2023 durch die Decke ging.
Zweitens ernten die Familien heute weniger Kakao als früher: Alte Bäume, Klimakrise sowie Pflanzenkrankheiten ließen die Ernten einbrechen. Drittens steht den Erzeugerinnen und Erzeugern weltweit eine Handelsstruktur gegenüber, die von wenigen Konzernen dominiert wird. Allein Mars, Mondelēz, Nestlé, Ferrero, Hershey’s und Lindt & Sprüngli kontrollieren zusammen 55 Prozent des globalen Schokoladenmarktes. Die Kleinbäuerinnen und -bauern müssen den Preis akzeptieren, der ihnen geboten wird.
- E&W: Was verdient eine Familie an einer Tafel Schokolade ohne ein Fair-Trade-Siegel?
Lorenz: Pro Euro des Verkaufspreises einer Tafel Schokolade bleiben durchschnittlich acht Cent bei den Kakaoproduzentinnen und -produzenten.
- E&W: Ist das bei Schokolade aus Fairem Handel anders?
Lorenz: Ja, allein schon wegen der festen Mindestpreise, die im Fairen Handel gezahlt werden. Das bietet den Erzeugerinnen und Erzeugern ein Sicherheitsnetz, wenn der Weltmarktpreis niedrig ist. Bei Fairtrade liegt der Mindestpreis bei 2.400 US-Dollar pro Tonne Kakao, bei der Gepa zwischen 3.300 und 3.500 Dollar, je nach Land. Alle anerkannten Fair-Anbieter zahlen aber mehr, wenn der Weltmarkt- über dem Mindestpreis liegt. Zudem profitieren Familien, die den Fairen Handel beliefern, von direkten Handelsbeziehungen und dem Zusammenschluss zu Kooperativen – gemeinsam können sie höhere Preise aushandeln. Fair-Anbieter schulen zudem in nachhaltigem Anbau. Das verbessert Erträge und Einnahmen. All das hilft, Kinderarbeit zu bekämpfen. Aber auch der Faire Handel kann Kinderarbeit nicht zu 100 Prozent ausschließen.
- E&W: Abgesehen von den Erzeugerinnen und Erzeugern erzielten alle anderen Akteure in der Schokoladen-Lieferkette Gewinne, kritisiert die Kampagne „Make Chocolate Fair“. Müsste man an diesen Margen ansetzen, um die Einkommen der Erzeugerfamilien zu verbessern?
Lorenz: Ja. Schokoladenhersteller könnten Einfluss auf die Preise nehmen, indem sie nur fair bezahlten Kakao verarbeiten. Rewe, Lidl & Co. könnten sagen: Schokolade, für die keine existenzsichernden Erzeugerpreise bezahlt wurden, kommen nicht mehr ins Sortiment! Leider nutzen die Märkte diesen Hebel nicht.
- E&W: Können auf der Verbraucherseite Schulen und Lehrkräfte etwas bewirken?
Lorenz: Durchaus! Man kann an diesem Produkt sehr gut im Unterricht durchexerzieren, was in unserem Wirtschafts- und Handelssystem alles schiefläuft.