Bildungsfinanzierung
Die Schuldenbremse muss weg!
Schulen, Kitas, Hochschulen und die Weiterbildung ächzen seit Jahren unter der Last einer Unterfinanzierung. Der Berliner Ökonom und Finanzwissenschaftler Birger Scholz über mögliche Wege aus dem Dilemma.
- E&W: Was verbirgt sich hinter der Forderung in Artikel 109 Absatz 3 des Grundgesetzes, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Kredite auszugleichen sind?
Birger Scholz: In der öffentlichen Diskussion heißt es, man solle den kommenden Generationen keinen Schuldenberg aufbürden. Die Schuldenbremse kam 2009 ins Grundgesetz. Sie sollte verhindern, dass die Kreditaufnahmen und damit die Schulden der öffentlichen Hand ungehindert ausufern. Seit 2016 darf die Nettokreditaufnahme des Bundes konjunkturbereinigt 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht überschreiten. Den Bundesländern ist eine Kreditaufnahme seit 2020 sogar komplett verboten. Diese Entscheidung war Ausdruck der neoliberalen Hegemonie der damaligen Zeit, die staatlichem Handeln generell ein schlechtes Zeugnis ausstellte. Das Dogma hieß: Privat vor Staat. Erstaunlich: Offenkundig stört es niemanden, ein zerstörtes Klima oder eine unterfinanzierte Bildung zu vererben.
- E&W: Keine Schulden zu machen, ist doch sinnvoll?
Scholz: Die Schwierigkeit in der Diskussion besteht darin, den Unterschied zwischen dem alltäglichen, privaten Handeln und dem Verhalten des Staates zu verstehen. Natürlich kann eine Privatperson über den Lebenszyklus nur das ausgeben, was sie einnimmt. Aber ein Staat kann nicht wie die sprichwörtliche schwäbische Hausfrau agieren. Der Staat hat sich schon immer verschuldet, um große Investitionen zu schultern. Die Alternative heißt: Privatisierung der Daseinsvorsorge und Öffentlich-Private-Partnerschaften (ÖPP). Zudem stützen Staatsschulden im Abschwung die Konjunktur, während Sparen im Abschwung die Krise verschärft.
Das war die große Erkenntnis des britischen Ökonomen John Maynard Keynes. Auch die schwäbische Familie nimmt Kredite auf, wenn sie ihr Haus baut. Jedes Unternehmen finanziert Investitionen und die Ausweitung der Produktion mit Fremdkapital. Warum der Staat das nicht tun soll, erschließt sich mir nicht. Die Schuldenbremsen bei Bund und Ländern sind in Wirklichkeit üble Investitions- und Wirtschaftsbremsen. Sie hindern den Staat daran, für eine funktionierende und zukunftsfähige Infrastruktur zu sorgen und setzen Anreize für unwirtschaftliche ÖPP-Modelle.
- E&W: Das Bildungssystem ist chronisch unterfinanziert. Ist die Schuldenbremse die Ursache dafür, dass Deutschland jenseits von Platz 30 im Bildungsranking der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) der öffentlichen Ausgaben für Bildung liegt?
Scholz: Bei der Verteilung der Steuereinnahmen ziehen die Investitionen fast immer den Kürzeren. Das liegt in der Natur der Sache: Investitionsausgaben entfalten ihre Wirkung erst in der Zukunft. Politiker lieben aber den unmittelbaren Erfolg, der sich sofort in Stimmen auszahlt. Investitionen fehlt eine starke Lobby, so einfach ist das.
- E&W: Kann es trotzdem mehr Geld für Bildung geben, falls die Schuldenbremse weiterhin gilt?
Scholz: Das deutsche Bildungssystem ist schon länger nicht mehr top, die Digitalisierung haben wir verschlafen, der investive Nachholbedarf in den Kommunen ist immens. Das Kommunalpanel 2021 der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) berichtet von einem Investitionsstau bei den Kommunen von 149,2 Milliarden Euro, davon entfallen 46,5 Milliarden auf den Bereich Schule und 9,1 Milliarden Euro auf die Kitas. Wie dieser Investitionsstau über den Kernhaushalt aufzulösen ist, bleibt unklar.
- E&W: Das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) nutzt Spielräume jenseits der Schuldenbremse, um Geld in die Bildung zu pumpen. Wie funktioniert das?
Scholz: Ja, das stimmt. So werden beispielsweise über das Förderprogramm „Gute Schule“ zwei Milliarden Euro für kommunale Schulinvestitionen bereitgestellt. Das Land konnte den Kommunen das Geld wegen der Schuldenbremse nicht direkt aus dem Haushalt zuführen. Deshalb beauftragte es die NRW.Bank, die nötigen zinsfreien Kredite bereitzustellen und das Förderprogramm umzusetzen. Das Land übernimmt die Tilgung der Kredite. „Gute Schule“ ist 2020 ausgelaufen und wird jetzt mit dem kleineren Programm „Moderne Schule“ fortgesetzt. Fördersumme: 150 Millionen Euro. Außerdem gibt es den Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) NRW. Der BLB NRW baut, saniert und modernisiert kreditfinanziert neben den Hochbauten des Landes auch Bibliotheken, Laborgebäude, Hörsäle und viele andere universitäre Einrichtungen.
- E&W: Berlin arbeitet in der Bildung mit der landeseigenen HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft. Wie funktioniert das?
Scholz: Die HOWOGE ist eine von sechs kommunalen Wohnungsbaugesellschaften in der Hauptstadt und zählt mit rund 65.000 eigenen Mietwohnungen deutschlandweit zu den größten Vermietern. 13 große Schulsanierungen, den Neubau von 18 Schulen sowie den Bau von acht Holzbauschulen hat das Unternehmen übernommen. Wegen der Schuldenbremse nimmt die -HOWOGE die notwendigen Kredite für das Programm auf. Da das Land für die Kredite bürgt, sorgt es so für sehr günstige Zinsen. Das Modell funktioniert beim Neubau wie folgt: Die -HOWOGE erhält vom Land, vertreten durch den jeweiligen Bezirk, Grundstücke in Erbbaupacht und baut dort Schulen.
Die Schulen werden an die Bezirke als Schulträger für 30 Jahre vermietet, die Miete entspricht Zins, Tilgung für die Kredite und erstattet den Kostenaufwand der HOWOGE. Nach 30 Jahren fallen die Grundstücke mit den neuen Schulen an die Bezirke zurück. Das ist ein funktionierender öffentlich-öffentlicher Kreislauf, den man aber so nicht machen müsste, wenn es die Schuldenbremse nicht gäbe.
- E&W: Gibt es jenseits von Liegenschaftsbetrieben, Wohnungsbaugenossenschaften und Förderbanken noch andere Ideen, um sich die notwendigen Bildungsmilliarden zu beschaffen?
Scholz: Die Länder stehen in der Verpflichtung, ihre Bildungsausgaben zu steigern. Insbesondere geht es da-rum, den Kommunen als Trägern von Bildungseinrichtungen massiv unter die Arme zu greifen. Öffentliche Wohnungsbaugesellschaften sind da ein gutes Format, aber auch Förderbanken sind ein taugliches Instrument. Länder und Kommunen sollten jedenfalls nicht darauf warten, dass der Bund irgendwann für sie die Vermögensteuer einführt oder die Schuldenbremse modifiziert.
- E&W: Welche konkreten Möglichkeiten hat der Bund, um sich Finanzmittel für Bildungsaufgaben zu beschaffen?
Scholz: Zum einen kann die Kreditaufnahme in alte – beispielsweise Bahn- oder Autobahngesellschaften – oder neue Gesellschaften – zum Beispiel eine Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) Klimafonds – verlagert werden. Das schafft im Kernhaushalt Raum für höhere Bildungsausgaben. Denkbar wäre aber genauso, eine AöR Bildung zu gründen, die die Länder nach gesetzlichen Vorgaben bei der Bildungsfinanzierung unterstützt. Dies können investive und auch konsumtive Zuschüsse sein – analog der bestehenden Sondervermögen. Auch die bundeseigene KfW könnte eine Rolle bei der Bildungsfinanzierung spielen.
- E&W: Also ist doch einiges möglich?
Scholz: Ja, aber es gehört zu den Merkwürdigkeiten unserer Zeit, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber in seinem Urteil zum Klimaschutzgesetz auferlegt, für die nächste Generation Vorsorge zu treffen. Die dafür notwendigen Finanzmittel kann die öffentliche Hand jedoch nicht direkt aus ihren Haushalten bereitstellen. Offenkundig ist eine immer weiter sinkende Schuldenlastquote, denn dazu führt die Schuldenbremse langfristig, wichtiger, als die Erderwärmung zu stoppen. Das ist aberwitzig, die Schuldenbremse muss deshalb möglichst schnell abgeschafft werden. Denn neben Staatsschulden vererbt jede Generation auch immensen privaten Reichtum.