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Feministische Zeitpolitik

Die Care-Arbeiterinnen

Immer mehr Frauen in Deutschland gehen einer bezahlten Erwerbstätigkeit nach. An ihrem Anteil an Kinderbetreuung und Haushalt hat das bisher allerdings wenig geändert. Dafür braucht es beispielsweise mehr Ganztagsschulen.

Von Gleichheit weit entfernt: Männer verbringen nur halb so viel Zeit mit Haushalt, Kindern und anderer Care-Arbeit wie Frauen. (Foto: picture alliance/SZ Photo/Wolfgang Filser)

Wenn Kinder eine Kita oder eine Ganztagsschule besuchen, ist das nicht nur bildungspolitisch, sondern auch ökonomisch eine gute Idee. Einen guten Hinweis darauf lieferte Franziska Giffey (SPD), als sie in ihrer Zeit als Bundesfamilienministerin bester Laune direkt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bei der Friedrich-Ebert-Stiftung vorfuhr. Bis zu zwei Milliarden Euro bringe der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsgrundschulplatz, jubelte sie: „Er finanziert sich fast von selbst.“ Nach Berechnungen des DIW nimmt mehr als jede zehnte vor der Einschulung nicht berufstätige Frau wegen der Nachmittagsbetreuung eine Arbeit auf. Noch stärker ins Gewicht fällt, dass erwerbstätige Mütter ihre Arbeitszeit um gut 2,5 Stunden pro Woche erhöhen.

Indes: Sind die Kinder zu Hause, kümmern sich trotz ihrer gestiegenen Erwerbsarbeit immer noch vor allem die Mütter um den Nachwuchs und die Care-Arbeit. Laut des aktuellen Gleichstellungsberichts der Bundesregierung werden rund zwei Drittel (65,5 Prozent) der unbezahlten Hausarbeit und Kinderbetreuung in Paarhaushalten von Frauen geleistet.

Wir müssen das mit mehr Energie angehen.“ (Frauke Gützkow)

Die Hans-Böckler-Stiftung (HBS), die das Thema auch in Zeiten der Pandemie eng begleitet, teilt dazu in einem Report bemerkenswert nüchtern mit: „Wir können also abschließend festhalten, dass die meisten Paare vor der Corona-Krise eine traditionelle Arbeitsteilung bei der Kinderbetreuung hatten und diese zum größten Teil während der Krise beibehielten.“

Gründe dafür gibt es viele, den Gender-Pay-Gap zum Beispiel, der Männer – auch in der Elternzeit – mehr Geld nach Hause bringen lässt. Das Ehegattensplitting, das laut der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden Elke Hannack „genau die widersprüchlichen Anreize schafft, die die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben verhindert“. Mit allzu viel Nachdruck wird das Thema durch die Männer im DGB nach Ansicht des GEW-Vorstandsmitglieds für Frauenpolitik, Frauke Gützkow, allerdings nicht behandelt: „Wir müssen das mit mehr Energie angehen“, forderte sie im Herbst 2021 bei einem Gleichstellungskongress der HBS vor Gewerkschafterinnen.

Zusätzliche Partnermonate erhöhen

Die Beharrungskräfte tradierter Rollenverteilung überraschen selbst Expertinnen. Prof. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, schrieb 2021 ein Buch, dessen Titel Programm ist: „Es geht nur gemeinsam. Wie wir Geschlechtergerechtigkeit erreichen.“ Als sie es vorstellte, musste selbst sie lachen, als sie sagte: „96 Prozent der Väter, die Elternzeit nehmen, tun das parallel zu den Monaten, die Mütter nehmen. Sie kommen gar nicht in die Situation alleiniger Verantwortung.“ Allmendingers Überzeugung: Werden die Unterschiede in der Care-Arbeit reduziert, gleichen sich Themen von Gender-Pay-Gap bis zu Frauen in Führungspositionen „wie in einem Domino-Effekt an“.

Die Elternzeit, bisher nur von 60 Prozent der Väter und meist nur für die zusätzlichen Partnergeldmonate beansprucht, könnte ein weit stärkerer Hebel sein: „Je mehr Elterngeldmonate der Vater in Anspruch nimmt, desto intensiver gestaltet sich die Vater-Kind-Beziehung und desto deutlicher fällt der Zuwachs an Egalität in der Paarbeziehung aus“, stellt der vom Bundesfamilienministerium herausgegebene Väterreport (2018) fest. Mehr als jeder zweite Vater, der drei Monate und mehr in Elternzeit war, berichtete, die Familienarbeit werde nun gerechter aufgeteilt. Bei kürzerer Elternzeit ist ein Effekt ebenfalls messbar, aber viel geringer. Expertinnen und auch einige Experten fordern seit Jahren, die zwei zusätzlichen Partnermonate auf mindestens vier zu erhöhen.

„Die Kinder nur zu betreuen, genügt nicht. Ohne eine Qualitätsoffensive geht es nicht.“ 

Studien zeigen auch: Viele Männer würden für ihre Familie weniger arbeiten – wenn sie das nicht im Beruf zurückwirft. Neben „finanziellen Aspekten“ stehen dem laut Väterreport die Haltung der Vorgesetzten, die Unternehmenskultur und fehlende Vertretungsregelungen entgegen. Die Verantwortung für Sorgearbeit müsse auch in den Betrieben zur Selbstverständlichkeit werden, forderte Hannack auf dem HBS-Gleichstellungskongress: „Auch hier braucht es einen Kulturwandel.“

Die GEW setzt sich dafür ein, Care-Arbeit zum zentralen Element gewerkschaftlicher Zeitpolitik zu machen. Auf den 2017 verabschiedeten Gewerkschaftstagsbeschluss „Zeit zu leben – Zeit zu arbeiten“ folgte 2021 das Diskussionspapier „Feministische Zeitpolitik“, das eine „kurze Vollzeit von 32 Wochenstunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich“ anstrebt. Zugleich hält Gützkow den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsgrundschulplatz für überfällig: „Er ist ein wichtiges Signal an die Familien und auf dem Weg zu mehr Chancengleichheit.“ Allerdings brauche es nicht irgendeine, sondern eine gute Schule: „Die Kinder nur zu betreuen, genügt nicht. Ohne eine Qualitätsoffensive geht es nicht.“