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GEW-Herbstakademie

„Die Schuldenbremse ist auch eine Bildungsbremse“

„Gute Arbeit in der Erwachsenenbildung – Gewerkschaftliche Anforderungen an die Nationale Weiterbildungsstrategie“: Über dieses Thema haben 100 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Weiterbildung und Politik in Frankfurt am Main diskutiert.

Die „schöne neue Arbeitswelt“ hat dunkle Seiten. Bei der Herbstakademie der GEW in Frankfurt am Main berichtete Fabian Langenbruch aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) von der Betriebsrätin eines Möbelhauses. Diese habe 50 Kassiererinnen erzählen müssen, dass ihre Arbeitsplätze durch automatisierte Kassensysteme ersetzt würden. Ihre künftigen Arbeitsplätze seien im Warenlager –  „zu schlechteren Bedingungen“. Ob die Nationale Weiterbildungsstrategie (NWS) der Bunderegierung auf solche Fälle Antworten finde? „Da kann man ein Fragezeichen setzen“, sagte Langenbruch.

Was also ist von der NWS zu halten? Sie zielt darauf, Beschäftigte und Arbeitsuchende auf künftige Herausforderungen am Arbeitsmarkt vorzubereiten. Bundesministerien, Kultusministerkonferenz, Bundesagentur für Arbeit sowie Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften hatten sieben Monate lang verhandelt und im Juni 2019 ein gemeinsames „Strategiepapier“ veröffentlicht. Hier sind zehn Handlungsziele formuliert.

„Es gibt auch ökologischen, politischen und kulturellen Wandel.“ (Bernd Käpplinger)

Die Bildungspolitik wolle „präventiv“ vorgehen, sagte Dieter Nittel, Erziehungswissenschaftler an der Goethe-Universität Frankfurt. Im Strategiepapier stehe etwa, durchgesetzt von der IG Metall, „dass man Kurzarbeitergeld verbindet mit Weiterbildung“. Davon könnten Beschäftigte in Krisenzeiten profitieren. Bislang handele es sich aber um eine „Absichtserklärung“, die „Arbeitsphase“ beginne erst.  Langenbruch betonte, bei einigen Themen habe es einen „Durchbruch“ gegeben, etwa beim Recht auf Nachholen eines Berufsabschlusses, das nun im Strategiepapier stehe. Es sei aber nicht gelungen, das Recht auf Weiterbildung in der NWS zu verankern.

Bernd Käpplinger, Weiterbildungsexperte an der Justus-Liebig-Universität Gießen, kritisierte, dass der Fokus auf betrieblich-beruflicher Weiterbildung liege. Im Strategiepapier sei zudem viel vom digitalen Wandel die Rede. „Es gibt auch ökologischen, politischen und kulturellen Wandel.“ Er verwies auf die „Fridays for Future“-Bewegung, die Herausforderungen der Integration und den zunehmenden Rechtspopulismus. Auch mit diesen Themen müsse sich Weiterbildung beschäftigen. 

Nach einführenden Vorträgen und Diskussion besuchten die Teilnehmenden eines von fünf Foren, in denen es etwa um Integrationskurse, Medienkompetenz als Querschnittsaufgabe oder ein künftiges Bundesgesetz zur Weiterbildung ging. In einem Forum setzten sich die Kolleginnen und Kollegen mit dem Thema Beratung auseinander: Zwar gebe es heute  – anders als vor 15 Jahren – eine heterogene Beratungslandschaft mit vielen Angeboten, sagte Barbara Lampe vom Berliner Verein Nationales Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung (nfb). Allerdings fehlten ein Berufsprofil und tarifliche Eingruppierungen: „Viele Beratungseinrichtungen arbeiten auf Projektbasis.“ Dies habe zur Folge, dass das Personal befristet beschäftigt sei. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) beginne nun, flächendeckend Bildungsberatung für Beschäftigte aufzubauen: „Das finden wir gut.“ Wichtig sei es aber, die Vielfalt der Beratungsangebote zu erhalten: „Wir brauchen Wahlmöglichkeiten.“ 

Mehrere Teilnehmende erinnerten an die besondere Arbeitssituation von Geringqualifizierten in Branchen wie Logistik, Bau und Gastronomie. Deren Weiterbildung sei „nicht immer im Interesse der Betriebe“, erklärte der Leiter eines Beratungsprojektes aus Hessen. Das bedeute: Wer zur Weiterbildungsberatung gehe, tue gut daran, dies im Betrieb zu verheimlichen, weil der Chef sonst denke, „ich will weg - was ja auch stimmen kann“. Es müsse die Möglichkeit geben, „clandestin zu beraten“, forderte auch Falko Blumenthal vom DGB-Bildungswerk in Düsseldorf.  

„Die Schuldenbremse ist auch eine Bildungsbremse.“ (Elke Hannack)

Die stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende Elke Hannack betonte, das Strategiepapier enthalte eine Reihe gewerkschaftlicher Forderungen, etwa  die bessere Weiterbildungsunterstützung für Hartz-IV-Empfänger. Auch das Aufstiegs-Bafög, das derzeit 160.000 Menschen erhalten, solle ausgebaut werden. Hannack forderte, dass sich Bund und Länder von der „schwarzen Null“ verabschieden sollten. „Die Schuldenbremse ist auch eine Bildungsbremse.“

Zum Abschluss diskutierten Bundestagsabgeordnete über die NWS. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) forderte, Weiterbildung für Beschäftigte und Arbeitslose attraktiver zu machen. Sein Vorschlag: ein Weiterbildungs-Geld, das höher sei als das Arbeitslosengeld I. Zur Finanzierung lasse sich der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung erhöhen. Birke Bull-Bischoff (Die Linke) monierte, ausgerechnet dort, wo sich Weiterbildung an Menschen mit wenig Geld, wenig Schulerfolgen und vielen Problemen richte, „korrespondiert das mit schlechten Arbeitsbedingungen“. Diese müssten verbessert werden. 

Ulrike Bahr (SPD) kündigte an, dass sich ihre Partei weiter für ein „Demokratiefördergesetz“ einsetzen werde, um die politische Bildung zu stärken. Ziel sei, „dass wir die Menschen befähigen, zu agieren und zu reagieren“. Jens Brandenburg (FDP) sagte, es habe bislang nicht daran gemangelt, „dass wir zu wenig Geld hatten“. Ausgaben für Bildung kämen generell zu kurz, auch innerhalb der Kommunen. Er plädierte für einen „deutlich stärkeren Ausbau der Beratung“.