#GEWTAG22
Die GEW nach der Wende: Eine Erfolgsgeschichte
Als vor fast 33 Jahren die Mauer fiel, veränderte dies nicht nur Deutschland und Europa, sondern auch die GEW. Auf dem Gewerkschaftstag diskutierten Historiker, Zeitzeuginnen und -zeugen über den Einheits- und Transformationsprozess nach 1990.
Ihre erste Ost-West-Begegnung hat Marlis Tepe noch gut in Erinnerung. Die ehemalige GEW-Vorsitzende (2013 bis 2021), die aus Schleswig-Holstein stammt, arbeitete 1990 im GEW-Bundesfrauenausschuss. Gleich in den ersten Gesprächen mit den Ost-Frauen, so Tepe, seien die Unterschiede deutlich geworden. „Wir sprachen zwar alle die gleiche Sprache, aber Begriffe wie ,Kollektiv‘ oder ,Internationaler Frauentag‘ hatten für die Ost-Kolleginnen eine andere Bedeutung als für uns.“
In der DDR, so Tepe weiter, habe es ausreichend Betreuungsplätze für Kinder im Kita-Alter gegeben, und die Berufstätigkeit von Frauen sei selbstverständlich gewesen. „In der alten Bundesrepublik dagegen wurden Frauen, die ihre kleinen Kinder fremdbetreuen ließen, oft als Rabenmütter beschimpft, und Kita-Plätze waren Mangelware.“
Tepe diskutierte zusammen mit Eva-Maria Stange – GEW-Vorsitzende von 1997 bis 2005 –, zur Wende-Zeit Lehrerin in Dresden, Thomas Lippmann – GEW-Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt von 1998 bis 2016 –, ab 1986 Lehrer an einer Schule in Wallwitz, Sachsen-Anhalt, sowie den beiden Historikern Prof. Detlev Brunner und Michael Goll von der Universität Leipzig auf dem Gewerkschaftstag über die GEW im Einheitsprozess.
Vorstellungen von Gewerkschaftsarbeit nicht übergestülpt
Stange und Lippmann machten darauf aufmerksam, dass die Eingliederung der vormaligen DDR-Gewerkschaften Unterricht und Erziehung (GUE) sowie Wissenschaft (GW) auch deshalb relativ reibungslos verlaufen konnte, weil die West-GEW nie versucht habe, ihre Vorstellungen von Gewerkschaftsarbeit dem Osten überzustülpen.
„Die ostdeutschen Landesverbände haben die Gesamt-GEW nachhaltig verändert.“ (Michael Goll)
Für Goll, der derzeit an einer Untersuchung zur GEW-Geschichte in den Jahren nach 1989/90 arbeitet, ist die Entwicklung der Gewerkschaft im Einheitsprozess auch deshalb eine Erfolgsstory. „Die ostdeutschen Landesverbände haben die Gesamt-GEW nachhaltig verändert“, so der Historiker. Dies gelte vor allem für den heutigen Charakter der GEW als Bildungsgewerkschaft. Zwar sei der Anspruch, nicht nur eine Gewerkschaft für Lehrerinnen und Lehrer zu sein, schon unter dem früheren Vorsitzenden Dieter Wunder (1981 bis 1997) als Ziel formuliert worden. Doch erst nach 1990, als viele ostdeutsche Kolleginnen und Kollegen, unter denen nicht wenige Erzieherinnen aus den Schulhorten waren, Mitglieder wurden, habe die GEW dieses Ziel auch erreicht.
In der ersten Hälfte der 1990er-Jahre stand in Ostdeutschland allerdings anderes im Vordergrund. Bedingt durch politisch begründete Kündigungen und durch den Personalabbau in den Schulen aller fünf ostdeutschen Länder war die GEW in erster Linie als Interessenvertretung für ihre Mitglieder gefragt. Die Übertragung des westdeutschen Bildungssystems auf den Osten, die von meist konservativen Landesregierungen vorangetrieben worden sei, habe die GEW als Gesamtorganisation vor vollendete Tatsachen gestellt, so Goll.
Laboratorium für den Transformationsprozess
„Bildungspolitisch“, fasste Golls Kollege Detlev Brunner zusammen, „war der Osten in positiver wie in negativer Hinsicht ein Laboratorium für den Transformationsprozess nach 1990.“ Positiv seien der Ausbau der frühkindlichen Bildung, der Auf- und Ausbau der Ganztagsschulen sowie die Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit zu nennen. Negativ das Lohndumping, das auch auf den Bildungsbereich übergegriffen habe, sowie der Personalabbau und die Zunahme der Arbeitsverdichtung in den Einrichtungen.
Insgesamt ziehe er aber ein positives Resümee aus mehr als drei Jahrzehnten Einheit. „Ich habe in den vergangenen Jahrzehnten die Erfahrung gemacht, dass die unterschiedlichen Erfahrungen in Ost und West befruchtend sein können, gerade in der Wissenschaft, vor allem aber in der GEW.“
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