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Deutsches Auslandsschulwesen am Beispiel Türkei

Georg Michael Schopp war sechs Jahre deutscher Schulleiter am Istanbul Lisesi/Istanbuler Gymnasium, dass 1884 von dem aus Thessaloniki stammenden Mathematikprofessor Nadir Bey gegründet wurde.

 

Als deutscher Schulleiter war ich von 2003 bis 2009 am Istanbul Lisesi (Istanbuler Gymnasium) tätig. Diese Schule ist integraler Bestandteil des deutschen Auslandsschulwesens, auch wenn sie in vielerlei Hinsicht nicht dem Bild einer klassischen deutschen Auslandsschule entspricht: Schulträger ist nämlich die türkische Republik, das Istanbul Lisesi ist also insofern ein staatliches türkisches Gymnasium und gleichzeitig deutsche Auslandsschule. Denn es haben nicht nur alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, die deutsche Reifeprüfung (Abitur) abzulegen, es wird auch ein wesentlicher Teil des Unterrichts (gut 2/3 der Stundentafel) von den 35 dort tätigen vermittelten deutschen Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet. Das Lise (Lycée / Gymnasium), welches einfach den anspruchsvollen Namen seiner Heimatstadt trägt, ist mit 127 Jahren eine der ältesten, von der Gründung an nach modernen Erkenntnissen, Richtlinien und Lehrplänen arbeitenden Schulen des Landes. Gegründet wurde die Schule im Jahr 1884 von dem Mathematikprofessor Nadir Bey, der ebenso wie der spätere Staatsgründer der Republik, Mustafa Kemal Atatürk, aus Thessaloniki, der damals modernsten und am weitesten entwickelten Großstadt des Osmanischen Reiches stammte. Wichtigste Fremdsprache an der Schule war in den ersten Jahrzehnten – wie im Osmanischen Reich üblich – natürlich Französisch. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs und damit der sog. deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft wurden bis zu 22 deutsche Lehrer an das damalige Istanbul Sultanisi (Istanbuler Sultansschule) vermittelt, die wie heute auch andere wichtige Fächer in der fremden Sprache unterrichteten. Deutsch blieb dann bis in die zwanziger Jahre die wichtigste Fremdsprache an der Schule. Nach dem Zweiten Weltkrieg wur-den ab Mitte der fünfziger Jahre auf Antrag und Bitten der türkischen Republik erneut deutsche Lehrerinnen und Lehrer nach Istanbul vermittelt, die an der Schule die Deutsche Abteilung konstituierten. Seitdem ist das Istanbul Lisesi ein wesentlicher Pfeiler der deutschen Bildungs- und Kulturarbeit in der Türkei. Zahlreiche Wissenschaftler, Mediziner, Wirtschaftsführer, Journalisten und auch Politiker sind in den vergangenen Jahrzehnten aus dieser Schule hervorgegangen und ganz häufig bereit und in der Lage, als lebendige Brücken zwischen unseren beiden Ländern zu fungieren.

Vielfältiges Angebot

Der Standort Türkei zeichnet sich insgesamt durch eine besondere Vielfalt und Reichhaltigkeit des deutschen Angebots im Schul- und Bildungsbereich aus. Neben dem Istanbul Lisesi gibt es die Deutsche Schule Istanbul (Alman Lisesi), die Ernst-Reuter-Schule in Ankara (Privatschule der deutschen Botschaft) die Grundschule Istanbul (sog. Botschaftsgrundschule), die Deutsche Schule in Izmir und das Lehrerentsendeprogramm an Anadolu-Gymnasien (Anadolu Liseleri). Jede dieser o. g. Schulen steht für eine bestimmte Epoche der deutsch-türkischen Beziehungen und der Entwicklung des Auslandsschulwesens. Die Deutsche Schule Istanbul wurde 1868 von deutschen Handwerkern und Kaufleuten in Konstantinopel zunächst als evangelische Volksschule gegründet. (Aus der katholischen Volksschule entwickelte sich später die Österreichische Schule, die heute ebenfalls eine der wichtigsten fremdsprachlichen Schulen der Stadt ist.) Recht bald wurde aus der bescheidenen Volksschule eine große und renommierte Oberrealschule, die bereits ab Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts als eine der ersten Auslandsschulen im Kaiserreich das Recht verliehen bekam, Reifeprüfungen abzunehmen und Abiturzeugnisse auszustellen. Das hohe wirtschaftliche und politische Interesse des Deutschen Kaiserreichs an einer Stärkung des Osmanischen Reichs als möglicher Bundesgenosse im weltpolitischen Konzert und gleichzeitig Ab-satzmarkt für deutsche Produkte und deutsches Know-how wird in dieser, in der damaligen Zeit besonderen Stellung und Bedeutung der Deutschen Schule quasi symbolisch deutlich. Die Geschichte der deutschen Arbeit am Istanbuler Gymnasium beginnt mit dem Jahr 1914. Die Berufung deutscher Lehrer nach Konstantinopel an das damalige Istanbul Sultanisi steht für die damals viel beschworene deutsch-türkische Waffenbrüderschaft auch im Bildungsbereich, die Schule wird zu Beginn des Weltkriegs im Gebäude der gerade aufgelösten französischen Ordensschule St. Benoit (im 18. Jhdt. gegründete, älteste ausländische Schule in Istanbul, heute immer noch existent) untergebracht. Die Wiederaufnahme der deutschen Arbeit am IL (seit 1930 auf der Spitze des zweiten Hügels von Ostrom im Gebäude der ehemaligen Schuldenverwaltung des Osmanischen Reiches untergebracht) während der fünfziger Jahre, eine direkte Folge des deutsch-türkischen Kulturabkommens von 1957, steht für das außenpolitische Interesse der jungen Bundesrepublik, die in den fünfziger Jahren überall auf dem Globus versucht, alte Beziehungen neu anzuknüpfen, Schulstandorte – so sie denn während des Zweiten Weltkrieges geschlossen werden mussten – wieder zu öffnen. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik war in den fünfziger Jahren gleichbedeutend mit einem hohen finanziellen und personellen Engagement der jungen Bundesrepublik an zahlreichen Aus-andsstandorten. Mitte der 50er Jahre konnte übrigens auch das Alman Lisesi wieder geöffnet werden.

Botschaftsschule, Lehrerentsendeprogramm und Izmir

Die Ernst-Reuter-Schule in Ankara, auch Botschaftsschule genannt, gegründet 1952, steht mit ihrem Namen für eine ganz besondere Epoche in den deutsch-türkischen Beziehungen. Ernst Reuter, nach dem Krieg 1948 erster demokratisch gewählter Bürgermeister von West-berlin, war einer von zahlreichen deutschen Wissenschaftlern gewesen, die ab 1933 einem Ruf in die Türkei gefolgt waren und dort in Istanbul und Ankara maßgeblich am Aufbau eines modernen Universitätswesens mitgewirkt hatten. Der linke Demokrat Ernst Reuter hatte in dieser Zeit an der entstehenden Universität Ankara Stadtentwicklung und Stadtsoziologie gelehrt. So wie er waren zahlreiche aus politischen oder rassischen Gründen verfolgte Wissenschaftler der türkischen Republik immer dankbar, dass sie dort nicht nur überleben, sondern auch wissenschaftlich wirken konnten. Das Lehrerentsendeprogramm an die Anadolu-Schulen wurde nach einigen vorrangegangenen Erprobungen im Jahr 1986 fest installiert und sorgt nun bereits seit 25 Jahren dafür, dass an ca. zehn Anadolu-Schulen in der Türkei Schülerinnen und Schüler verstärkten Deutschunterricht unter Mithilfe und Assistenz entsandter deutscher Lehrerinnen und Lehrer erhalten. Entstanden ist das Anadolu-Programm im Zusammenhang mit den Maßnahmen, die den Familien ehemaliger türkischer „Gastarbeiter“ eine Rückkehr in ihre Heimat ermöglichen und erleichtern sollten. Auch das beschreibt eine besondere Etappe in den deutsch-türkischen Beziehungen in den letzten Jahrzehnten. Heute wissen wir, dass die Rückkehrerprogramme, die in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder aufgelegt worden sind, nicht unbedingt erfolgreich waren. Denn es wurden von solchen Maßnahmen vor allem Familien gefördert und zur Rückkehr in die Türkei angeregt, die schon in Deutschland auf eine gute Schulbildung ihrer Kinder Wert gelegt hatten, die sozial anerkannt und häufig gut integriert waren, die keine größeren ökonomischen oder sozialen Schwierigkeiten hatten. – Die Gründung der deutschen Schule Izmir im Jahre 2008 steht symbolisch für die zunehmende Bedeutung der deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen in der Gegenwart. Mehrere Tausend deutsche Unternehmungen – von Großkonzernen bis zu kleineren mittelständischen Betrieben – haben inzwischen intensive wirtschaftliche Kon-takte und auch eigene Standorte in der Türkei. Das bedeutet natürlich, dass auch außerhalb von Istanbul und Ankara das Bedürfnis nach einer deutschen Schule entsteht.

Sonderstellung und besondere Leistung

Trotz dieser Entwicklungsperspektiven kommt natürlich den beiden großen Schulen, dem Alman Lisesi (Deutsche Schule Istanbul) und dem Istanbul Lisesi (Istanbuler Gymnasium) nach wie vor eine besondere Rolle zu. Das Alman Lisesi wird von ca. 800 (überwiegend türkischen) Schülerinnen und Schülern besucht; auf das Istanbul Lises gehen ca. 900 (fast ausschließlich türkische) Schülerinnen und Schüler. Das Besondere ist, dass jeweils nahezu 100 % eines Jahrgangs die Schule mit einem deutschen Zeugnis verlassen kann, entweder dem Reifezeugnis (Abitur) oder zumindest dem Deutschen Sprachdiplom II der KMK. Das ist insofern eine ganz besondere Herausforderung für alle Beteiligten – die Schülerinnen und Schüler ebenso wie die Lehrkräfte –, als den türkischen Schülern erst nach Abschluss der obligatorischen achtjährigen Grundschule gestattet ist, eine fremdsprachige Schule, eine Auslandsschule zu besuchen. An den beiden deutschen Schulen muss daher nach der Grundschule zunächst einmal das achte Schuljahr in einer sog. Vorbereitungsklasse (Hazırlık) quasi wiederholt werden; oberstes Ziel in dieser Klasse ist „lediglich“, dass die bereits 14 Jahre alten Jungen und Mädchen bis zum Ende dieses Jahres soviel Deutsch lernen, dass sie in den kommenden vier Jahren, im neunten bis zwölften Schuljahr, dem Unterricht in Deutsch, Mathematik, sämtlichen Naturwissenschaften in der für sie fremden Sprache Deutsch folgen können. Das schließt natürlich bis zum Abitur auch ein, dass Leistungserhebungen in diesen Fächern ausschließlich in Deutsch stattfinden, im Fach Englisch natürlich in der Zielsprache Englisch – alles aber bei deutschen Lehrkräften. An beiden Schulen zusammen verlassen pro Jahr auf diese Art und Weise ca. 280 bis 300 Absolventinnen und Absolventen die Schule, gut 200 von diesen haben zuvor die Reifeprü-fung bestanden und sind danach berechtig wie alle Absolventen deutscher Gymnasien mit diesem Zeugnis in Deutschland oder in anderen Ländern, in denen das Abiturzeugnis anerkannt ist, sofort zu studieren. Im Auslandsschulwesen stellt das eine Besonderheit, eine Ausnahme dar: In den Jahren 2008 und 2009 haben allein an diesen beiden Schulen am Standort Istanbul ungefähr so viele Abiturientinnen und Abiturienten die Schule verlassen wie an allen acht großen deutschen Auslandsschulen auf dem afrikanischen Kontinent (von Alexandria und Kairo bis nach Windhoek und Kapstadt). Das schmälert keineswegs die Leistungen der anderen, hebt aber gleichwohl die besonderen Leistungen, die die Schulen in Istanbul in der kurzen Schulzeit von nicht einmal fünf Jahren vollbringen, heraus. Auch sonst leisten die Schulen im Rahmen des deutschen Auslandsschulwesens Außerordentliches. Hier kann nur angedeutet werden in welch vielfältiger Art und Weise Kontakte nach Deutschland und zu deutschen Institutionen geknüpft werden, was unseren Schülerin-nen und Schülern in Istanbul ein sehr differenziertes, modernes und aktuelles Deutschlandbild vermitteln kann. Schüleraustauschmaßnahmen mit deutschen und deutschsprachigen Schulen sind selbstverständlich; zunehmend wird versucht, aus diesem Austausch projekt-orientierte Kooperation werden zu lassen. Die regelmäßige Begegnung mit deutschen Künstlern, Sportlern, Politikern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist ebenfalls selbst-verständlicher Bestandteil des Schullebens. Deutschsprachige Theatergruppen oder Musikensembles gestalten das Schuljahr mit; Teilnahme an deutschsprachigen Wettbewerben wie Känguru der Mathematik, Jugend musiziert oder Jugend forscht geben den vorhandenen Talenten eine besondere Möglichkeit sich zusätzlich zu bewähren. Bereits seit einigen Jahren ist das Istanbul Lisesi die deutsche Schule, die beim Känguru der Mathematik den höchsten Anteil an Preisträgern von allen teilnehmenden deutschen Schulen im In- und Aus-land aufweist. Seit 2007 ist das Istanbul Lisesi die erste Auslandsschule, die die Kriterien der Mitgliedschaft für das von der deutschen Wirtschaft und Wissenschaft unterstützte Netzwerk mint-ec erfüllt und sich aktiv an den Programmen zur Gewinnung qualifizierten Nachwuch-ses für die MINT-Studienfächer beteiligt. Unter diesen Bedingungen hat in den vergangenen Jahren das Interesse am Studium in Deutschland zugenommen; und das, obgleich die finan-zielle Situation nicht allen Familien erlaubt, ein Auslandsstudium zu tragen und überdies die Visaformalitäten vor einer Einreise nach Deutschland auch bei hochqualifizierten jungen Nachwuchswissenschaftlern sehr abschreckend wirken.

Position im türkischen Bildungswesen

Das Istanbul Lisesi und das Alman Lisesi prägen nicht nur Gestaltung und Entwicklung des deutschen Auslandsschulwesens nachhaltig mit. Auch innerhalb des türkischen Bildungswesens nehmen beide einen hohen Rang ein. Die äußerst hohe Akzeptanz im informellen nationalen Ranking von Schulen hat vor allen Dingen etwas mit dem guten bis herausragenden Abschneiden der Absolventen bei der nationalen Hochschulzugangsprüfung in der Türkei zu tun. Diese Hochschulzugangsprüfung besteht aus einer reinen Multiple-Choice-Abfrage, die in kurzer Zeit „richtige Antworten“ zu komplizierten und komplexen Fragen der türkischen Geschichte und Literatur, der Geografie und Sozialwissenschaften, der Mathematik und aller Naturwissenschaften erfordert (übrigens ohne jegliche Fragen zu Kenntnissen in Fremdsprachen). Mit einem sehr guten bis hervorragenden Abschneiden bei der nationalen Hochschulzugangsprüfung gelingt es zahlreichen Studenten, an den besten Hochschulen des Landes zu studieren. Dazu kommt eine erfolgreiche Teilnahme von Schülerinnen und Schülern an nationalen sprachlichen und künstlerischen Wettbewerben oder auch der türkischen Variante von Jugend forscht (TÜBITAK). Dass sich zahlreiche erfolgreiche Absolventen des Istanbul Lisesi in allen wesentlichen Bereichen von Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik als einflussreiche Persönlichkeiten wieder finden, mag da nicht mehr verwundern. Besondere Leistungen erfordern natürlich auch besondere Anstrengungen. Die Bundesrepublik Deutschland hat so in den Jahren von 2006 bis 2009 durchschnittlich 6,5 Millionen Euro aufgewandt, um die schulische Arbeit am Standort Türkei angemessen zu unterstützen. Ganz wesentlich setzen sich diese Kosten zusammen aus den Personalkosten für die ver-mittelten deutschen Lehrkräfte (ADLK und BPLK) sowie aus den Schulbeihilfen für die privaten Schulen, Bürokostenzuschüssen für die staatlichen. So waren z. B. an den drei deut-schen Auslandsschulen in Ankara und Istanbul im Jahr 2008 insgesamt 46 ADLK und 20 BPLK beschäftig; die allermeisten von diesen an den beiden Standorten in Istanbul. Als ent-sandte Lehrkräfte im Rahmen des Anadolu Programms haben an den verschiedenen Stand-orten in der Türkei (Istanbul, Ankara, Izmir, Antalya, Adana) zwei ADLK und 25 Programm-lehrkräfte unterrichtet; unterstützt und abgesichert wird diese Arbeit durch zwei Fachberater in Ankara, von denen einer direkt beim türkischen Erziehungsministerium angesiedelt ist. Das Erlernen der deutschen Sprache innerhalb kürzerster Zeit wird im Übrigen am Istanbul Lisesi wesentlich mitgetragen von den türkischen Deutschlehrerinnen und -lehrern, die als Beamte bzw. Angestellte der türkischen Republik dort tätig sind.

Gründe des Engagements

Für die Aufrechterhaltung dieses deutlichen personellen und finanziellen Engagements der Bundesrepublik Deutschland am Standort Türkei sprechen nicht nur die Absolventenzahlen der beiden großen Schulen. Die Schulen erreichen zunächst einmal mit ihrer Arbeit mehrere Tausend Familien jährlich; diese Familien und ihre Angehörigen werden kontinuierlich im Sinne der deutschen Bildungs- und Kulturarbeit angesprochen. Die knapp 300 Absolventen allein der beider großen Schulen pro Jahr fördern die starke Verbundenheit mit Deutschland sowie die Gewinnung neuer Freunde für die – in der Türkei – recht große Gemeinschaft der deutsch Sprechenden. Auch in Zeiten der Globalisierung und der vermeintlichen „Anglisierung“ aller internationalen Beziehungen ist die Stärkung der Verbundenheit mit Deutschland und dem deutschen Sprachraum von traditionell deutsch orientierten oder neu gewonnenen Familien ein großes Plus im Wirtschaftsleben. Ebenso ist die Nachhaltigkeit der schulischen Arbeit – und Nachhaltigkeit wird bei allen Initiativen im nationalen und internationalen Rahmen immer stärker eingefordert – einer der wesentlichen Gründe für die Aufrechterhaltung und sogar Erhöhung der Förderung der deutschen Arbeit in der Türkei. Die Schule eröffnet immer wieder die Möglichkeit, junge Menschen anzusprechen, durch Qualität zu überzeugen und auf Dauer zu gewinnen. Absolventen deutscher Auslandsschulen, und das gilt in ganz besonderem Maße für die Schulen in der Türkei, arbeiten später sehr oft in wichtigen Bereichen der Gesellschaft; sie sind Partner für deutsche Unternehmen wie für öffentliche Institutionen. Absolventen des Istanbul Lisesi sind vorwiegend in Wirtschaft und Wissenschaft in herausgehobener Stelle tätig. Der Rektor der berühmten Istanbul Universität ist Absolvent der Schule, ebenso zahlreiche Dekane und Rektoren anderer Universitäten des Landes. In mehreren großen Unternehmen in der Türkei sind Absolventen des Istanbul Lisesi im Spitzenmanagement oder auf der mittleren Ebene tätig (z. B. Mercedes Benz, Siemens, Bosch, Eren-Holding). Dieses Phänomen ist auch in Deutschland zu beobachten; so ist z. B. die Leitung der von der türkischen Gesellschaft ARCELIK vor einem kompletten Untergang geretteten Firma Grundig in Nürnberg in der Spitze nur mit Absolventen des Istanbul Lisesi besetzt. Etwas untypisch ist, da das IL im Wesentlichen Kemalisten wie den früheren Ministerpräsidenten Mesut Yılmaz als Politiker hervorbringt, dass der gegenwärtige Außenminister Prof. Dr. Ahmet Davutoğlu ebenso Absolvent ist. Nicht zuletzt sind die Ehemaligen vor allem der großen Schulen bereit und in der Lage durch Sponsoring und vielfältige materielle wie ideelle Unterstützung die Entwicklung „ihrer“ Schule zu sichern. Insbesondere auf dem politischen Feld sind es im Wesentlichen einflussreiche ehemalige Schülerinnen und Schüler, die mithelfen, Regelungen und Bestimmungen für das türkische Bildungssystem den Bedürfnissen einer deutschen Auslandsschule zumindest anzupassen.

Erfolge und Wünsche

Wenn ich auf die sechs Jahre meiner Arbeit am Istanbul Lisesi zurückblicke, ergibt sich ein differenziertes Bild. Neben Fortschritten und Erfolgen bleiben natürlich auch Entwicklungsnotwenigkeiten und -wünsche. Zu den Erfolgen zähle ich, dass es z. B. gelungen ist, am Istanbuler Gymnasium die Beteiligung am Abitur auf hohem Niveau zu stabilisieren – trotz der definitiven Verkürzung der Schulzeit am Gymnasium von acht auf fünf Jahren nach 2004. Das ist und war keineswegs selbstverständlich, denn zum einen stellen die Vorbereitungen auf die Abiturprüfung in weniger als fünf Jahren eine gewaltige Herausforderung für die Schülerinnen und Schüler wie ihre Lehrkräfte dar und zum anderen berechtigt selbst ein hervorragendes deutsches Abitur immer noch nicht zum Studium an einer türkischen Universi-tät. Dass es in den zwischenstaatlichen Verhandlungen und Vereinbarungen über die Gründung einer deutsch-türkischen Hochschule in Istanbul nicht gelungen ist, den direkten Zugang unserer Abiturientinnen und Abiturienten zu dieser neuen Universität zu ermöglichen, halte ich für einen wesentlichen Makel dieser Vereinbarungen. Hier hat die deutsche Seite sich meines Erachtens nicht in ausreichendem Maße engagiert, zumal angenommen werden muss, dass unter den obwaltenden Bedingungen in der Türkei eine Universität nur dann im nationalen Ranking ganz oben stehen kann, wenn es ihr gelingt, die besten Köpfe des Landes für ein Studium, für sich zu gewinnen. Auch die intelligenten Absolventen des Istanbuler Gymnasiums und der Deutschen Schule wären froh gewesen, wenn es ihnen künftig möglich wäre, ohne die Doppelbelastung Abiturprüfung und Hochschulzugangsprüfung zumindest an der deutsch-türkischen Hochschule direkten Zutritt zu erlangen. Ein großer Erfolg der gemeinsamen Anstrengungen von ZfA, Botschaft Ankara und dem Istanbul Lisesi war mit Sicherheit auch der Abschluss eines neuen Personalstatuts für den Einsatz deutscher Lehrkräfte am Istanbul Lisesi. Nach (nur!) fünfjährigen Verhandlungen wurde das neue Personalstatut im Jahr 2009 unterzeichnet und konnte damit das alte aus dem Jahr 1986 ablösen. Unter anderem sind jetzt verbindlich die deutschen Schulziele (Abitur und deutsches Sprachdiplom) festgeschrieben. Das ist ein wesentlicher Paradigmenwechsel, denn zuvor lag es allein im Belieben der türkischen Seite, einen Unterricht, der auf die Reifeprüfung vorbereitete, zu unterstützen oder eben nicht. Im Gegensatz zu dieser Stärkung der deutschen Abschlüsse und damit der deutschen Arbeit am Istanbuler Gymnasium sehe ich nach wie vor die großen Schwierigkeiten, die der Bildungsstandort Deutschland (wie es immer so schön in den Werbebroschüren heißt) durch eine nach wie vor sehr restriktive Handhabung von Visaregelungen und Ausländerrecht den Absolventen dieser türkischen Eliteschulen bereitet. Wenn – wie es immer wieder vorgekommen ist – selbst für eine zwei- oder dreiwöchige Austauschmaßnahme von Schülerinnen und Schülern, die ja schließlich als Freunde Deutschlands gewonnen werden sollen, das gesamte „Visaprogramm“ abgewickelt wird, wie es auch die „verkaufte Braut“ aus dem Inneren Anatoliens zu absolvieren hat, dann ist das schlichtweg nicht vermittelbar. Selbst für die Reisen zu den ersten Seminaren für Schülerinnen und Schülern im Rahmen des Netzwerks mint-ec, die zumeist nur 3 bis 5 Tage dauern, mussten zunächst restriktive Auslegungen der Bestimmungen mit dem Generalkonsulat diskutiert werden. Schließlich stand aber und steht der Teilnahme von jungen Leuten aus der Türkei an dieser herausfordernden internationalen Arbeit nichts mehr im Wege. Im Herbst 2009 konnte schließlich das erste offizielle mint-ec Seminar, wesentlich mitgesponsert von Mercedes-Benz Türkei, in Istanbul stattfinden.

Rückblick und Ausblick

Zurückblickend sehe ich also natürlich Licht und Schatten, im Wesentlichen aber doch viel Bewegung, einige Fortschritte, von denen man zuvor kaum geträumt hätte – andererseits aber auch Felder, die noch nach Gestaltung rufen. Ganz wichtig ist, sich dabei auch künftig in einem engen und vertrauensvollen Netzwerk mit allen beteiligten Stellen zu bewegen; nach meinen Erfahrungen war die Zentralstelle im BVA immer ansprechbar ebenso wie die Auslandsvertretungen und die KMK mit dem BLASchA. Wesentliche Einschränkungen und Erschwernisse der Arbeit wie z. B. eine völlig unmotivierte Änderung der Stundentafel vonseiten des türkischen Erziehungsministeriums im Jahr 2005, die den Unterricht in Englisch so weit reduziert hätte, dass an ein Abitur nicht mehr zu denken gewesen wäre, konnten mit vereinten Anstrengungen so in relativ kurzer Zeit verhindert werden. Und natürlich sind Verbündete auf der türkischen Seite immer notwendig gewesen; hier ist vor allem die Erziehungsstiftung der Ehemaligen des Istanbul Lisesi (IELEV) zu nennen, die unter der damaligen Leitung immer ein offenes Ohr für Sorgen, Wünsche und Anliegen der Deutschen Abteilung hatte. Zuschüsse zu Abiturfeiern, zu Deutschlandreisen nicht so begü-terter Schüler, für Einrichtungsgegenstände etc. – in allen Feldern halt, in denen von der türkischen Seite nichts zu erwarten war und für die die deutsche Seite sich nicht zuständig fühlte – hat die Erziehungsstiftung immer unkompliziert und unbürokratisch gewährt. Im Jahr 2007 konnte ein großes Symposium zur Zukunft der deutschsprachigen Bildung in der Türkei gemeinsam mit der Stiftung in der Schule veranstaltet werden. Nicht zuletzt kannten die Ehemaligen diese Schule aus eigenem Erleben und wussten, wovon sie sprachen, wenn sie bei offiziellen Stellen in Ankara oder Istanbul die Interessen „ihrer“ Schule und damit der deutschen Bildungs- und Erziehungsarbeit vertraten. Ich halte es für ein großes Unglück, dass die Erziehungsstiftung in den vergangenen Monaten aufgrund interner Auseinandersetzungen diese Rolle nicht mehr spielen konnte, und hoffe sehr auf eine erneute Konsolidierung unter dem neuen Vorstand.
Letztlich hat aber das Istanbuler Gymnasium schon manche Stürme in der Vergangenheit überstanden, sodass Anlass zur Hoffnung bleibt. In Istanbul habe ich oft gesagt, dass die einzigen wirklich Zweisprachigen an unserer Schule die Schülerinnen und Schüler sind; und die Einzigen, die diese komplizierte Anhäufung mitunter völlig gegensätzlicher deutscher und türkischer Anforderungen und Ziele aushalten können, sind ebenfalls die Jungen und Mädchen. Solange die sich dieser Mühe – wenn auch mitunter murrend – weiterhin freiwillig un-terziehen, hat das Istanbuler Gymnasium eine Zukunft. Und solange die Ehemaligen bereit sind, dafür einzustehen, dass immer wieder junge Leute ihnen nachfolgen können, hat die Schule ebenfalls Zukunft. In Zeiten der Globalisierung wäre es jedenfalls mehr als kontraproduktiv, Lernorte der internationalen Beziehungen, der interkulturellen Begegnung wie diesen, wie den Standort Türkei aus politischen oder finanziellen Erwägungen einfach kampflos aufzugeben. Tunesien und Ägypten zeigen gerade nachdrücklich, von welcher Bedeutung ein Engagement in der Türkei und für die Türkei sein kann.