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Russland

Die Mühen der Ebene oder Kein Fortschritt ohne Kommunikation oder Sprachlos scheitern!

Von 2015 bis 2018 war Karl-Walter Florin als Fachschaftsberater an einer staatlichen Schule in Kaluga tätig und dort für das Deutsche Sprachdiplom (DSD) verantwortlich. Seine Erfahrungen sind ernüchternd.

Arbeiten als Fachschaftsberater in Russland: Spannende Aussichten und Herausforderungen. Mein Einsatzort, die allgemeinbildende Schule Nr. 10 in Kaluga war seit fünf Jahren im DSD-Programm und wurde die ersten vier Jahre von einer Fachschaftsberaterin aus Deutschland unterstützt. Nun erhielt ich drei Jahre Zeit, um das Programm zu stabilisieren, vielleicht sogar auszubauen.

Deutsch als erste Fremdsprache
Die Voraussetzungen erschienen gut: Die Mittelschule Nr. 10 hatte den Schwerpunkt Deutsch (der wird aber gerade geändert, als ich ankomme, in „mit besonderem Schwerpunkt in einigen Fächern“); die Schüler(innen) lernen ab der zweiten Klasse Deutsch als erste Fremdsprache. In Kaluga, einer Großstadt rund 200 km südwestlich von Moskau mit gut 300.000 Einwohnern ist die Mittelschule Nr. 10 die einzige Schule, in der Deutsch als erste Fremdsprache unterrichtet wird. Dazu kommt, dass sich in der Umgebung der Stadt im letzten Jahrzehnt mehrere große deutsche Konzerne mit Produktionsstätten niedergelassen haben. Allerdings schicken deren Mitarbeiter ihre Kinder selten in öffentliche russische Schulen, obwohl Deutschkenntnisse von großem Vorteil sein können, zumal die deutschen Betriebe in Kaluga viele Arbeitsplätze bieten. (Wie so etwas funktionieren kann, zeigte mir die Immobilienmaklerin, über die ich meine Wohnung gemietet habe. Sie sprach Deutsch, das sie an meiner Schule gelernt hatte, vermittelte Wohnungen an die deutschen Mitarbeiter der Betriebe vor Ort und sorgte dafür, dass mein Mietvertrag sowohl auf Deutsch als auch auf Russisch vorlag.) Also: Beste Voraussetzungen – wahrscheinlich!

Freundlicher Empfang
Einige Zeit vor meiner Ankunft hatte die Schulleitung gewechselt (Fremdsprachen gegen Physik). Auch hatte die Lehrerin, die sich für das Deutsch-Programm besonders engagiert hatte, die Schule verlassen – Richtung deutsches Unternehmen. (Kein Wunder: Der Verdienst war mindestens doppelt so hoch wie das Gehalt als Lehrkraft!)  Der Empfang durch die Deutschkolleginnen war sehr positiv, waren sie doch froh, wieder jemanden zu haben, der die Schüler(innen) auf die DSD-Prüfungen vorbereiten konnte, nachdem sie ein Jahr lang diesen Service nicht hatten. Der Empfang durch die Schulleitung war freundlich-zurückhaltend, aber hilfsbereit. Zwei Kolleginnen wurden mir zur Seite gestellt, die mich unterstützen sollten, was in der Anfangsphase, aber auch später immer mal wieder notwendig war. (z. B. beim Bankkonto einrichten, sich beim Finanzamt oder bei der „Rentenversicherung“ anmelden) Und natürlich war die Unterstützung wichtig, um mich in die Struktur und Organisation der Schule einzuführen. Nach einigen Tagen Hospitation hatte ich schnell einen Stundenplan zusammengestellt und begann zu unterrichten. Die Kolleginnen unterstützten mich; ich half ihnen häufig bei landeskundlichen Fragen und Themen und war die nächsten Jahre das wandelnde Lexikon.

Schulleitung ohne Interesse
Nun wartete ich – offensichtlich etwas naiv – darauf, dass die Schulleitung sich mit mir in Verbindung setzen würde, um einen Arbeitsplan für die kommende Zeit zu entwickeln.  Es passierte allerdings nichts und auf Nachfragen bei der Abteilungsleiterin änderte sich ebenfalls nichts. So verging das erste Jahr und ich konnte wirklich „ungestört“ vor mich hin werkeln. Der Sommer kam, der Sommer ging und, als ich zurückkam, war auch der Schulleiter gegangen. Eine neue junge Schulleiterin (Informatik) begrüßte am 1. September die Schüler(innen) und Kolleg(inn)en aus den Ferien. Und ich dachte: Neue Leitung, neues Glück! Nun war der DSD-Fachschaftsberater sicher nicht das Wichtigste, mit dem man sich beschäftigen musste, wenn man eine Schule neu übernimmt. Aber irgendwann dachte ich schon, es sei an der Zeit, die verbleibende Zeit zu organisieren. Zwei Jahre sind nicht viel, wenn man in einer Schule etwas verändern und entwickeln will. Was sich veränderte, waren allerdings die Bedingungen. Der Stundenplan wurde dichter, weil das Ziel war, weitgehend auf Samstagunterricht zu verzichten. Für mich wurde es schwieriger, einen guten, brauchbaren Stundenplan zusammenzustellen. Der Deutschunterricht verlor ein wenig von seinem Deputat. Schlecht auch für die Kolleginnen. Die Zeit verging, die Schüler(innen) machten ihre Prüfungen, mehr oder weniger gut, je nachdem, wie regelmäßig sie im Unterricht erschienen. Und dann war auch schon wieder das Schuljahr Vergangenheit. Trotz verschiedener Anläufe war kein Gespräch mit der Schulleitung zustande gekommen.

Eine abgesagte Deutschlandreise
Nun wurde es aber wirklich Zeit! Das letzte Jahr meiner Tätigkeit brach an und es zeigte sich ein erster Silberstreifen am Horizont. Nach Jahren schien erstmals wieder ein Austausch mit der Partnerschule in Deutschland möglich zu sein. In den Jahren zuvor war der Austausch, der von deutscher Seite gewollt und gefördert wurde, gescheitert an der zu geringen Schülerzahl aufgrund der für russische Verhältnisse hohen finanziellen Belastung. Aber jetzt erhielt eine der Deutschkolleginnen den Auftrag, alles Notwendige in die Wege zu leiten. Und es schien auch alles kein Problem: Schnell waren genügend Schüler(innen) gefunden, deren Eltern offensichtlich das Projekt unterstützten; die finanziellen Probleme schienen ebenfalls gelöst. Obwohl ich meine Hilfe anbot, wurde ich auch in diesem Fall nicht mit in die Planung eingebunden, sondern erfuhr vom Fortgang immer erst auf Nachfrage. Die finanziellen Engpässe konnten offensichtlich im Jahr der Städtepartnerschaft mit Hilfe der deutschen Stadt Suhl gelöst werden. Aber dann tauchten immer wieder Blockaden durch die Schulleitung auf: ungeklärte Verantwortung, finanzielle Regelungen für die Lehrkräfte. Und schließlich, der November war in der zweiten Hälfte, das Aus: Die Schule fährt nicht, die Schulleitung gibt kein Plazet für die Reise. Stattdessen fährt eine andere Schule nach Deutschland, die mit Deutsch nun gar nichts zu tun hat. Die Enttäuschung der Schüler(innen), die fast alle in meinen Lerngruppen waren, war verständlich und mein Ärger über die Entscheidung groß. Aber es sollte nicht das Ende sein.

Nicht eingeladen
Die schriftliche Prüfung für DSD II war gerade vorbei, als ich Donnerstagmorgen zur ersten Stunde in der Schule war. Bis auf eine waren an diesem Tag keine Deutschkolleginnen an der Schule, weil seit Schuljahresbeginn Teile des Fremdsprachenunterrichts auf Samstag verlegt worden waren. Die Kollegin teilte mir mit, dass sich für den Morgen eine deutsche Delegation in der Schule angekündigt hatte. Ich war hoch erfreut und hoffte diese auch sprechen zu können. Allerdings war die Kollegin auch nicht genau informiert und wusste nicht, ob sie zu diesem Gespräch geladen sein würde. Da auch nicht klar war, wann es stattfinden sollte, fuhr ich erst einmal wieder zurück zu meiner Wohnung, um den Unterricht für den Nachmittag vorzubereiten, aber mit der klaren Bitte, mich zu informieren, wenn die Delegation anwesend sein würde. Das geschah nicht. Am nächsten Tag erfuhr ich, dass die Kollegin lediglich ein paar Minuten dem Gespräch beiwohnen durfte, obwohl sich herausstellte, dass der Leiter der Delegation der ehemalige Oberbürgermeister der deutschen Partnerstadt war, den die Kolleginnen auch aus früheren Besuchen kannten. Ich war ebenfalls ernüchtert und sauer.

Anfrage aus Berlin
Dienstagmorgen öffnete ich mein E-Mail-Postfach und fand eine Mail meiner Fachberaterin vor. Sie hatte über die Kulturabteilung der Botschaft eine Anfrage vom Außenministerium erhalten und an mich weitergeleitet mit der Bitte um Stellungnahme. Zu Recht wollte man wissen, was denn an meiner Schule los sei. Die Schulleiterin hatte geschwärmt von der großen materiellen und personellen Unterstützung durch das – Goethe-Institut!!! Zumindest die Kommunikation mit meiner Fachberaterin hatte über die Zeit funktioniert, so dass diese nicht wirklich überrascht über die Entwicklung an der Schule war. Dennoch: Es war der Gipfel. Ich rief eine der Kolleginnen an, mit der Bitte uns in der Mittagspause kurz zusammenzusetzen, um die Situation zu besprechen. Doch dazu kam es nicht, denn ich wurde von der Schulleiterin in Begleitung einer Elternvertreterin abgefangen und in eine Diskussion gezwungen, die sinnlos war. Sie gaben Ratschläge, wie meine Unterrichtssituation verbessert werden könnte und machten Vorschläge für Schülerkontakte nach Deutschland, waren aber nicht in der Lage, die verfahrene Situation, in die sie sich gebracht hatten, zu verstehen.

Ende einer Fachschaftsberater-Stelle
Ich teilte ihnen (nach Absprache mit der FB) mit, dass durch die entstandene Situation die Fortführung der Stelle als Fachschaftsberater extrem gefährdet sei. Für die weitere Behandlung des Falles verwies ich an die Fachberaterin. Damit erschöpften sich die Gespräche zwischen der Schulleiterin und mir. Spätestens jetzt hätten die Deutschkolleginnen aufwachen müssen, aber sie blieben bis zum Ende meines Aufenthaltes apathisch, initiativlos, wie gelähmt und schicksalsergeben. Dies obwohl ihnen klar war, dass meine Ankündigung, die Schule könnte aufgrund der unbefriedigenden Entwicklung des Deutschunterrichts und der geringen Zahl von Prüfungsteilnehmenden die Stelle verlieren, Wirklichkeit werden würde. Was auch geschah! Die Stelle wurde neu ausgeschrieben (aus persönlichen Gründen wollte ich nicht verlängern) und die Schule wurde diesbezüglich unterrichtet. Natürlich frage ich mich, ob es nicht Wege gegeben hätte, Gespräche zu führen. Mir sind bislang keine eingefallen.