"Darf es etwas mehr sein?" Was die Bedienung hinter der Käsetheke vermutlich im Interesse des Geschäftes, vielleicht aber auch aus Überzeugung von der Qualität der Ware den Kunden oder die Kundin fragt, belastet einzig deren Waage. Wenn aber Schulen im Laufe vergangener Jahre immer mehr Querschnittsaufgaben zugewiesen bekamen, hat Politik sie in der Regel nicht einmal gefragt, ob sie das alles noch stemmen können. Im Gegenteil: Ihre Allzuständigkeit für gesellschaftlich relevante Themen scheint inzwischen selbstverständlich zu sein. Bildungspolitik setzt diese offenbar voraus, wenn sie in Schulgesetzen und Lehrplänen Aufgaben verankert, die helfen sollen, aktuelle gesellschaftliche Probleme zu bewältigen.
Und was wird den Schulen – und damit den Kollegien – nicht alles aufgebürdet: Berufsorientierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), Demokratieerziehung, Gewaltprävention, Europabildung, Holocaust Education, Kulturelle und Interkulturelle Bildung, Medien- und Menschenrechtsbildung, Verkehrserziehung, Gesundheits-, wirtschaftliche und Verbraucherbildung (Kultusministerkonferenz (KMK) 2016) – geht noch mehr?
"Weitere Unterrichtsinhalte"
Die KMK bezeichnet diese zusätzlichen Aufgaben lapidar als "weitere Unterrichtsinhalte". Die Lehrpläne der einzelnen Bundesländer sprechen u.a. von "Leitperspektiven", "schulart- und fächerübergreifenden Bildungs- und Erziehungszielen", "übergreifenden Themen" und "Aufgabengebieten, die nicht einzelnen Unterrichtsfächern zugeordnet werden können". In Österreich heißen sie "Unterrichtsprinzipien" und "Bildungsanliegen", in der Schweiz schlicht "übergreifende Themen".
Gemeinsam ist diesen zusätzlichen Verantwortlichkeiten – ganz gleich, wie man sie nennt –, dass sie fächerübergreifend sind und sich auf alle Akteure in der Schule beziehen – ebenso, dass sie in das Schulleben eingreifen. Nimmt man sie ernst, verändern sie nicht nur Inhalte, sondern auch Schulstrukturen, Unterricht sowie soziale Beziehungen.
Widersprüche
Denn wie kann beispielsweise Demokratieerziehung glaubwürdig sein, wenn die Institution Schule hierarchische Strukturen hat, die für die Beteiligten – vor allem für die Schülerinnen und Schüler – vielfach nicht transparent sind? Oder wie lässt sich Gesundheitsbildung als Querschnittsaufgabe organisieren, wenn die Arbeits- und Lernbedingungen für Schüler wie Lehrkräfte häufig ungesund sind, aufgrund zu hoher Stressbelastung oder zu kleiner Klassenräume? Oder wie können Gewaltpräventionsprogramme greifen, wenn gewaltfördernde Strukturen bestehen bleiben, latent Gewalt ausgeübt und über bestimmte Formen der Aggression, etwa Mobbing, stillschweigend hinweggegangen wird?
Der Staat, der – durchaus berechtigt – erwarten kann, dass gesellschaftlich relevante Kompetenzen und Fähigkeiten bereits im Schulalter erworben werden, muss sich jedoch fragen lassen, ob die Lehrkräfte, die er beschäftigt, und die Einrichtungen, die er finanziert, überhaupt "fit" genug sind, die großen Ansprüche, die er an sie richtet, auch umzusetzen. Denn eines ist klar: Querschnittsaufgaben zu realisieren, bedeutet an vielen Stellen der Schule Einschnitte – in Inhalte wie Strukturen, in Prinzipien wie Beziehungen.