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Fridays for Future

Demonstrieren für Klimaschutz

„Fridays for Future“: In immer mehr Städten machen Schülerinnen und Schüler freitags für einen besseren Klimaschutz mobil. 12.000 Wissenschaftler teilen ihre Sorgen – während die Kultusminister sich vor allem um die Schulpflicht sorgen.

Jeden Freitag demonstrieren unter dem Motto „Fridays for Future“ deutschlandweit tausende Schülerinnen und Schüler – hier in Kiel. Foto: Ulf Dahl/Kieler Nachrichten

Eine Gruppe Jugendlicher steht an einem regnerischen Freitagvormittag vor dem Kieler Landtag und fordert einen Kurswechsel in der Klimapolitik. Die jungen Menschen sind nicht allein: Seit Dezember gehen deutschlandweit Schülerinnen und Schüler während der Unterrichtszeit auf die Straße. An den „Fridays for Future“ fordern sie von Politik und Gesellschaft mehr Einsatz gegen den Klimawandel. Spitzenpolitiker, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, loben das Engagement der Jugend als wichtiges Signal. Doch viele Kultusministerinnen und -minister sehen das Schwänzen für den guten Zweck zunehmend kritisch. Für Lehrkräfte und Schulleitungen ist der Umgang mit den Protesten ein Balanceakt.

„Als Lehrer sind sie dagegen, als Bürger dafür“, fasst die 18-jährige Gymnasiastin Tanja ihre Gespräche mit Lehrkräften zusammen. Sie ist mit anderen Jugendlichen aus Neumünster zur Demo nach Kiel gereist und schwänzt nicht, da an ihrer Schule an diesem Tag kein Unterricht stattfindet. Aber da sie und die anderen weiter an den „Fridays for Future“ teilnehmen wollen, sind ihre Namen geändert.

Denn rechtlich ist die Frage klar, ob Jugendliche während der Unterrichtszeit demonstrieren dürfen: Nein, Schulpflicht geht vor. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat sich bereits 1973 mit Schülerstreiks befasst und festgestellt, dass nicht einmal das Wort zutreffe, da nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Streikrecht besäßen. Es handle sich um „organisiertes unentschuldigtes Fernbleiben“. Die Meinungsfreiheit sei nicht verletzt: „Das Demonstrationsrecht kann in der unterrichtsfreien Zeit ausgeübt werden.“

„Unser Auftrag besteht ja darin, die Jugendlichen zu kritischen und autarken Persönlichkeiten zu erziehen. Wenn sie für ihren Protest Ärger in der Schule auf sich nehmen, kann ich nur sagen: Ziel erreicht.“ (Antje Wolf)

Aber gerade weil der Streik verboten ist, fällt er auf – das ist die Idee der Schwedin Greta Thunberg. Mit 15 Jahren stellte sie sich im August 2018 mit einem Plakat vor das Parlament in Stockholm und löste eine weltweite Bewegung aus. Anfang März trat sie bei einer Demo in Hamburg auf und sorgte für Jubel der aus der ganzen Republik angereisten Schülerinnen und Schüler.

Beifall kommt auch von der Wissenschaft. Über 12.000 Expertinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen haben sich unter dem Motto „Scientists4future“ den Forderungen der Jugendlichen angeschlossen und bestätigen: Angesichts weltweit steigender Meeresspiegel und Temperaturen sind Schritte gegen den Klimawandel dringend nötig.

Streiks erlauben, verbieten oder etwas dazwischen? Darüber wird seit Beginn der Proteste gestritten, jede Schule geht eigene Wege. So erhielten demonstrierende Schüler des Münchener Luitpold-Gymnasiums den „Arbeitsauftrag“, einen Aufsatz über die Ziele der Freitagsaktionen zu schreiben, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“. In anderen Schulen werden Listen geführt; Streikende wechseln sich ab, sodass niemand zu viele Fehlstunden anhäuft. So erleben es auch die Jugendlichen in Kiel: „Die Schulleitung hat gesagt, wir sollten aufschreiben, wer alles zur Demo geht und uns nicht zu viele Gedanken über die Konsequenzen machen“, berichtet die 16-jährige Mareike. Aber es gilt auch: „Wer bei einer Klausur fehlt, kriegt eine Sechs, Nachschreiben ist verboten.“

Dabei teilen viele Lehrkräfte das Anliegen. Antje Wolf, GEW-Personalrätin und Biologielehrerin in Schleswig, ist im Grunde stolz auf die Jugendlichen, die trotz Kritik weiter demonstrieren: „Unser Auftrag besteht ja darin, die Jugendlichen zu kritischen und autarken Persönlichkeiten zu erziehen. Wenn sie für ihren Protest Ärger in der Schule auf sich nehmen, kann ich nur sagen: Ziel erreicht.“ In der Klasse würde sie das aber nicht sagen.

„Die Sorge der Jugend um das Klima wäre glaubwürdiger, wenn sie ein Opfer in ihrer Freizeit bringen würden“ (Armin Laschet)

Für Härte ist das Bildungsministerium in Sachsen-Anhalt: Alle Demonstrationen sollten an das Landesschulamt gemeldet werden, berichtete der MDR. Wenn Eltern ihren Kindern eine Entschuldigung schreiben, könnten „Zwangsgeldverfahren geboten sein“, empfiehlt das Ministerium. Der dortige Bildungsminister Marco Tullner (CDU) findet den Protest wenig überzeugend: „Heute ist es der Klimaschutz, morgen die Angst vor dem Wolf, übermorgen der Weltfrieden.“ Die Organisatoren einiger Demos haben reagiert, indem die Treffen nun ab Mittag stattfinden – jenseits des Unterrichts. Das wäre auch im Sinne von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU): „Die Sorge der Jugend um das Klima wäre glaubwürdiger, wenn sie ein Opfer in ihrer Freizeit bringen würden“, sagte er dem WDR.

Ähnlich sieht es Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Sie sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Auch unterstützenswertes Engagement gehört in die Freizeit und rechtfertigt nicht das Schulschwänzen.“ Fast gleichlautend äußerte sich Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) im NDR: „Bei allem Verständnis – niemand verbessert die Welt, indem er die Schule schwänzt.“

„Die Streiks könnten ein Anlass sein, die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) auf politischer Ebene in den Fokus zu rücken.“ (Ilka Hoffmann)

Auch eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger sieht die Demos inzwischen kritisch: Laut einer Umfrage sagen 54 Prozent, die Proteste sollten in die Freizeit verlegt werden – aber 80 Prozent finden, dass Umweltschutz ein Thema für den Unterricht ist. Hier sieht Ilka Hoffmann, GEW-Vorstandsmitglied für den Bereich Schule, einen Anknüpfungspunkt: „Die Streiks könnten ein Anlass sein, die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) auf politischer Ebene in den Fokus zu rücken.“

Nachhaltige Entwicklung sei ein zentrales Zukunftsthema, doch zurzeit würden Schulen weder personell noch materiell ausreichend unterstützt, um sich damit umfassend auseinanderzusetzen. „Mit BNE als Querschnittsthema können wir auch die eigene Arbeit hinterfragen“, sagt Hoffmann und nennt Beispiele: „Welche Materialien verwenden wir? Sind diese sozial verträglich und nachhaltig produziert? Werden Fairtrade-Prinzipien und Stromsparmaßnahmen ernst genommen?“

Die Jugendlichen in Kiel wollen auf jeden Fall weitermachen. „Natürlich wird sich die Welt nicht sofort ändern lassen“, sagt Tanja. „Aber die Politik muss endlich ihre Versprechen einhalten.“ Die elfjährige Swantje hat eine klare Forderung an alle Menschen: „Weniger Plastikmüll verursachen.“

Foto: Pixabay / CC0

Globaler Protesttag

„Ich will nicht ersticken“, lautete die Botschaft eines Mädchens in Neu-Delhi, einer der am stärksten mit Feinstaub belasteten Städte der Welt. In Deutschland hieß es unter anderem „Die Zeit rennt, ihr pennt!“. Rund um den Globus, an rund 2.000 Orten und in 120 Staaten, zogen am 15. März Kinder, Jugendliche und Erwachsene auf die Straße und forderten von Politik und Gesellschaft Taten gegen den Klimawandel. Das Motto, in Abgrenzung zu einem Slogan des US-Präsidenten Donald Trump und als Tribut an die 16-jährige schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg: „Make the world Greta again.“

Ist nach diesem Höhepunkt ein Ende der Freitagsdemos erreicht? Nein, sagte die 22-jährige Studentin Luisa Neubauer, eine der Mitorganisatorinnen der Fridays-for-Future-Bewegung in Berlin, der Nachrichtenagentur dpa: „Wir streiken so lange, bis die Regierung einen Plan hat für unsere Zukunft und unseren Planeten.“ Lob von Spitzenpolitikerinnen und -politikern reiche nicht aus, es gehe um Entscheidungen.

„Die Schülerinnen und Schüler, die trotz angedrohter Sanktionen auf die Straße gehen und einen radikalen Kurswechsel in der Klimapolitik fordern, haben Recht. Es kommt jetzt darauf an, dass die Politik diese Forderungen umsetzt.“ (Beschluss des GEW-Hauptvorstandes)

Wie sollen Schulen damit umgehen, wenn die Demonstrationen weitergehen? Tristan Barczak, Rechtswissenschaftler an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, hält das Streikverbot der KMK von 1973 für zu pauschal: „Das Argument ,Wir können nicht für die Zukunft lernen, wenn wir keine haben‘ gewinnt hier juristische Relevanz.“ Im Einzelfall sei die Befreiung vom Unterricht auf Antrag der Eltern – oder ausnahmsweise der Schülerinnen und Schüler selbst – möglich. Dafür brauche es „zwingende Gründe“. Diese seien aber gesetzlich nicht definiert, sagt Barczak.

Die GEW erklärt sich solidarisch: „Die Schülerinnen und Schüler, die trotz angedrohter Sanktionen auf die Straße gehen und einen radikalen Kurswechsel in der Klimapolitik fordern, haben Recht. Es kommt jetzt darauf an, dass die Politik diese Forderungen umsetzt“, heißt es in einem Beschluss des Hauptvorstands.

Das sieht auch Thunberg so: Weltweit würden die Emissionen steigen, Anzeichen für ein Umdenken seien nirgends zu sehen. Ein Ende der Proteste ist für sie undenkbar: „Warum in aller Welt sollten wir jetzt aufhören? Wir haben noch nicht mal angefangen.“