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Heterogenität in Bildungseinrichtungen

Den Menschen etwas zutrauen

Menschen mit Behinderung finden -seltener Arbeit – auch dann, wenn sie hoch qualifiziert sind. Statt vor allem die Hürden zu sehen, sollten Arbeitgeber vielmehr das (wirtschaftliche) Potenzial dieser Bewerbergruppe in den Blick nehmen.

Der Arbeitsplatz von Carsten Dethlefs ist unter anderem ausgestattet mit einer Spezialsoftware, die ihm den Inhalt von Texten am Computer vorliest. (Foto: Susanne Junge)

Carsten Dethlefs war noch ein Kind, als er erblindete. Ein Tumor im Kopf zerstörte das Sehzentrum des damals Vierjährigen. Später besuchte er die Grundschule in Dithmarschen, machte Abitur und studierte. Was er bis heute nicht mag: „Falsches Mitleid und Almosen.“ Auf beides richteten zum Beispiel Blindenverbände viel zu problemorientiert den Blick aus, den wiederum die Gesellschaft und die Arbeitgeber mittrügen, ist Dethlefs überzeugt.

Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler hat die Barrieren erlebt, in denen ihn manch ein Gegenüber gefangen sah. Nach dem BWL-Studium an der Fachhochschule Westküste in Heide fand Dethlefs zunächst keine Arbeit. Zu groß waren die Vorbehalte der Arbeitgeber. Und das, obwohl die Kosten für die blindengerechte Ausstattung seines Arbeitsplatzes vom Arbeitsamt übernommen worden wären. Der besondere Kündigungsschutz hält Arbeitgeber nicht selten davon ab, schwerbehinderte Menschen einzustellen. „Dieser Schutz sollte entweder ganz abgeschafft werden, oder man sollte als mündiger Bürger wirksam darauf verzichten dürfen“, fordert Dethlefs.

Vorbehalte bei Unternehmen abbauen

Auch Christina Stabel, Beraterin des Arbeitgeber-Service für schwerbehinderte Akademiker bei der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit, kennt die Vorbehalte in Sachen Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. „In 80 Prozent der Fälle stimmen die Integrationsämter einer Kündigung zu, deshalb ist das kein Argument; es gibt außerdem die Möglichkeit, während der Probezeit zu kündigen, ohne dass das Integrationsamt zustimmen muss“, hält Stabel gegen.

Mit der sogenannten 500plus-Beschäftigungsinitiative sollen die Arbeitgeber durch Best-Practice-Beispiele lernen, umzudenken. „Damit sie und auch die Mitarbeiter tatsächlich erleben, wie hochqualifiziert der jeweilige Mensch ist“, erläutert Stabel.

Mit dem Projekt der ZAV wurden zusätzliche, auf zwei Jahre befristete Stellen speziell für schwerbehinderte Akademikerinnen und Akademiker in Bundesministerien und nachgeordneten Behörden geschaffen. „Mit dem Ziel, die Leute möglichst dauerhaft zu übernehmen, was in einigen Fällen auch gelungen ist“, sagt Stabel.

„Natürlich können Menschen mit ,special needs‘ etwas Produktives für die Gesellschaft leisten.“ (Carsten Dethlefs)

„Natürlich können Menschen mit ,special needs‘ etwas Produktives für die Gesellschaft leisten“, betont Dethlefs und unterstreicht dabei ganz bewusst, dass eine Behinderung auch als spezieller Bedarf gesehen werden kann. Er möchte an seinen Fähigkeiten und nicht an seinem Handicap gemessen werden. Trotz aller Vorbehalte hat er das geschafft. Nach einem zusätzlichen VWL-Studium an der Fernuniversität Hagen promovierte er an der Goethe-Universität Frankfurt. Und er fand Arbeit.

An der NBS Northern Business School in Hamburg rannte Dethlefs offene Türen ein. Dort lehrt der Wirtschaftswissenschaftler „Brandmanagement“, sprich Markenmanagement, und seit dem jüngsten Wintersemester auch „International Human Resource and Diversity Management“ im Studiengang Betriebswirtschaft.

Sein Arbeitsplatz ist ausgestattet mit einer Spezialsoftware, die den Inhalt am Computer vorliest und einer sogenannten Braille-Zeile, mit der sich der Bildschirminhalt abtasten lässt – benannt nach Louis Braille, dem Erfinder der Blindenschrift. Außerdem unterstützt ihn eine Arbeitsassistentin bei bestimmten Tätigkeiten. Bezahlt werde sein Bedarf vom Amt für Integration, so Dethlefs. Seine Wünsche für die Zukunft fasst er so zusammen: „Wichtig ist, dass den Menschen etwas zugetraut wird.“