Privatisierungsreport
„Das wertvollste EdTech-Unternehmen Europas“
An Selbstlob mangelt es nicht, wenn sich der österreichische Nachhilfe-Anbieter GoStudent GmbH präsentiert. Er setzt auf Künstliche Intelligenz - und sammelte Hunderte Millionen Euro von Investoren ein.
„Tolle Plattform“, „einfühlsamer Nachhilfelehrer“, „modern & einfach aufgebaut“. So lauten die Bewertungen von Eltern und Schüler*innen, die die Nachhilfeplattform GoStudent auf ihrer Webseite veröffentlicht. Gegründet 2016, beschäftigt das Wiener „Educational Technology“-Unternehmen (EdTech) nach eigener Aussage heute 1.500 Mitarbeitende. Es kooperiert mit mehr als 23.000 „Nachhilfelehrer*innen“ in über 15 Ländern, auch in Deutschland.
Kritik von Verbraucherschützern
Österreichs Verbraucherschutz-Organisationen sahen jedoch Anlass zu Kritik. „Seit fast drei Jahren Beschwerden zu Verträgen“, meldete die Wiener „Internet Ombudsstelle“ am 9. Oktober 2023. Es gehe um „überraschende Vertragsverlängerungen“, „fehlende Kündigungsmöglichkeiten“ und den „Verfall von nicht verbrauchtem Guthaben“. Zu den Kunden zählten „insbesondere auch Eltern ohne Deutsch als Muttersprache“ oder „Eltern aus bildungsfernen Gesellschaftsschichten“, berichtete die „Internet Ombudsstelle“. Im Juli 2023 urteilte das Oberlandesgericht Wien, dass 20 Klauseln der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von GoStudent unzulässig sind. Dies gelte etwa für die Klausel zur Vertragsverlängerung. Geklagt hatte der Verein für Konsumenteninformation im Auftrag des österreichischen Sozialministeriums.
„Druck für Mitarbeiter groß“
Im Jahr 2022 sorgte der Umgang mit den freiberuflichen Nachhilfe-Tutor*innen für Negativ-Schlagzeilen. „Die Arbeitsbedingungen sollen schlecht und der Druck für Mitarbeiter groß sein“, schrieb die österreichische Tageszeitung Der Standard. Es gebe Probleme mit dem fristgerechten Bezahlen, technische Probleme werden ignoriert. „Es war unerträglich“, wird eine ehemalige Tutorin zitiert. Pro Nachhilfestunde erhalte sie ein Honorar von 13 Euro 50. Wenn eine Stunde vom Kunden kurzfristig abgesagt werde, „muss der Kunde die ganze Stunde bezahlen, Tutoren bekommen aber nur 7,50 Euro“.
„Hoffe, ich bekomme bald mein Geld zurück.“
GoStudent erklärt auf GEW-Anfrage: Man habe auf das Gerichtsurteil reagiert und die AGB entsprechend angepasst. Einzelne Klauseln, etwa zu den Beendigungsmöglichkeiten und Vertragsverlängerungen, seien überarbeitet worden, „um die Transparenz und Nutzerfreundlichkeit zu erhöhen“. Zum Vorwurf, es habe technische Probleme gegeben, schreibt das Unternehmen: Im Jahr 2022 sei das neue Tool GoClass eingeführt worden, ein „virtuelles Klassenzimmer“. „Wie bei jeder neuen Technologie gab es bei der Umstellung einige Hürden, die aber längst überwunden sind.“
Seit Anfang 2024 hätten mehr als eine Million Unterrichtseinheiten über GoClass stattgefunden. „97,3 Prozent der Einheiten“ seien von den Tutor*innen „positiv bewertet“ worden. Gleichwohl sind auf der Firmenwebseite weiterhin Kundenbeschwerden zu finden. „Leider streikt GoClass sehr oft“, schreibt eine Nutzerin. „Und vom Support bekommt man keine Hilfe“. Ein anderer erklärt: „Hoffe, ich bekomme bald mein Geld zurück“.
Hochfliegende Konzepte für die Zukunft
GoStudent publiziert derweil hochfliegende Konzepte für die Schule der Zukunft. Dort werde Virtual Reality (VR) und Künstliche Intelligenz eine bedeutende Rolle spielen. „KI wird das traditionelle Bewertungssystem überholen“, beteuert das Unternehmen. In der firmeneigenen Veröffentlichung „Bildung im Jahr 2050“ ist von der Schülerin Mia die Rede. „In Mias Welt gibt es keine traditionellen Schulen mehr, keine festen Semesterzeiten und keine physischen Klassenzimmer.“ Und das Beste daran sei, „dass Mia nicht mehr nur von Lehrern Vorort (sic!), sondern von Experten auf der ganzen Welt unterrichtet wird“. GoStudent verfolgt laut Firmenwebseite inzwischen das Ziel, „die Integration von KI in den Vordergrund stellen“. Und weiter, in holprigem Deutsch: Man habe die Mission, „die Nr.1 globale Schule zu bauen!“
Hunderte Millionen Euro an Investitionen
Ein Geschäftsmodell, das bei Investoren offenbar enorme Hoffnungen weckt. Allein im Jahr 2022 sammelte GoStudent nach eigenen Angaben 300 Millionen Euro ein. Kapital genug, um auch in Spanien und Großbritannien aktiv zu werden und in Deutschland den Nachhilfeanbieter Studienkreis zu übernehmen. 2023 bekam GoStudent zusätzlich 95 Millionen US-Dollar, um die weitere Expansion zu finanzieren. Zu den Investoren gehören die Deutsche Bank, der chinesische IT-Riese Tencent und der japanische Telekom- und Medienkonzern SoftBank. GoStudent meldet, das Unternehmen habe inzwischen einen Marktwert von drei Milliarden Euro und sei „das wertvollste EdTech-Unternehmen Europas!“.
GEW warnt vor Trugschluss
Die GEW sieht derlei Unternehmen mit großer Skepsis. „Klar ist: Künstliche Intelligenz wird unser Schulwesen verändern“, sagt Anja Bensinger-Stolze, beim GEW-Hauptvorstand für Schule verantwortlich.
„Da darf kein Platz sein für Profitinteressen.“ (Anja Bensinger-Stolze)
„Aber zu glauben, freiberufliche Tutor*innen könnten mit Hilfe von KI hochqualifizierte Lehrkräfte ersetzen und Lerndefizite nachhaltig beseitigen, ist ein Trugschluss.“ Gute Bildung für alle zu schaffen, sei eine öffentliche Aufgabe. „Da darf kein Platz sein für Profitinteressen.“