Qualität im Ganztag
„Die pädagogische Qualität steht oft hinten an“
Wie gut sind die Kreise, Städte und Gemeinden auf die Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztag in der Grundschule vorbereitet? E&W hat bei Henrik Scheller vom Deutschen Institut für Urbanistik nachgefragt.
- E&W: Wie sind Deutschlands Kommunen bislang auf den Ganztags-Rechtsanspruch ab August kommenden Jahres vorbereitet?
Henrik Scheller: Die Einführung des Rechtsanspruchs stellt die Kommunen vor erhebliche Herausforderungen – auch wenn die gesetzgeberischen Weichen dafür bereits vor einigen Jahren gestellt wurden und die Vorbereitungen in den Kommunen längst laufen. Nicht umsonst konnte die Zahl der Ganztagsplätze in den vergangenen Jahren bereits deutlich gesteigert werden. Allein: Es sind noch weitere massive Anstrengungen erforderlich. Nicht ohne Grund hat man daher den Rechtsanspruch inzwischen zeitlich gestaffelt. Ab 2026 haben erst einmal nur die Erstklässler einen umfassenden Betreuungsanspruch von acht Stunden an fünf Tagen in der Woche. Die anderen Grundschul-Jahrgangsstufen sollen dann sukzessive bis 2030 folgen.
- E&W: Aber wie weit ist der quantitative Ausbau bisher – wird es ausreichend Plätze geben?
Scheller: Bisher wurde davon ausgegangen, dass zur Erfüllung der Nachfrage nach Angeboten im Ganztag rund 600.000 zusätzliche Plätze geschaffen werden müssen – bei mehr als 800.000 Erstklässlern in Deutschland insgesamt, die wir im Schuljahr 2024/2025 mit einer leicht steigenden Tendenz zu verzeichnen hatten. Die politisch nun vorgesehene Staffelung bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule zeigt, dass die Kommunen sowohl in baulicher als auch in personeller Hinsicht nicht hinterherkommen, die von Bund und Ländern zugesagten Kapazitäten fristgerecht bereitzustellen.
- E&W: Reichen die bisherigen Investitionen aus, um neben dem quantitativen Ausbau auch eine gute Qualität des Ganztags sicherzustellen?
Scheller: Momentan befindet sich die Diskussion um die Erfüllung des Rechtsanspruchs in den Kommunen nach wie vor in einem Stadium, in dem es nur irgendwie gelingen muss, die schiere Nachfrage nach solchen Angeboten in quantitativer Hinsicht einigermaßen zu erfüllen. Die pädagogische Qualität des Angebots muss da oft genug hinten anstehen. Dabei stellt die personelle Dimension die eigentliche Herausforderung für die Kommunen dar: Pädagogisches Fachpersonal ist extreme Mangelware. Die Gehaltsstrukturen in diesem Segment des öffentlichen Dienstes sind sehr unattraktiv für einen sehr kräftezehrenden Job in einem Umfeld, in dem die sozialen Problemlagen der Gesellschaft oft unmittelbar aufeinanderprallen.
- E&W: Bringt denn der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus Union und SPD in diesem Dilemma Verbesserungen?
Scheller: Der neue Koalitionsvertrag erkennt die Herausforderungen an. Allein mit Blick auf vermeintliche Lösungen bleibt er – wie auch in vielen anderen Politikfeldern – schmallippig, insbesondere, wenn der generelle Finanzierungsvorbehalt der Koalitionäre konsequent durchgesetzt werden sollte. Investitionsprogramme sind immer nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn aus ihnen dürfen nur Investitionsmaßnahmen finanziert werden, es gibt kein Geld für Personal. Die Antragstellung durch die Kommunen ist meist aufwendig und erfolgt in einem „Windhundverfahren“. Ein Anspruch auf Zuweisungen besteht nicht. Ist der Topf leer, können sich die Kommunen auf den Kopf stellen. Insbesondere kleinere freie Träger haben das Nachsehen, da ihnen das Personal und die Erfahrung fehlen. Hier beißt sich die Katze also in den Schwanz. Denn gerade die freien Träger leisten vor Ort einen essenziellen Beitrag zur frühen Bildung – insbesondere auch in kleineren und mittleren sowie strukturschwachen Kommunen.
- E&W: Welche weitere Hilfe und welche Unterstützung wären für die Kommunen vom Bund und von den Ländern notwendig?
Scheller: Sie benötigen ein gewisses Maß an Standardisierung – sowohl was die pädagogische Art und Weise der Bildung im Ganztag als auch die Mittelverteilung bei den Förderprogrammen und Ähnlichem betrifft. Außerdem benötigen die Kommunen vom Bund und von den Ländern eine Ausbildungs- und Qualitätsoffensive für pädagogisches Fachpersonal. Aber auch gesellschaftspolitisch braucht es eine größere Anerkennung der Erzieherinnen und Erzieher sowie des sozialpädagogisch und psychologisch geschulten Personals, was sich dann auch in entsprechenden Gehaltsstrukturen niederschlagen muss.