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Arbeitsalltag von Kita-, Schul- und Hortleitungen

„Der Job hat sich extrem verändert“

Der Job des Schulleiters oder der Schulleiterin hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Das müsse auch bei der Besetzung der Stellen berücksichtigt werden, sagt Nuri Kiefer von der Vereinigung Berliner Schulleitungen in der GEW.

Nuri Kiefer ist Grundstufenleiter der Paula-Fürst-Gemeinschaftsschule im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf und einer der Vorsitzenden der Vereinigung Berliner Schulleitungen in der GEW. (Foto: privat)
  • E&W: Sie sind schon zum dritten Mal Mitglied einer Schulleitung, erst in Baden-Württemberg, nun in Berlin. Ihr Traumjob?

Nuri Kiefer: Nein, schon Lehrer wurde ich eher zufällig. Doch dann wollte ich mich möglichst intensiv daran beteiligen, wie Schule läuft. Erst fing ich an, mich in der GEW zu engagieren, dann habe ich Ja gesagt, als es um eine Schulleitung ging. Ich dachte: Wenn du etwas verändern willst, musst du selbst versuchen, die Organisation von Schule zu verbessern.

  • E&W: Hat sich die Hoffnung erfüllt?

Kiefer: Ja, Schulleitung ist nach wie vor die wirkmächtigste Funktion im gesamten Schulwesen. Das sagen übrigens auch viele Ex-Mitglieder von Schulleitungen, die in die Verwaltung gewechselt sind. Manche kehren sogar zurück.

  • E&W: Was meinen Sie mit „wirkmächtig“?

Kiefer: Leitungskräfte können Schule wirklich gestalten. Wie dort gelernt und gearbeitet wird, darauf hat Schulleitung erheblichen Einfluss. Das gilt für Lernformen, aber zum Beispiel auch für das große Thema Kommunikation – wird diese gefördert und Transparenz über Lernprozesse hergestellt, oder nicht? All das wirkt wiederum auf die Schülerinnen und Schüler. Auch das Schulklima wird ganz wesentlich von der Schulleitung geprägt. Und: Schulleitungen tragen eine hohe Personalverantwortung: Je nach Schule entscheiden sie schon mal über die Karrierechancen von mehr als hundert Menschen mit.

  • E&W: Es heißt oft, es gebe für Lehrkräfte kaum Karrierewege?

Kiefer: An der Berliner Gemeinschaftsschule, deren Grundstufe ich leite, gibt es rund 15 sogenannte Funktionsstellen: von der Fachleitung Deutsch oder Mathe über die Fachbereichsleitung Ganztag oder Inklusion bis zur pädagogischen Koordination der einzelnen Schulstufen. Das sind alles Beförderungsstellen – und außerdem Positionen, durch deren Besetzung die Schulleitung auch wieder Einfluss auf Schulgestaltung nehmen kann.

  • E&W: Dennoch will kaum noch jemand Schulleiterin oder -leiter werden ...

Kiefer: In Berlin gibt es vor allem dort Mangel, wo die Ausstattung besonders schlecht ist: bei stellvertretenden Grundschulleitungen, die kaum Ermäßigungsstunden und kaum mehr Geld bekommen, sowie an Schulen in Lagen, die ohnehin schwer Personal finden. An den Gymnasien sieht es häufig anders aus. Richtig ist allerdings: Gab es früher fünf Bewerber oder Bewerberinnen zur Auswahl, gibt es heute oft nur einen oder eine.

  • E&W: Was sollte geschehen, damit Schulleitung attraktiver wird?

Kiefer: Es muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass der Job sich extrem verändert hat: Vor 20 Jahren hatte ich weit mehr Zeit für den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, für Gespräche mit Schülerinnen und Schülern. Heute habe ich zig andere Aufgaben. Die wichtigsten Stichworte, abgesehen von der Pandemie, in der wir zusätzlich zu Außenstellen der Gesundheitsämter wurden, sind zurzeit Ganztag und Inklusion.

  • E&W: Beides sind Entwicklungen, die die GEW gut findet ...

Kiefer: Ich finde sie auch gut. Doch mit ihnen wurden den Schulleitungen viele neue Aufgaben überantwortet. Nehmen wir nur den Ganztag: Um den zu gewährleisten, müssen wir nicht nur mehr Schulzeit organisieren. Sondern auch Förderung und Betreuung durch außerschulische Träger; Mittagessen in Schulen, die dafür oft nicht ausgestattet sind, und Freizeitangebote.

  • E&W: Wie könnten Schulleitungen entlastet werden?

Kiefer: Es braucht weniger Unterrichtsverpflichtung, besonders an Grundschulen. Die Idee, die Schulleitung solle steten Kontakt zu Kindern haben, ist pädagogisch schön, wird aber den Anforderungen nicht mehr gerecht. Zudem braucht es dringend nicht-pädagogisches Personal: Erstens Verwaltungskräfte, unter Umständen auch eine von der pädagogischen Leitung separate Verwaltungsleitung, an größeren Schulen in Berlin gibt es diese bereits. Zweitens IT-Fachkräfte, die uns bei der Digitalisierung zur Seite stehen. Mit gelegentlichen Technikerbesuchen, wie wir sie erleben, ist es nicht getan.

  • E&W: Wie sieht es mit der Qualifizierung und Begleitung der Schulleitungen aus?

Kiefer: Die ist oft unzureichend, außerdem völlig uneinheitlich, in Berlin sogar von Bezirk zu Bezirk. Wichtig wäre aber auch mehr Praxisnähe. Ich fände zum Beispiel gut, wenn künftige oder neue Mitglieder der Schulleitung Praktika absolvieren; oder Kolleginnen und Kollegen eine Zeit lang bei der Arbeit beobachten.

  • E&W: Wie ist Ihre Haltung dazu, Schulleitungen auch an Hochschulen fortzubilden oder sie bereits in der Lehrkräftebildung zu identifizieren und speziell auszubilden?

Kiefer: Grundsätzlich ist das für viele sicher interessant. Andererseits hat es auch Vorteile, wenn Leitungsmitglieder aus der pädagogischen Praxis kommen – der englische Begriff des head teachers drückt diese Rolle ganz gut aus. Vermutlich wird es künftig beides geben; traditionelle Lehrkräfte ebenso wie Quereinsteigende, die schnell in eine Leitungsfunktion gehen. Das ist auch richtig so, nichts sollte unversucht bleiben. Gut wäre auch, wenn sich die Schulaufsicht stärker engagieren würde, mögliche Leitungspersönlichkeiten anzusprechen. Bisher bleibt die Auswahl oft stark dem Zufall überlassen.

  • E&W: Die Rolle der Schulaufsicht ist unter Schulleitungen höchst umstritten.

Kiefer: Ja, viele Kolleginnen und Kollegen empfinden deren Ambivalenz als sehr unangenehm. Oft weiß man nicht, in welcher Rolle steht sie da jetzt: als Mentorin, als Unterstützerin – oder als Kontrolleurin? Die Schulgesetze drücken sich übrigens ähnlich ambivalent aus: Einerseits überantworten sie uns eine immense Verantwortung, andererseits eine enorme Abhängigkeit.