Fachkräftemangel in der Bildung
Der Optimismus schwindet
In der Sozialarbeit ist der Fachkräftemangel riesig. Das Beispiel eines Jugendclubs in Hamburg zeigt: Die Arbeitsbedingungen werden immer prekärer.
Früher gab es im Jugendclub Burgwedel im Norden Hamburgs drei volle Planstellen. Seit ein paar Jahren sind es noch zwei volle und eine 31-Stunden-Stelle – theoretisch. Praktisch sieht es gerade so aus, dass die momentan einzige Kollegin von Projektleiter Mark-Oliver Fischer aufgrund einer Knieverletzung für längere Zeit ausfällt. Und die Teilzeitstelle ist seit Mai ausgeschrieben, doch niemand bewirbt sich. „So etwas habe ich in meinen gut 20 Jahren hier noch nicht erlebt“, sagt Fischer. „Wir waren nie auf Rosen gebettet, was die Anzahl der Bewerbungen angeht, aber zwei oder drei gab es immer. Dass sich da jetzt schon seit Monaten überhaupt nichts tut, macht mir große Sorgen.“
An diesem Tag hat auch noch die Honorarkraft kurzfristig abgesagt, die für den Tresen eingeteilt war: Wenn gleich die ersten Jugendlichen eintreffen, muss der 48-Jährige den Laden komplett allein wuppen. „Fachlich ist das eigentlich ein No-Go, was ich hier mache“, meint er. „Auch im Sinne des Jugendschutzes sollten immer zwei Mitarbeitende im offenen Bereich da sein. Die Situation wird immer prekärer, wir müssen immer mehr von unseren eigenen Standards abweichen.“ Während er das sagt, gibt er einem Handwerker Anweisungen, der gerade den schon vor Monaten bestellten Billardtisch aufstellt.
„Wir können den Jugendlichen hier nicht mehr das anbieten, was wir eigentlich sollten, wollen und auch müssten.“ (Mark-Oliver Fischer)
Das mitgebrachte Mittagessen muss weiter warten, dafür ist keine Zeit. Ein für den Nachmittag geplantes Vorbereitungstreffen für das erste Stadtteilfest seit Beginn der Pandemie, für die Jugendlichen im Kiez ein wichtiges Event, muss ohne ihn stattfinden. Gestrichen sind außerdem die für den nächsten Tag vorgesehene Halloween-Party sowie der Besuch einer Schulklasse, die sich im Jugendclub umsehen wollte. Für solche Dinge gibt es derzeit keine Kapazitäten.
„Das tut mir wirklich weh, das muss ich gestehen“, meint Fischer, der vor einigen Jahren als Erzieher in die Projektleitung gerutscht ist, weil es schon damals keine Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen gab. „Wir können den Jugendlichen hier nicht mehr das anbieten, was wir eigentlich sollten, wollen und auch müssten.“ Es brauche schon viel Idealismus, um den Job unter diesen Bedingungen zu machen: „Dauerhaft ist das so nicht möglich.“ Dass er die anfallenden Verwaltungs- und Dokumentationsarbeiten nicht mehr im geforderten Umfang leisten kann, findet er da noch am ehesten verkraftbar.
Was ihm wirklich zu schaffen macht, ist die Tatsache, dass er wegen der knappen Personallage an manchen Tagen den Club schon nicht mehr öffnen kann. „Mich bringt so schnell nichts mehr aus der Fassung, aber inzwischen habe ich manchmal schlaflose Nächte und frage mich, wie wir das morgen wieder schaffen sollen.“
Sozialarbeit wird häufig vergessen
Auch in anderen Einrichtungen des freien Trägers „Verband Kinder- und Jugendarbeit Hamburg“, zu dem der Jugendclub gehört, gibt es schon seit längerem freie Stellen, die sich nicht besetzen lassen. Und das ist bei weitem nicht die Ausnahme: Laut eines aktuellen Berichts des Instituts der Deutschen Wirtschaft belegt unter den Berufen mit den größten Fachkräftelücken die Berufsgruppe der Sozialarbeit und Sozialpädagogik den traurigen Spitzenplatz. Im Jahresdurchschnitt 2021/22 gab es demnach für die bundesweit knapp 26.500 offenen Stellen in diesem Bereich für fast 20.600 keine passend qualifizierten Bewerberinnen oder Bewerber. „So groß war der Mangel nie zuvor“, heißt es in dem Bericht.
„Wenn das Personaltableau nicht stimmt und die Stellen dann auch noch schlecht bezahlt und befristet sind, lassen sich keine passgenauen pädagogischen Angebote entwickeln.“ (Doreen Siebernik)
In der gesellschaftlichen und politischen Diskussion sei die Sozialarbeit leider ein häufig vergessenes Feld, kritisiert Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied Jugendhilfe und Sozialarbeit. „Dabei ist es für Kinder und Jugendliche enorm wichtig, dass sie auch außerhalb der Familie und Schule Orte haben, an denen sie Mitspracherechte ausüben, Demokratie lernen, gemeinsam kreativ werden und mit Gleichaltrigen aktiv sein können.“ Gerade in diesem Bereich brauche es Personalkontinuität und langjährige Zusammenarbeit, um das Vertrauen der Jugendlichen zu gewinnen.
„Wie immer hängt es an der Finanzierung“, macht Siebernik die Ursache der Misere deutlich. „Wenn das Personaltableau nicht stimmt und die Stellen dann auch noch schlecht bezahlt und befristet sind, lassen sich keine passgenauen pädagogischen Angebote entwickeln.“ Wie alle sozialen Berufe müsse auch die Sozialarbeit dringend aufgewertet werden: „Und das funktioniert nur mit einer angemessenen Entlohnung und gesellschaftlicher Anerkennung.“
Die Belastung ist enorm
Im Jugendclub Burgwedel ist an diesem Nachmittag Omid Efmaili einer der ersten Gäste. Der 21-Jährige ist vor sieben Jahren aus Afghanistan geflüchtet und nur noch unregelmäßig zu Besuch, weil er nach seiner Ausbildung zum Sozialpädagogischen Assistenten inzwischen berufstätig ist. Der Club sei für ihn von Anfang an eine wichtige Anlaufstelle gewesen, erzählt er. „Menschen brauchen Beschäftigung und soziale Kontakte. Das gilt besonders für geflüchtete Jugendliche, die hier oft keine Familie haben.“ Fischer und sein Team hätten ihm geholfen, Fuß zu fassen und den richtigen Weg zu finden.
„Und dabei ist die Bezahlung so schlecht, dass ich noch nicht einmal meinen Lebensunterhalt davon bestreiten kann.“ (Omid Efmaili)
Zugleich ist Efmaili ein gutes Beispiel dafür, woran es in vielen Bereichen hapert, wenn vom Fachkräftemangel die Rede ist. Seit acht Monaten ist er als Springer in verschiedenen Kitas im Einsatz – immer da, „wo der Mangel am größten ist“, wie er sagt. Schon jetzt seien Druck und Belastung so groß, dass er es nicht mehr aushalte und sich umorientieren wolle. „Und dabei ist die Bezahlung so schlecht, dass ich noch nicht einmal meinen Lebensunterhalt davon bestreiten kann.“ Zumindest will er nun in einen Beruf wechseln, in dem Nachwuchskräfte wie er genauso dringend benötigt werden: in die Altenpflege.
„Momentan reißen wir alles ein, was wir über Jahre aufgebaut haben.“
Unterdessen hofft Projektleiter Fischer, dass seine Kollegin bald wieder gesund ist und sich für die offene Stelle doch noch eine qualifizierte Kraft findet. Mit Blick auf die fehlenden Fachkräfte in der Jugendsozialarbeit meint er: „Eigentlich ist es ganz einfach – wir brauchen mehr Geld.“ Sein Optimismus, dass sich die Strukturen grundsätzlich zum Positiven verändern könnten, war allerdings schon einmal größer. „Momentan reißen wir alles ein, was wir über Jahre aufgebaut haben“, stellt er nüchtern fest. „Dabei ist es so wichtig, Zeit mit den Jugendlichen zu haben, damit diese sich und ihren Platz in der Gesellschaft finden können.