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Demokratischer Bildungskongress in Ankara

Rund dreihundert Delegierte nahmen am fünften demokratischen Bildungskongress der Egitim-Sen vom 3. bis 7. Februar 2014 in Ankara teil. Für die GEW waren Stephanie Odenwald, Süleyman Ates und Ulrich Thöne eingeladen. Der frühere GEW-Vorsitzende wurde für seinen Einsatz für verfolgte Gewerkschafter ausgezeichnet.

Fotos: Egitim-Sen, Manfred Brinkmann

„Ohne die internationale Solidarität und ohne die GEW wäre ich noch im Gefängnis.“ berichtete Sakine Esen Yilmaz, Leiterin des Arbeitsbereichs Frauenpolitik von Egitim Sen, am Rande des Bildungskongresses ihrer Gewerkschaft in Ankara. Sie saß nach ihrer ersten Festnahme 2009 in Izmir sechs Monate in Untersuchungshaft. 2011 wurde sie in Ankara erneut festgenommen und verbrachte diesmal wegen ihres gewerkschaftlichen Engagements zehn Monate in Untersuchungshaft. Das Gerichtsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Auszeichnung für Ulrich Thöne
Bei der Eröffnung des „Fünften Demokratischen Bildungskongresses von Egitim Sen“, der türkischen Partnergewerkschaft der GEW, würdigte Ünsal Yildiz, Vorsitzender dieser Gewerkschaft, den früheren GEW-Vorsitzenden Ulrich Thöne wegen seines Einsatzes für die in der Türkei verhafteten Gewerkschaftsmitglieder und überreichte ihm eine Plakette. Thöne hatte in der Vergangenheit immer wieder gegen die Verfolgung und Kriminalisierung von Lehrerinnen und Lehrern in der Türkei protestiert und mehrfach an Prozessbeobachtermissionen in Ankara teilgenommen. In seiner Dankesrede bekräftigte Ulrich Thöne, dass die GEW weiterhin mit der Egitim Sen solidarisch sei.

Assimilierungspolitik gegenüber Minderheiten
Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches wollten die Jung-Türken in Anatolien alle dort lebenden ethnischen Gruppen zu einer neuen, einheitlichen, türkischen Nation mit einem gemeinsamen Glaubensbekenntnis, nämlich dem sunnitischen Islam, zusammenführen. In ihrer Nachfolge versuchten die Kemalisten, d. h. die Politiker, die zusammen mit dem Gründer der Republik Kemal Atatürk bzw. in seinem Geiste handelten, die verschiedenen ethnischen Gruppen mit staatlichen Maßnahmen zu assimilieren oder solche die sich dagegen wehrten, auszulöschen. Dieses Prinzip des türkischen Erziehungssystems, nämlich die Hinführung aller Menschen, die Bürger der Republik Türkei sind, zu einer einheitlichen Nation mit einer Sprache und einer Religion wird weiterhin unter Anwendung von Zwang durchgesetzt.

Tradition demokratischer Bildungskongresse
1968 führte die türkische Lehrergewerkschaft TÖS den Ersten Demokratischen Bildungskongress durch. Nach dem Militärputsch von 1971 wurde die TÖS verboten. 1980 verbot das türkische Militär den Lehrerverein TÖBDER, der den zweiten Demokratischen Bildungskongress durchführte, viele Funktionäre und Mitglieder des TÖBDER wurden verhaftet, einige konnten mit Hilfe der GEW nach Deutschland fliehen. Ein Nachfolgeverein, der während der achtziger Jahre aktiv war, existierte bis 1995, als die jetzige Gewerkschaft Egitim Sen gegründet wurde. Egitim Sen organisierte die nächsten Demokratischen Bildungskongresse, nämlich 1998 den dritten, 2004 den vierten und in diesem Jahr den fünften Kongress, der vom 3. – 7. Februar mit rund dreihundert Delegierten in Ankara stattfand.

Gewerkschaftlich aktive Lehrer werden weiterhin verfolgt
Wie in den vorherigen Demokratischen Bildungskongressen wurde auch diesmal das Erziehungssystem der Republik Türkei analysiert. In ihm hat die ethnische und religiöse Vielfalt, die weiterhin in der Türkei existiert, neben dem türkischen Nationalismus und der sunnitischen Religion keinen Platz. Eine Bildungsgewerkschaft wie Egitim Sen ist davon besonders betroffen. Ihre Mitglieder wissen, dass in der Vergangenheit Lehrergewerkschaften verboten wurden, weil sie Demokratisierung und das Recht auf Unterricht in der jeweiligen Muttersprache forderten. Auch heute werden aktive Mitglieder von Egitim Sen verfolgt und kriminalisiert, werden zwangsversetzt oder ihnen wird gekündigt.

Egitim-Sen will Reform des Bildungswesens
Fünf Tage lang wurde unter dem Oberthema ‚Reform der Bildung und der öffentlichen Erziehung‘ intensiv und durchaus auch kontrovers diskutiert. Der Wille der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kongresses, das türkische Erziehungssystem zu demokratisieren, war deutlich zu spüren. Stephanie Odenwald referierte über die Berufliche Bildung in Deutschland. Süleyman Ates verglich die Inhalte der deutschen und türkischen Materialien, die im Unterricht verwendet werden. Zu den nachfolgenden elf Themen wurden nach leidenschaftlichen Diskussionen jeweils mit Änderungen Beschlüsse gefasst, die dem ordentlichen Egitim–Sen Kongress im Mai zur weiteren Beratung über die strategische Umsetzung und zur Verabschiedung vorgelegt werden sollen:

  1. Bildung und die Einstellungspolitik von Lehrerinnen und Lehrern
  2. Qualitative und flächendeckende Erziehungssysteme
  3. Amtsprache in der Bildung, Sprachenpolitik in der Erziehung
  4. Muttersprache und mehrsprachige Erziehung
  5. Wissenschaftliche, laizistische und kritische Bildung
  6. Curriculum und Unterrichtsbücher
  7. Reform der Wissenschaftliche Institutionen und Hochschulen
  8. Gleichstellungspolitik in der Erziehung
  9. Die Frage nach der Gewalt in der Erziehung
  10. Neue Medien , Informationstechnologie und Bildung
  11. Demokratisierung der Erziehungsstrukturen