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Deutschlehrer im kirgisischen Dorf Rot-Front

„Ich hawe doch jesacht, du sollst Deitsch mit den Kindern reden“. Sechs Jahre war Stephan Münchhoff Deutschlehrer im kirgisischen Dorf Rot-Front, dass 1927 von deutschstämmigen Mennoniten gegründet wurde.

„Ich hawe doch jesacht, du sollst Deitsch mit den Kindern reden“. Dort wo man eine Mutter ihren Gatten derart ermahnen hören kann, steht ein Deutschlehrer im Auslandsschuldienst vor vielfältigen Herausforderungen. Die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) hat nur wenige Stellen in einem Dorf in Kirgisistan zu vergeben. Eine davon besetzte ich sechs Jahre lang von 2002 bis 2008. Das Dorf trägt offiziell den Namen Rot-Front und wurde 1927 von deutschstämmigen Mennoniten als "Bergtal" gegründet. Ihre Vorfahren stammten aus Preußen und zogen vor über 200 Jahren aus religiösen und wirtschaftlichen Gründen über Russland nach Zentralasien.

Eine deutschsprachige Gemeinde in Zentralasien


Heute leben in Rot-Front noch etwa 200 Deutsche und bilden die letzte kompakt siedelnde deutsche Gemeinde in Zentralasien. In der Schule lernen 650 Schüler aus Rot-Front und weiteren Dörfern der Umgebung. Die Unterrichtssprachen sind Kirgisisch und Russisch. Deutsch ist für alle Schüler erste Fremdsprache und wird ab der ersten Klasse unterrichtet. Die ZfA unterstützt seit 1995 den Deutschunterricht in Rot-Front mit Material und entsandten Lehrern. Meine wichtigste Aufgabe sah ich in der qualitativen Verbesserung des Unterrichts von Deutsch als Fremdsprache für alle Schüler der Schule. Aufgrund der Tradition und enger Beziehungen vieler Dorfbewohner nach Deutschland lernen die Schüler Deutsch mit großer Motivation und der Wunsch nach Englisch ist weniger stark ausgeprägt als anderswo.

Deutschunterricht in Rot-Front


An der Schule unterrichteten mit mir zeitweise drei einheimische Deutschlehrerinnen. So konnten wir bereits in der Grundschule mit zwei Wochenstunden Deutschunterricht beginnen. Im Sekundarbereich galt für unsere Schule das einfache Stundenmodell des Fremdsprachenunterrichts in Kirgisistan. Auch mit viel Nachdruck ist es mir in den sechs Jahren meiner Arbeit nicht gelungen planmäßig erweiterten Deutschunterricht einzurichten. Dass nur dieser einer größeren Anzahl von Schülern dauerhaft gute und praktisch anwendbare Sprachkenntnisse vermittelt, bewies mir eine Gruppe, in der ich ab der fünften Klasse außerplanmäßig erweiterten Deutschunterricht erteilte. Die Schüler waren am Ende ihrer Schulzeit in der Lage in etwa auf dem Niveau von B1 mit Muttersprachlern in Kontakt zu treten. Einige konnten sogar zu den DSD-II Prüfungen an anderen Schulen angemeldet werden. Leider ließ sich dieses Modell aus administrativen und personellen Gründen nicht dauerhaft einrichten.

Große Fluktuation von Lehrkräften

Wie alle Schulen Kirgisistans litt auch unsere Schule unter einer großen Fluktuation von Lehrkräften, das betraf auch den Deutschunterricht. Bei einem durchschnittlichen Gehalt von etwa zwanzig Euro sind die Lehrer gezwungen, ihren Lebensunterhalt durch andere Tätigkeiten abzusichern. Meine zweite Aufgabe bestand darin, den deutsch sprechenden Schülern muttersprachlichen Deutschunterricht zu erteilen. Obwohl sie zu Hause einen deutschen Dialekt sprechen und problemlos mit einem Gast aus Deutschland kommunizieren können, sind ihre Kenntnisse der Schriftsprache und auch der modernere Wortschatz eingeschränkt. Denn wie oben angeführtes Zitat vermuten lässt, entfliehen Vater und Sohn bei einem Gespräch über den Einsatz eines Traktors lieber ins Russische, wo sie mit dem technischen Vokabular vertrauter sind. Demzufolge musste ich der Förderung von Lesen und Rechtschreibung einen breiten Raum geben.

Qualifizierung von Deutschlehrern

Eine weitere Aufgabe bestand in der Fortbildung einheimischer Deutschlehrer. Dafür wurde in Absprache zwischen dem Goethe-Institut und der ZfA eine halbe BPLK-Stelle eingerichtet. So führte ich seit 2006 Seminare an sechs Orten in den Regionen Kirgisistans durch. Viele teilweise seit vierzig Jahren arbeitende Deutschlehrerinnen erhielten damit erstmals die Gelegenheit einem deutschen Muttersprachler zu begegnen und regelmäßig an einer fachlichen Fortbildung teilzunehmen. Durch die Zusammenarbeit mit Multiplikatoren gelang es mir das Modell nachhaltig zu installieren. In der Mittelschule Rot-Front konnte ich auf Anregung des Fachberaters und Koordinators für Deutsch, sowie mit finanzieller Unterstützung durch den ehemaligen VW-Vorstandsvorsitzenden Carl H. Hahn im Jahre 2004 an der Schule ein "Zentrum zur Geschichte der Deutschen in Kirgisistan" einrichten. Es erhielt die Aufgabe, zu dokumentieren, wie die ersten Deutschen nach ins Land kamen und wie sie bis heute im Dorf Bergtal / Rot-Front leben. Es bietet Schülern, Lehrern und Interessierten die Möglichkeit, sich von hier aus auf die Suche nach "Deutschen Spuren" in ihrem eigenen Land zu begeben. Die Ergebnisse solcher fächerübergreifenden Projektarbeiten werden hier gesammelt.

Deutsche Spuren in Kirgisistan

Seit 2004 organisierte ich regelmäßig für die besten Deutschlerner aller Schulen des Landes Sommerlager zum Thema "Deutsche Spuren in Kirgisistan". Die Schüler kamen dazu nach Rot-Front, lebten in den Familien und führten Interviews mit Deutschen und anderen Nationalitäten durch und schrieben Geschichten zur Geschichte auf. Die beste Arbeit von Schülern aus Talas und Rot-Front wurde vom Goethe-Institut Almaty ausgezeichnet. Die Schüler erhielten die Möglichkeit, in Schüleraustausch mit einer deutschen Partnerschule zu treten. Sie besuchten im Herbst 2007 Frankfurt a. Main und das hessische Weilburg. Die Weilburger Schüler kamen im Frühjahr 2008 zu uns. In einem anderen Projekt zum selben Thema beschäftigten sich Schüler aus Kirgisistan und Bremen im Sommer 2007 mit dem Schicksal deutscher Kinder, die als Waisen zurückblieben und von kirgisischen Nachbarn aufgenommen wurden, als ihre Eltern in den vierziger Jahren in die stalinschen Lager kamen. Dieses Projekt, das mit einem Besuch bei Zeitzeugen in Deutschland und Kirgisistan verbunden war, wurde von der Stiftung "Erinnerung und Zukunft" finanziert.

Neubau einer Schultoilette

Die Schule in Rot-Front erhält über die Förderung der ZfA hinaus Mittel der Bundesregierung für die deutsche Minderheit. Diese Mittel erlauben es, die Schule auch mit Geräten und Möbeln zur Verbesserung der Bedingungen für den Deutschunterricht auszustatten. Darüber hinaus besuchen das Zentrum zur Geschichte der Deutschen auch Touristen, Journalisten und Dienstreisende aus Deutschland. Einige spendeten Gelder für die weitere Ausstattung der Schule. So erhielten wir von einem Lions-Club Geld für den Neubau einer Schultoilette. Im Laufe der Zeit wurde es immer schwieriger solche Projekte in die Tat umzusetzen, da es zum einen immer weniger qualifizierte Handwerker im Dorf gibt. Zum anderen musste ich mich selbst immer stärker um die Verwaltung der Gelder kümmern, da bei der Schulleitung in Anbetracht der häufigen Unterstützung aus Deutschland die Aufmerksamkeit für die Umsetzung der Projekte nachließ. Die Aufgabenvielfalt führte zu einer Einschränkung meines Privatlebens, das sich in einem kirgisischen Dorf ohnehin nur sehr schwer fern von der allgemeinen Aufmerksamkeit führen lässt. Die zahlreichen Einladungen und Feste mit den Bewohnern sowie Wanderungen und Wintersport im menschenleeren Hochgebirge waren dafür aber ein schöner Ausgleich.