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Sportunterricht - was muss sich ändern?

Der Lack ist ab

Defekte Lüftungen, Lecks im Becken und über all dem der Mief von Jahrzehnten – viele Schwimm- und Sporthallen in Deutschland sind in einem miserablen Zustand. Eine Reportage aus Nordrhein-Westfalen (NRW).

Man kennt den Trick aus dem Gebrauchtwagenhandel: Frischer Lack, dick aufgetragen, macht jede Schrottlaube zur Luxuskarosse – jedenfalls so lange, bis man die Tür öffnet und die durchgerosteten Bodenbleche sieht. Ähnlich ist der Ablauf hier, auf dem Gelände der Integrierten Gesamtschule (IGS) Paffrath, die auf den ersten Blick einen hervorragenden Eindruck macht, wie sie da blitzeblank in der Frühlingssonne glänzt. Dass an diesem ersten Eindruck etwas nicht stimmen könnte, wird allerdings klar, sobald man sich der Eingangstür nähert: „Kein Trinkwasser!“, steht da auf rechteckigen Aufklebern, die auf alle Fenster geklebt sind. Kein Trinkwasser?

„Von außen sieht sie gut aus, unsere Schule. Aber innen ist leider alles marode.“ (Angelika Wollny)

„Tja, von außen sieht sie gut aus, unsere Schule“, sagt Direktorin Angelika Wollny, die einem nun gut gelaunt in ihrem Büro gegenübersitzt. „Aber innen ist leider alles marode.“ Das überrascht, schließlich ist die IGS eine Art Vorzeige-Gesamtschule der etwas mehr als 100.000 Einwohner zählenden Stadt Bergisch Gladbach (NRW). Die Abschlüsse in der IGS fallen gut aus, Jahr für Jahr muss Wollny Schülerinnen und Schüler ablehnen – die Schule platzt schon jetzt aus allen Nähten.

Sie leitet die IGS schon viele Jahre. Seit ihrem ersten Arbeitstag, berichtet Wollny, komme braunes Wasser aus den Leitungen. „Nach dem Wochenende müssen wir eine halbe Stunde lang das Wasser laufen lassen, bis es allmählich klar wird.“ Im vergangenen Dezember brach dann alles zusammen. „Seither sind wir ganz ohne Trinkwasser.“ 40 Prozent der Schülertoiletten sind jetzt geschlossen, die für die Einrichtung so wichtige Lehrküche sowieso. Schwer gebeutelt ist auch die riesige Turnhalle. Dort riss ein Rohr, fatalerweise das für das Abwasser. Doch auch dieses wurde nur notdürftig geflickt. „Die komplette Haustechnik ist völlig marode, das wurde aber über Jahre ignoriert. Wie alles, was hier im Argen liegt.“

„Egal, in welche Stadt sie gehen, egal, in welche Schulform. Alles ist runtergekommen, natürlich auch die Sporthallen und Schwimmbäder.“

Wollny bittet nun in die Turnhalle. Und auch in der fallen die Mängel nicht sofort ins Auge: Die riesige Sportfläche wirkt neu gestaltet, die Tribünensitze sind in ordentlichem Zustand. Doch dann lenkt die Schulleiterin den Blick auf die dicken roten und blauen Lüftungsrohre an der Hallendecke: „Hübsch, nicht?“, fragt sie. „Nur dass die seit dem Baubeginn vor 30 Jahren noch nicht einen Tag funktioniert haben.“ Ein Schiebedach gibt es in der Riesenhalle nicht. Gelüftet werden solle deswegen, so der Rat der städtischen Experten, auf eher klassische Art und Weise. „Schauen Sie da hinten, die kleine Tür? Die sollen wir aufmachen. Und die auf der anderen Seite auch.“ Wollny muss lachen. „Das bringt natürlich gar nichts, wenn im Hochsommer in der Halle Temperaturen von bis zu 40 Grad Celsius herrschen.“

Dann führt sie den Gast noch in die Katakomben des riesigen Hallenkomplexes. Das ist dramaturgisch geschickt. Denn dass die Duschen und Umkleidekabinen in einem beklagenswerten Zustand sind, ist diesmal nun wirklich auf den ersten Blick zu erkennen: die Wände vollgeschmiert, der weiße Putz abgeblättert. Dazu ein übler Geruch, der seit Jahrzehnten in den dunklen engen Räumen überlebt zu haben scheint. Wollny zuckt die Schultern. „Na, habe ich zu viel versprochen?“ Dann wird sie ernst. „Egal, in welche Stadt sie gehen, egal, in welche Schulform. Alles ist runtergekommen, natürlich auch die Sporthallen und Schwimmbäder. Wobei: Beim Schwimmen haben zumindest wir Glück.“

Schwimmbäder fehlen

So ist es, denn nur 200 Meter neben der Schulumzäunung steht das moderne Paffrather Kombibad. Dorthin können die 1.300 Schülerinnen und Schüler zum Schwimmunterricht, ohne lange Anfahrten mit dem Bus, die vielerorts dafür sorgen, dass der Schwimmunterricht ganz ausfällt. „Wir können einfach kurz rübergehen und die Zeit effektiv nutzen“, sagt Irmgard Broeckmann, die an der IGS Schwimmen unterrichtet. Und das freiwillig, zusätzlich zum Teilzeit-Deputat, wie Wollny erläutert: „Sie wollte einfach nicht hinnehmen, dass es in Klasse 6 noch Kinder gibt, die nicht mal das Seepferdchen schaffen würden.“

Dabei gehe jedes Kind gerne ins Wasser, davon ist Broeckmann überzeugt. „Und wenn man ihnen erst mal die Angst vorm Schwimmen genommen hat, ist das hier der wichtigste Termin der Woche für sie.“ Allerdings müsse man früh genug anfangen. „In der Pubertät ist es zu spät“, sagt sie. Sie wisse aber auch, wie privilegiert sie hier in Paffrath mit der Schwimmhalle in unmittelbarer Nachbarschaft seien. Broeckmann nennt das die „Wasserfrage“: „Ist überhaupt ein Bad erreichbar, damit die Kinder – elternunabhängig – schwimmen lernen können?“

Doch genau dies sei das Problem in Bergisch Gladbach, wo den meisten anderen Schulen nur das über 100 Jahre alte Hans-Zanders-Bad zur Verfügung steht, das allein für den Schulsport geöffnet wird. Es müsse aber immer wieder schließen, weil sich mal wieder irgendwo ein Leck aufgetan habe, sagt Wollny. Im Stadtteil Refrath wurde das alte Schwimmbad hingegen gerade abgerissen. Dass der Neubau wie geplant 2025 über die Bühne geht, glaubt hier niemand.

Milliardenschwerer Sanierungsbedarf

Auch in der 100.000-Einwohner-Stadt Siegen soll das traditionsreiche Stadtbad Weidenau schon bald einem Neubau weichen. Die ältere Dame, die gerade ihre Bahnen gezogen hat, gibt allerdings zu Protokoll, dass sie die Umsetzung „wohl nicht mehr erleben“ werde. Noch jedenfalls ist das Bad in alter, sehr alter Pracht geöffnet – oder auch nicht. „Kassenschluss 16 Uhr“, sagt die freundliche Kassiererin. Tags darauf, an einem Mittwoch, ist das Bad ganz geschlossen.

Immerhin bleiben in Siegen dann noch zwei andere Bäder, die mit jeweils mehrstündiger Unterbrechung tagsüber geöffnet sind: Auch im unweit des Bahnhofs gelegenen Bad am Löhrturm ist die Zeit stehengeblieben: In den Duschen sind die Kacheln ockergelb und braun, an den Innenseiten der Fenster ist der Lack großflächig abgeblättert. Man kann das alles mögen, liebenswert nostalgisch finden. Überhaupt kann man hier im Bad auch ganz einfach ein, zwei Kilometer schwimmen gehen, es ist sauber und hygienisch, die 3,50 Euro Eintritt fair kalkuliert. Doch in die Instagram-Welt vieler Jugendlicher passen Bäder wie das am Löhrturm eher nicht mehr. Ob man das nun ein stichhaltiges Argument findet oder nicht.

Technische Mängel

Die Bäder in Siegen und Bergisch Gladbach, die so marode sind, dass nur der Abriss bleibt, sind in Deutschland nicht die Ausnahme. Die „Bäder-Allianz Deutschland“, ein Zusammenschluss von Schwimm- und Bäderverbänden, beziffert den Sanierungsbedarf der Schwimmhallen auf vier bis 4,5 Milliarden Euro. Noch nicht einberechnet sind da die Kosten, die bei einer konsequenten energetischen Sanierung anfallen würden. Oft sind es technische Mängel, die einen Weiterbetrieb der jahrzehntealten Bäder erst mal unmöglich machen. Häufig wird in den Kommunen aber auch gerne die knappe Kassenlage als Grund herangezogen, um Bäder gleich ganz zu schließen. „Ein paar Hundert Bäder“ seien in den vergangenen 20 Jahren verschwunden, heißt es bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG).

Auch in Gelsenkirchen gibt es das große, mitten in der Stadt gelegene „Zentralbad“ seit 2022 nicht mehr. Dass der Abriss unumgänglich war, hatte man zuvor in den Umkleiden ebenso gesehen (und gerochen) wie rund ums Becken. Immerhin, und darauf weisen sie im Rathaus stolz hin, wurde im Stadtteil Hassel jüngst ein kleines Lehrschwimmbecken in Betrieb genommen, das vier Millionen Euro gekostet hat. „Der Schulsport ist gesichert“, sagt Stadtsprecher Martin Schulmann. Nach dem Unterricht sieht es allerdings traurig aus. In Gelsenkirchen gibt es neben dem Freizeitbad zwei kleine Hallenbäder. Das im Stadtteil Buer ist zweieinhalb Stunden am Tag geöffnet, das im Stadtteil Horst kommt an Wochentagen auf durchschnittlich drei Stunden Öffnungszeit. Zu wenig, damit Kinder in ihrer Freizeit das Schwimmen weiter üben können.