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Lehren aus Fördergeldaffäre ziehen

Debatte über Antisemitismus-Resolution des Bundestages

Der Bundestag hat eine Antisemitismus-Resolution verabschiedet. Deren Anliegen stößt auf breite Zustimmung, Kritik gibt es an möglichen Beeinträchtigungen der Lehr-, Forschungs- und Kulturfreiheit.

Holocaust-Mahnmal in Berlin (Foto: GEW/Shutterstock)

„Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“, lautet der Titel der Resolution, die CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP eingebracht haben und die der Bundestag am Morgen nach dem Bruch der Ampelkoalition verabschiedet hat.

Auf breite Zustimmung stoßen zentrale Aussagen der Resolution, mit der das Parlament an die Entrechtung und Ermordung von sechs Millionen europäischen Jüdinnen und Juden in der Shoa erinnert, sich zu einer „besonderen Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus“ bekennt und antisemitische Angriffe und Übergriffe „auf das Schärfste“ verurteilt. Die Bundesregierung wird aufgefordert, jüdisches Leben in Deutschland zu stärken.

Für Bedenken hatten im Vorfeld der Bundestagssitzung die Aussagen zur Vergabe von Fördergeldern des Bundes, etwa für Bildung, Forschung und Kultur, gesorgt. Es sei sicherzustellen, „dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen“, heißt es in der Resolution. Die Abkürzung BDS steht für „Boycott, Divestment and Sanctions“ (englisch für „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“) und eine transnationale politische Kampagne, die den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren möchte. Weiter erklärte der Bundestag die Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) für „maßgeblich“.

Das kritisierten in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) sechs Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – Ralf Michaels, Jerzy Montag, Armin Nassehi, Andreas Paulus, Miriam Rürup, Paula-I. Villa Braslavsky. Was genau unter Antisemitismus zu verstehen ist und in welchen Situationen er vorliegt, bleibe „Gegenstand fortwährender wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Reflexion“. Das könne der Staat nicht „autoritativ“ festlegen. Die IHRA-Definition stößt bei vielen Expertinnen und Experten auf Bedenken, weil sie teilweise herangezogen wird, um Kritik an der Politik der israelischen Regierung als antisemitisch zu bezeichnen. Ein inzwischen von weit mehr als 4.000 Menschen unterzeichneter Offener Brief unterstützt die Formulierungsvorschläge für eine Änderung der Bundestagsresolution, die die FAZ-Autorinnen und -Autoren gemacht haben.

Der stellvertretende Vorsitzende und Hochschulexperte der GEW, Andreas Keller, teilt die Bedenken der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. „Vor wenigen Monaten hat die Fördergeldaffäre der ehemaligen Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger (FDP), für Aufregung gesorgt. Zu Recht, denn offensichtlich ließ ihr Haus prüfen, ob Hochschullehrenden Fördermittel entzogen werden könnten, die eine kritische Erklärung zur Räumung eines pro-palästinensischen Protestcamps an der Freien Universität Berlin unterstützt haben. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckte politische Meinungsäußerungen dürfen nicht mit dem Entzug von Fördergeldern bestraft werden – das war die einhellige Kritik der demokratischen Opposition, der Zivilgesellschaft und sogar der SPD- und Grünen-Politikerinnen und -Politiker an den bis heute nicht vollständig aufgeklärten Vorgängen im Forschungsministerium“, erinnerte Keller.

„Antisemitismus ist wie jede Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Die Kritik an der Politik der israelischen Regierung, zum Beispiel mit Blick auf den aktuellen Krieg in Gaza, muss aber möglich sein, ohne im Bildungsministerium auf eine Schwarze Liste zu kommen.“ (Andreas Keller)

Die „Lehre aus der Fördergeldaffäre“ müsse sein, dass der Bewilligung von Förderanträgen keine Gesinnungsprüfung vorausgehen darf. „Antisemitismus ist wie jede Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Die Kritik an der Politik der israelischen Regierung, zum Beispiel mit Blick auf den aktuellen Krieg in Gaza, muss aber möglich sein, ohne im Bildungsministerium auf eine Schwarze Liste zu kommen“, sagte der GEW-Vize. Er appellierte an die Bundesregierung, „das zentrale Anliegen der Bundestagsresolution, den Kampf gegen Antisemitismus und den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland ernst zu nehmen und beherzt umzusetzen, aber bei der Vergabe von Fördergeldern die Freiheit von Wissenschaft, Meinung und Kultur zu respektieren“.